Das erste woran ich mich erinnern konnte, war der Geruch nach Desinfektionsmittel. Penetrant und intensiv, sodass ich dachte mir würde davon übel werden. Dann war da die Stimme meines Bruders. „Er wird es doch schaffen, oder?" Keine Antwort. Die nächsten Worte waren so weit weg in meinem Kopf, wie durch einen Tunnel hallte alles um mich herum und ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Beim nächsten Mal konnte ich blinzeln. Er war sonnig. Licht fiel durch ein Fenster auf meine weiße Decke. Ich blinzelte noch ein paar Mal. Wie zum Teufel war ich her gekommen? Und wo war ich genau? „Bin ich froh!", kam es plötzlich von der anderen Seite. Mit großer Mühe drehte ich den Kopf, es war anstrengend und mein Gehirn fühlte sich matschig an, unkonzentriert.
Auf einem Stuhl saß Mutter. Sie presste sich ein Taschentuch aus feinem Stoff auf den Mund und fächerte sich mit der anderen behandschuhten Hand Luft zu. Eine Geste die sie sich angewöhnt hatte um die Tränen, die in ihren Augenwinkeln glitzerten zurückzuhalten. „Mama...", stieß ich heiser hervor und versagte kläglich bei einem Lächeln. Da flossen die Tränen und sie beugte sich vor, umarmte mich viel zu zaghaft und drückte mir Küsse auf die Stirn. Mit zitternder Hand schob ich sie zurück. Sie lächelt unter Tränen und wischte mir mit dem Taschentuch ihren Lippenstift von der Stirn.
„Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?", fragte sie ruhig, als sie sich im Stuhl zurücklehnte. Ich räusperte mich, doch das pelzigen Gefühl auf meiner Zunge blieb. Aus Misstrauen gegenüber meiner Stimme schüttelte ich lediglich den Kopf. Ich fühlte mich zwar nicht gut, soweit würde ich nicht gehen. Aber es ging mir nicht schlecht, was, wie ich später wusste auch an den Infusionen lag, die mich mit Nahrung und Flüssigkeit versorgten und in eine Opium Wolke hüllten, die mich für den Moment sorglos machte.
„Ich bin so froh!", wiederholte meine Mutter immer wieder und legte meine Hand auf ihren Schoß, um sie die ganze Zeit über fest gedrückt zu halten. Ihre Hände waren klein gegen meine, sie brauchte beide um meine ganz zu umfassen. Ich lächelte und schaute auf unsere Hände. Fasziniert, wie kräftig ihre von jahrelanger Näharbeit geworden waren.
Wir schwiegen uns lange an. Sie wusste nicht was sie sagen sollte, so erschüttert von ihren Glücksgefühlen mich unbeschadet wiederzuhaben und ich fühlte mich nicht in der Lage einen klaren Gedanken zusammenzufassen. Schließlich schluckte sie hörbar und schaute mir tief in die Augen. „An was... kannst du dich erinnern?", fragte sie zaghaft und drückte meine Hand fester. Ich presste Lippen zusammen. Da mein Gehirn sich zu dem Zeitpunkt nicht fokussieren wollte, kam mir alles wie eine graue Pampe vor, die aus Urwald, Explosionen und Blut bestand. Ich schüttelte erneut den Kopf. „An gar nichts.", antwortete noch immer heiser und senkte den Blick. Meine Mutter drückte meine Hand nich einmal, dann ließ sie sie los. „Ist schon gut. Darüber können wir uns später Sorgen machen." Ihre warme Stimme war tröstlich und wirkte wie eine Umarmung auf mich. Wie in Kindertagen wollte ich mich in diese Stimme fallen lassen. „Singst du mir etwas vor?", fragte ich und musste mich anstrengen, die Frage klar herauszubringen. Sie war überrascht, ihre Augenbrauen wanderten in die Höhe, doch dann nickte sie.
Ich schloss die Augen, es tat gut. Die Hand meiner Mutter streichelte behutsam durch mein Haar, während sie anfing leise zu singen. Es war schön, so unendlich schön. Die Wärme ihrer Hand und der Klang ihrer Stimme ließen mich langsam wieder in den Schlaf sinken. Ich fühlte mich geborgen und sicher, während ich allmählich dahin schlummerte, als könnte nichts in der Welt mir schaden und nichts diese gemeinsame Zeit zerstören. Alles würde ewig so weitergehen, genau hier, genau in diesem Augenblick. Ich war glücklich und ich lächelte, vielleicht das letzte Mal für eine lange Zeit...
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Nächste Woche gibt's das nächste Kapitel :)
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Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...