Kapitel 45 ~ Flatline.

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Alles war schwarz. So sehr ich es auch versuchte meine Augen zu öffnen, es schien, als seien meine Lider aus Blei. Viel zu stark war der Drang, einfach zu schlafen. Es war alles still, einzig ein gleichmäßiges Piepsen vernahm ich. Es fühlte sich an, als würde etwas auf meinen Brustkorb drücken, ein dumpfes Gefühl breitete sich von dort in meinem ganzen Körper aus, bis hin zu meinem Kopf, wo es in einem Brummen endete. Noch immer war es zu anstrengend, meine Augen zu öffnen. Das stetige Piepsen begleitete mich noch immer, doch langsam begann ich, mehr wahrzunehmen. Als erstes ein stechender Geruch, Desinfektionsmittel. Gefolgt von leisem Gemurmel, das mit der Zeit zu einem Wirrwarr aus verschiedenen Stimmen wurde. Ich verstand, dass etwas gesagt wurde, doch was es war, blieb mir verschlossen. Das nächste, das ich merkte, war, dass sich meine Lungen immer mehr mit Luft füllten, bis ich schließlich alle Kraft aufbringen konnte und nach Luft schnappte. Ein erlösendes Gefühl breitete sich in mir aus, als die Luft mich durch strömte, doch es endete schon nach wenigen Sekunden in einem Husten, das viel mehr einem Röcheln glich.

Ich brachte es schließlich zu Stande, meine letzte Kraft aufzubringen und meine Augen zu öffnen. Grelles Licht schlug mir entgegen, weswegen ich meine Augen wieder zusammenkniff. Sofort wurden die Stimmen um mich herum lauter. Ich hörte Schluchzen, bis plötzlich jemand in meinen Armen lag. Ich öffnete meine Augen wieder langsam, um mich an das Licht zu gewöhnen, und erkannte als erstes meine Mutter. Sie versuchte mich zu umarmen, so weit es mit den ganzen Schläuchen um mich herum möglich war, und weinte noch immer. Neben dem Bett standen mein Vater und Jack, beide konnten sich noch zurückhalten, die Tränen schimmerten dennoch in ihren Augen. Ich befand mich in einem Krankenhauszimmer, mein Kopf tat noch immer höllisch weh und die Schwere auf meiner Brust war ebenfalls noch nicht verschwunden. Ich versuchte, mich zu bewegen, doch spürte sofort ein Ziepen in meiner Armbeuge. Ein Schlauch steckte in meinem Arm und führte letztendlich zu einem Tropf, aus dem weiß Gott welche Medikamente in mich flossen. Panik machte sich in mir breit, ich hatte Krankenhäuser schon immer gehasst. Meine Mutter schien zu bemerken, wie geschockt ich auf den Schlauch in meinem Arm starrte und strich mir sanft über den Kopf.

„Alles ist gut, Schätzchen. Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“ Wieder entkam ein lautes Schluchzen ihren Hals. Mein Vater legte zärtlich seine Hand auf meine, mein Blick glitt zu unseren Händen. Eine Schiene versteckte meinen ganzen rechten Unterarm.

„Mum“, krächzte ich. Mein Hals war wie ausgetrocknet. Meine Mutter griff nach einem Glas auf dem kleinen Nachttisch und hob es vorsichtig an meine Lippen. Nachdem ich einige Schlücke getrunken hatte, schloss ich meine Augen wieder einen Moment. Langsam erinnerte ich mich wieder, warum ich hier war. Der Park, das Auto, der Unfall. Erschrocken öffnete ich meine Augen wieder. Mein Herz raste wie verrückt, die Panik, die ich vor wenigen Minuten noch wegen dem Schlauch verspürt hatte, war nichts verglichen zu den Angstgefühlen, die mich jetzt zu erschlagen drohten.

„Wo ist Harry?“ Meine Stimme war hysterisch hoch, nackte Angst breitete sich in mir aus.

Mein Vater drückte meine Hand etwas stärker, meine Mutter strich erneut eine Strähne aus meiner Stirn. Angsterfüllt schaute ich zwischen meinen Eltern und Jack hin und her, alle hatten den selben besorgten Blick.

„Sarah...“, begann meine Mutter, doch ich war viel zu ungeduldig.

„Wo ist er?“ Ich schrie schon fast, mein Atem ging viel zu schnell. „Mum! Wo ist Harry?“ Die ersten Tränen begannen zu fließen, unaufhörlich bildeten sich neue und rollten meine Wange entlang. „Geht es ihm gut?“, flüsterte ich.

„Wir wissen es nicht. Er musste operiert werden. Das Auto hatte ihn ziemlich schwer erwischt.“ Meine Mutter hatte den selben Ton angeschlagen, wie damals, als sie mir erzählt hatte, dass meine Oma gestorben sei. Sie schaute mich an, als hätte sie Angst, ich würde jeden Moment wie Porzellan zerspringen. Mein Schluchzen wurde immer stärker und zum ersten Mal bahnte sich mein Bruder einen Weg zu mir. Seine großen Arme schlangen sich um meinen bebenden Körper, er ignorierte alle Schläuche und drückte mich an sich. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge und weinte noch immer. „Das ist alles meine Schuld“, schluchzte ich.

The day you left meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt