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Kapitel 10* Der Regelbruch
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Lucas steckte seinen Kopf durch die Tür und seine grünen Augen strahlten mich an. Ich fing an zu lächeln und er kam zu mir. Seine kleinen Arme legten sich um meinen Hals und ich zog ihn auf meinen Schoß.

»Wie wars heute in der Vorschule?«, fragte ich ihn und fuhr mit meiner Hand durch seine Haare, um sie aus seinem Gesicht zu streichen.

»Gut«, strahlte er.

»Und was habt ihr gemacht?«

»Wir waren auf dem Spielplatz und haben gelesen«, erklärte er stolz.

»Ihr habt gelesen ja?«

»Ja.«

Wahrscheinlich hatten die Erzieher vorgelesen, denn Lucas konnte vielleicht grade mal eins seiner lieblings Bücher lesen, aber auch nur, weil er es auswendig konnte.

»Das ist ja schön«, gab ich als Antwort.

Er rutschte von meinem Schoß und tapste zum Balkon. Ich folgte ihm und er drückte seine Nase an die Scheibe.

»Willst du raus?«, fragte ich ihn und er nickte.

Ich öffnete die Tür und er ging raus. Sofort kletterte er in die Hängematte und holte mit seinen Beinen Schwung. Ich setzte mich auf einen Stuhl und beobachtete ihn.

»Ich will auch sowas«, sagte er und lachte.

»Vielleicht wenn du älter bist, aber jetzt lass und erstmal wieder rein, es ist ziemlich kalt«, sagte ich und half ihm aus der Matte.

»Mommy hat vorhin telefoniert und sie meinte dann, dass wir Besuch bekommen«, erzählte Lucas, als wir nach unten liefen.

»Ok«, gab ich nur als Antwort.

Darüber werde ich mit Mom noch reden.

»Da seid ihr ja«, sagte Oma und nahm mich in den Arm.

»Mom ich hab gehört, dass wir heute abend Besuch bekommen?«, fragte ich.

»Oh ja, Steve kommt vorbei«, sagte sie und grinste breit.

»Muss das sein?«

»Ja, und du wirst dich benehmen«, sagte sie streng.

»Ich will ihn aber noch nicht kennenlernen«, meckerte ich.

»Entweder du benimmst dich und isst mit uns zusammen oder du gehst auf dein Zimmer ohne Essen«, drohte sie.

Hungern wollte ich auch nicht, also beschloss ich, Steve einfach eine Chance zu geben.

»Na schön«, sagte ich und setzte mich auf meinen Stuhl am Esstisch.

Steve kam und Mom lachte über jeden schlechten Witz von ihm. Genervt stopfte ich mir den Kartoffelauflauf in den Mund und als wir fertig waren, ging ich auf mein Zimmer.

»Du hättest echt freundlicher sein könnte«, sagte Mom, nachdem sie in mein Zimmer gestürmt war.

»Hab ich doch.«

»Ich find das echt nicht fair von dir. Er ist wirklich nett und macht mich glücklich«, sagte sie.

»Mom, was hab ich denn gesagt? Nur weil ich nicht über seine Witze gelacht hab oder was?«

»Du warst genervt und es ist einfach schade, dass du nicht mal freundlich warst, so wie du es sonst immer bist«, antwortete sie mir.

»Ich war so wie immer.«

»Ich möchte das du bis morgen früh auf dein Zimmer bleibst.«

»Ich wollte aber noch joggen gehen«, sagte ich aufgebracht.

»Tja, dass wirst du dann wohl morgen machen müssen und denk mal über dein Verhalten nach.«

Sie ging aus meinem Zimmer und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Das darf doch wohl nicht ihr ernst sein. Mom hat mir noch nie befohlen, in meinem Zimmer zu bleiben. Ihr muss verdammt viel an diesem Mann liegen. Doch da ich mich nicht in diesem Zimmer einsperren ließ, zog ich mein Sportzeug an und ging auf den Balkon. Es war noch kälter geworden und ich dachte schon, dass mein Atem in feinen Nebel zu sehen war. Ich sah über die Brüstung des Balkons. Das waren ungefähr zwei, drei Meter bis zum Boden. Das würde ich doch locker schaffen ohne mir etwas zu brechen. Motiviert kletterte ich über die Brüstung und sah noch kurz in mein Zimmer.

»Eh, was machst du da?«, fragte eine tiefe, raue Stimme.

Ich zuckte zusammen und wäre fast vom Balkon gefallen. Vorsichtig drehte ich mich um und funkelte Nathan böse an.

»Spinnst du? Du kannst mich doch nicht so erschrecken! Ich wäre fast hier runter gefallen«, schrie ich ihn an.

»Kann ich ja nichts für, wenn du hier so rum turnst. Also was machst du da?«

»Ich will nach unten«, erwiderte ich und sah nach unten.

Vielleicht war es ja doch ziemlich hoch.

»Und warum benutzt du nicht die Tür wie ein normaler Mensch?«

»Gott, fragst du immer so viel?«

»Naja, nur wenn mich etwas verwundert«, gab er zu.

»Darf nicht aus meinen Zimmer«, gab ich zähneknirschend zu.

»Wir brechen also die Regeln«, lachte er.

»Nein, ich will nur meinen Sport machen.«

Ich überlegte, wie ich am besten springen sollte und rutschte hin und her.

»Bevor du springst, willst du vielleicht rüber klettern und bei uns durch die Tür gehen?«

Ich kniff meine Augen zusammen und musterte ihn. Warum war er jetzt so nett.

»Du kannst natürlich auch weiter dort hängen und dich zum Affen machen.«

Vielleicht ja doch nicht so nett.

»Na schön«, sagte ich und machte einen großen Schritt auf seinen Balkon.

Ich war erstaunt wie nah die Häuser sich doch standen. Schnell griff ich nach der Brüstung, verfehlte sie aber und kippte nach hinten. Ich spürte schon den harten Boden unter meinem Rücken, hörte das Knacken meiner Knochen und spürte den stechenden Schmerz, der durch meinen Körper fuhr. Schnell schloss ich meine Augen und wartete auf den Aufprall.

Mein Engel und IchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt