Kapitel 46 ~ Please, don't leave me.

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~ Wenn ihr am Laptop seid, hört 'Birdy - without a word' ab der Stelle in seinem Zimmer. Lied an der Seite. ~

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~ I know you’re not far but I still can’t handle all the distance. ~

Harry

Der einzige Gedanke den ich in den letzten Stunden hatte. Das einzige, das mit etwas bedeutete. Die Beruhigungsmittel ließen mich langsam wegdämmern, doch mehr als in einen leichten Halbschlaf fiel ich nicht. Ich war viel zu aufgewühlt. Es machte mich fertig, nicht zu wissen, was mit ihm passierte. Wie es ihm ging oder was gerade mit ihm gemacht wurde. Wogen von Schuld überkamen mich immer wieder, ließen mich den Drang verspüren, alles heraus zu schreien. Innerlich war ich ein einziges Wrack, innerlich schrie ich, weinte ich. Innerlich zerbrach alles in mir. Doch ich blieb still. Meine Familie war noch immer um mein Krankenbett versammelt, ich spürte ihre mitleidigen Blicke auf mir, doch ich konnte mich nicht überwinden, sie an zu schauen. Zu groß war die Scham, dass ich an alle dem Schuld war. Schuld, dass ich hier war. Dass Harry hier war. Dass sie alle hier waren und nicht das machen konnten, was sie sich für den Tag vorgenommen hatten. Die Schuldgefühle zerfraßen mich von innen heraus. Ich hatte das Gefühl, die Decke würde über mir zusammenbrechen. Ich wollte einfach nur hier raus, doch jede noch so kleine Bewegung wurde mit einem warnenden Blick gestraft.

Immer wieder fiel mein Blick auf das Kreuz, doch es waren schon mehrere Stunden vergangen und ich hatte noch immer nichts von Harry gehört. Ich hatte jedem Arzt, der an meinem Zimmer vorbei kam, nach ihm gefragt, doch keiner konnte mir Auskunft geben. Mittlerweile war ich mir sicher, dass sie es einfach nicht wollten. Mein Misstrauen gegenüber den Ärzten und Schwestern wuchs mit jeder Minute. Pure Frustration machte sich in mir breit, während meine Lider erneut immer schwerer wurden. Ich wusste nicht, ob es von dem Beruhigungsmitteln kam oder von den Schmerzmitteln. Vermutlich von beidem.

Meine Mutter stand neben meinem Bett, zärtlich strich sie mir über die Haare. Ich konnte nicht in ihr Gesicht blicken, wollte ihren mitleidigen Blick nicht sehen. Alle behaupteten, sie würden verstehen, wie es mir ging, aber das taten sie nicht. Keiner wusste wie es mich kaputt machte, nicht zu wissen, ob es ihm gut ging. Er könnte gerade seinen letzten Atemzug tun und ich war hier, wer weiß wie viele Gänge und Zimmern entfernt, und konnte nicht bei ihm sein. Jetzt, wo er mich am meisten brauchte, durfte ich nicht bei ihm sein. Und das, obwohl alles meine Schuld war.

„Ihm wird es wieder gut gehen. Er ist stark, das weißt du doch.“ Die sanfte Stimme meine Mutter war überraschend laut in dem sonst so stillen Raum. Mein Blick war auf die Schiene um meinen Unterarm gerichtet, abwesend fummelte ich an dem Klettverschluss herum.

„Ihr müsst nicht hier bleiben“, nuschelte ich leise vor mich hin. Ich spürte die verwirrten Blicke meiner Familie auf mir und atmete einmal tief ein, bevor ich meinen Blick hob.

„Mir geht es gut, ihr könnt gehen. Wirklich. Ich wollte jetzt sowieso schlafen.“ Tapfer lächelte ich meinen Bruder an, doch er blieb skeptisch.

„Es macht uns nichts aus, hier zu sein“, versicherte Jack, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ihr seid seit mehreren Stunden hier. Mir wird hier schon nichts passieren und wenn doch, es ist ein Krankenhaus.“ Abwartend schauten ich meine Familie an, doch keiner von ihnen sagte ein Wort. „Ich will alleine sein, bitte“, murmelte ich leise. Ich hörte meinen Vater leise seufzen und auch mein Bruder schaute nicht gerade begeistert. Sie machten sich alle viel zu große Sorgen, obwohl es doch egal war, wie es mir ging. Es war wichtig, dass es Harry gut ging. Alles, was mir passieren könnte, wäre verdient. Ich wollte nicht länger unter Beobachtung meiner Familie stehen, dieses kahle Zimmer machte mich schon verrückt genug. Und wenn Schlaf der einzige Weg war, meinen Gedanken zu entkommen, dann würde ich es eben so versuchen.

The day you left meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt