Kapitel 36 ~ Lost.

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Ohne irgendeine Reaktion lief er an uns vorbei.

Geschockt schaute ich ihm hinterher. Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass die Gesichter von Jade und Harry nicht weniger fassungslos waren. Das konnte doch nicht wahr sein. Der kleine Hoffnungsschimmer, an dem wir uns bis eben noch fest gehalten hatten, schien nun völlig erloschen zu sein. Ich wagte es fast nicht, mich zu Jade umzudrehen, zu groß war die Angst vor ihrer Reaktion. Ihre Augen schimmerten von den aufkommenden Tränen, ungläubig schüttelte sie leicht ihren Kopf. Hilfesuchend drehte ich mich zu Harry um, doch auch er blickte ratlos zu ihr. Was sollten wir nur jetzt machen?

Obwohl Louis schon im Schulgebäude verschwunden war, schaute sie noch immer in die Richtung, in die er gegangen war. Sofort ging ich auf sie zu und zog sie in meine Arme. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken. Sobald wir uns wieder gelöst hatten, trat auch Harry näher. „Ich rede nach Sport mit ihm, okay? Ich habe einfach das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt.“ Auch wenn Jade nicht wirklich so schien, als hätte sie ihm zugehört, nickte sie und murmelte ein leises Danke.

Schweigend machten wir uns zusammen auf den Weg zur Sporthalle. Vor den Umkleidekabinen verabschiedete ich mich von Harry mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange und betrat dann den kleinen stickigen Raum. Da wir ziemlich spät dran waren, waren die meisten bereits in der Halle. Jade schwieg noch immer, völlig in ihren Gedanken versunken machte sie sich fertig. Ich zog mich ebenfalls um und fasste meine Haare zu einem hohen Zopf zusammen, bevor ich ihr in die Halle folgte. Auch wenn wir die letzten waren, war unsere Lehrerin noch nicht da.
Zusammen liefen wir zu Marie und Selina, die schon auf uns warteten.

In der anderen Hälfte der Halle liefen sich die Jungs bereits warm. Mein Blick glitt suchend über die Menge, bis ich Harry schließlich hatte ausfindig machen können. Zu meiner Überraschung jedoch lief er nicht alleine, oder mit irgendwelchen seiner Freunde, sondern neben Zayn. Da ich sie aber nur von hinten sehen konnte, konnte ich nicht sagen, ob sie normal mit einander redeten oder sich irgendwelche Beleidigungen an den Kopf warfen. Allerdings hatte Harry ja bereits gesagt, dass Zayn gut in Sport war, vor allem in Basketball. Vielleicht unterhielten sie sich ja über die anstehenden Noten.

Als ich mich wieder zu meiner Gruppe umdrehte, sah ich wie Selina und Marie Jade besorgt musterten. Diese blickte jedoch nur leer in die Gegend, doch selbst für Außenstehende war es klar zu erkennen, dass es ihr nicht gerade gut ging. Marie warf mir, nachdem sie mit ihrem Kopf leicht in Richtung Jade gezeigt hatte, einen fragenden Blick zu. Entschuldigend schüttelte ich den Kopf und senkte meinen Blick auf meine Schuhe. Zu meinem Glück fragte sie nicht weiter nach.

Ein lautes Pfeifen ließ mich wieder aufblicken, unsere Lehrerin hatte nun ebenfalls die Halle betreten und rief alle zu sich zusammen. Langsam trotteten wir näher. In ihrem schwarzen Sportanzug, dem hohen Zopf und der eher gebrechlichen Statur erinnerte alles an ihr an eine typische Sportschullehrerin.

„Also, wie bereits gesagt, werdet ihr heute an eurer Kür weiter arbeiten. Wenn ihr Fragen habt, werde ich euch natürlich zur Verfügung stehen.“
Sie klatschte kurz in ihre Hände und bedeutet uns, uns an die Arbeit zu machen. Wie auch schon die Stunde davor gingen wir etwas weiter nach hinten, um genügend Platz zu haben.

„Kannst du dich noch an die Choreographie erinnern?“, fragte ich an Jade gewandt. Zuerst schien sie etwas überrascht, dass jemand sie ansprach und zuckte leicht zusammen. Sie blickte zu mir auf und schüttelte kaum merklich den Kopf, wie als wolle sie ihre Gedanken los werden.
„Ja, ich denke schon“, erwiderte sie dann.
Mit einem Nicken gingen alle auf ihre Plätze. Sobald Selina ihr Handy beiseite gelegt hatte, begab auch sie sich auf ihren Platz neben mir und schon erklangen die ersten Töne von 'Wings'.

Auch wenn sich immer wieder kleine Patzer in unsere Kür schlichen, ging schon nach dem dritten Mal alles reibungslos und auch die neuen Schritte saßen nach der ersten Hälfte der Stunde. Sobald unsere Lehrerin die Pause angekündigt hatte, liefen wie alle erschöpft in die Kabine, um etwas zu trinken.

Es tat gut, endlich wieder zu tanzen. Für einen kurzen Moment hatte man das Gefühl, frei zu sein. Frei von seinen Gedanken. Selbst Jade schien das Tanzen etwas abgelenkt zu haben.

Während die anderen nach wenigen Minuten den Raum wieder verließen, blieb ich noch kurz, um meinen Zopf neu zu richten. Als ich ihnen kurz darauf folgte und die Halle betrat, kam Harry mir entgegen. Mit seinem üblichen Grinsen hielt er vor mir an. „Habt ihr Pause?“
„Jap“, nickte ich und lehnte mich an die Wand neben der Tür. Obwohl seine Sportgruppe, im Gegensatz zu den Mädchen und mir, ernsthaft Sport getrieben hatten, schien er kaum außer Atem zu sein. Seine Haare waren jedoch deutlich mehr verstrubbelt als heute Morgen, da er alle paar Sekunden hindurch fuhr, und seine Augen leuchteten kräftiger als sonst. Immer noch lächelnd kam er ein paar Schritte näher, bis er sich mit seinen Armen neben mir an der Wand abstützte.
„Gut.“ Ein weiterer Schritt folgte und nachdem er mir ein letztes Lächeln geschenkt hatte, lagen seine Lippen endlich auf meinen. Auch wenn es mir vor der ganzen Klasse etwas unangenehm war, erwiderte ich den Kuss. Die Schmetterlinge in meinem Bauch schienen meinen ganzen Körper einzunehmen und ich begann mich zu fragen, ob es sich jemals ändern würde, ob ich jemals nicht mehr so auf seine Berührungen reagieren würde. Vermutlich nicht, und das war auch gut so. Ich liebte das Gefühl, seine Lippen auf meinen zu spüren. Wie sie sich synchron auf meinen bewegten, die Gefühle, die sie in mir entfachten. Ich war mir sicher, dass das Kribbeln, das mich noch immer jedes Mal durch fuhr, ein gutes Zeichen war. Wäre es nicht so, sollte ich mir eher Sorgen machen. Meine Hände fuhren in seinen Nacken, zogen ihn etwas näher zu mir, woraufhin ein Grinsen seine Lippen zierte.

„Mr. Styles, wir haben noch immer Unterricht!“, hallte es durch das große Gebäude. Harrys Grinsen wurde noch breiter und langsam löste er sich von mir. Während es ihm so gar nichts auszumachen schien, war ich mir ziemlich sicher, dass mein Gesicht ein tiefes Rot angenommen hatte. Sein heiseres Lachen ertönte und er drückte mir noch einen schnellen Kuss auf die Wangen, bevor er zurück zu seiner Sportgruppe joggte. Mit noch immer glühenden Wangen machte auch ich mich auf den Weg zurück. Mit einem breiten Grinsen kam Selina auf mich zu. „Ihr zwei seid so süß zusammen“, schwärmte sie, was mir ein Kichern entlockte. Ich hakte mich bei ihr unter und gemeinsam liefen wir zu Jade und Marie. Jade schenkte mir ein warmes Lächeln, das ich sofort erwiderte. Mit meiner Vermutung, dass ihr das Tanzen gut getan hatte, musste ich wohl richtig gelegen haben. Aber es war schon immer so gewesen, in solchen Situation brauchte sie immer eine Ablenkung und Sport kam ihr da besonders gelegen.

Als wir jedoch an Kelsey vorbei liefen, erstarb mein Lächeln sofort. Sie stand zusammen mit ihren Freundinnen, lenkte wieder jede Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem vielsagenden Lächeln wickelte sie eine Haarsträhne um ihren Finger. „Louis küsst besser, als ich gedacht hatte. So viel besser.
Ich warf Jade einen schnellen Blick zu, doch diese schaute nur traurig auf den Boden und lief weiter. Aber ich hatte keine Lust mehr darauf. Warum sollte Kelsey immer gewinnen? Es kotzte mich an, dass sie immer bekam, was sie wollte. Ich wusste nicht, woher ich plötzlich diesen Mut nahm, aber es war mir auch herzlich egal. Ich ließ nicht zu, dass sie so mit Jade umging.
Wütend drehte ich mich zu ihr um. „Sag mal, was stimmt eigentlich nicht mit dir?“, zischte ich.
Wenn sie überrascht war, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Sie hob lediglich eine ihrer Augenbrauen, so als wäre es nicht klar, wovon ich sprach.
„Schämst du dich eigentlich nicht?“, fuhr ich fort. Der Hass brodelte in mir auf, bereit, ihn an Kelsey aus zu lassen. „Jede Woche einen neuen Typen, deine Eltern müssen echt stolz auf dich sein.“ Angeekelt verzog ich mein Gesicht.
Ich spürte eine Hand, die meinen Arm ergriff und drehte mich zu der Person um. Jade schüttelte nur ihren Kopf und versuchte, mich mit ihr zu ziehen.
„Du bist so erbärmlich“, spuckte ich, bevor ich Jade schließlich nachgab.
„Louis schien das Gestern aber anders gesehen zu haben“, säuselte Kelsey. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich wollte mich abermals umdrehen, doch Jade zog mich einfach weiter.

Mit einem Seufzen gab ich schlussendlich auf und folgte ihr. „Hör nicht auf sie“, flüsterte ich ihr zu. Sie nickte erneut und schenkte mir ein tapferes Lächeln, doch mir entgangen die Tränen, die in ihren Augen schimmerten, nicht. Ich öffnete meinen Mund, um weiter zu sprechen, doch sie kam mir zuvor. „Lass uns einfach weitermachen, ja?“ Sie warf einen fragenden Blick in die Runde und erntete zustimmendes Gemurmel von uns allen.

The day you left meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt