Kapitel 11.✔️

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Andreas' Sicht:

Ich nahm das feine Papier genauso achtsam, wie zuvor die Kette heraus und faltete es auseinander. Langsam überflog ich gerührt die Zeilen.

"Liebe Nayla, wenn du dies hier liest, bin ich sicherlich nicht mehr bei dir.
Ich hoffe, dir geht es gut und du konntest vor deinem Vater flüchten und führst nun ein besseres Leben. Ich weiß nicht wie lange ich noch lebe und dich so vor mir stehen sehen kann und wollte hiermit nur einmal sagen, dass du der beste Mensch bist, den ich kenne. Meine Tochter, mein kleiner Augenstern.
Irgendwann bekommt Sven (AN: der Vater von Nayla) all das zurück was er uns je angetan hat. Nimm diese Kette als kleine Erinnerung an mich und vergiss mich bitte nie. Ich könnte dich niemals in meinem Leben vergessen.
Deine dich liebende Mama!"

Der kurze Brief brauchte nicht mehr Zeilen um zu verstehen, wie sehr diese Frau ihre Tochter geliebt haben musste. Er war so rührend geschrieben, dass mir die Tränen in die Augen traten. Ich musste hart schlucken. Ihre Mutter musste den Brief in einer sehr schwierigen Zeit geschrieben haben. Sie musste schon an einen baldigen Tod gedacht haben oder vielleicht noch schlimmer... Vielleicht an Suizid? Wie schrecklich musste bloß ihr Leben gewesen sein, dass man solche Gedanken pflegte.

Plötzliches Fußgetrampel auf dem Flur ließ mich aus meinem Nachdenken aufwachen. Schnell legte ich säuberlich den Zettel und die zarte Kette zurück in die dafür vorgesehene Schatulle. Daraufhin tat ich diese noch zu dem anderen Zeug in den Koffer.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, wie ich schon erwartet hatte. Doch nicht Nayla, sondern mein Bruder trat ins Zimmer und blickte mich mit gerunzelter Stirn an.

"Wo ist Nayla?", fragte er sofort alarmiert.
Kurz musste ich auflachen, er hatte schon einen Beschützerinstinkt entwickelt.
"Chris, Nayla ist nur schnell Zähne putzen. Sie rennt schon nicht weg.", nahm ich ihm sogleich den Wind aus den Segeln.
Chris atmete hörbar aus und fing an zu grinsen.
"Okay, dann ist ja alles super! Ich habe unten alles unterschrieben und ausgefüllt. Sie wollen in den nächstenWochen nur noch einmal das Jugendamt vorbeischicken, um zu gucken, ob es Nayla bei mir gut geht.
Ansonsten bin ich jetzt ihr Vater!", sagte er stolz.

Ich lächelte zurück und winkte ihn dann zu mir heran.

"Guck mal was ich in dem Schrank gefunden habe!", meinte ich und zeigte auf die Schatulle.
"Was ist das?", fragte Chris nun auch interessiert und streckte die Hand nach dem kleinen Kästchen aus.
Langsam öffnete er die Hülle und fing an konzentriert die Inschrift des Anhängers zu inspizieren.

Chris' Sicht

Während ich die Schrift zu lesen begann und letztlich auch auf den Zettel aufmerksamen wurde, traten mir die Tränen in die Augen. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter.
So einen lieben Text hatte ich lange nicht mehr vor's Gesicht bekommen, von der Kette mal abgesehen.
Die Kleine musste wohl eine sehr fürsorgliche und liebe Mutter gehabt haben, jedoch einen grausamen Vater. So langsam fing ich an Naylas Verhalten zu verstehen. Sie muss panische Angst vor Männern haben. Ein Trauma, was durch ihren Vater verursacht wurde kam mir in den Sinn. Als wir vorhin so schnell auf sie zu gerannt kamen, dies hatte sie wohl an die damalige Zeit erinnert.
Ich wollte mir erst garnicht ausmalen was ihr Vater damals mit ihr getan haben musste. Weshalb gab es nur so widerliche Menschen auf dieser Welt? Ich konnte es einfach nicht verstehen.
Eines wusste ich jedoch sehr genau, ich würde mein allerbestes geben für sie der liebste Papa zu werden, den man sich nur wünschen konnte.

Vertrauen oder Angst ?     Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt