Epilog

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Es wurde Frühling. Ich konnte es daran erkennen, dass der Schnee langsam schmolz und immer mehr von dem grünen Gras freigab, das er versteckte. Beinahe zwei Monate waren seit dem Vorfall mit Henry vergangen und noch immer wirkte der Schock nach, wenn nach außen hin auch alles seine Normalität widergefunden hatte.

Ich saß draußen auf der Terasse auf der neugestrichenen Bank vor dem Fenster. Es fühlte sich alles so seltsam an, aber vielleicht war das auch noch der letzte Rest meines Flashbacks, den ich vor einigen Tagen auf Grund eines Berichtes im Fernsehen bekam. Stefan hatte nicht schnell genug weggeschaltet, als sie über den Fall der Kubakrise debattierten. Die Bilder von Soldaten hatten schon gereicht, um mich völlig aus der Bahn zu werfen. Und so peinlich ich das auch fand, so verständnisvoll und heilsam war meine Familie, vor allem Anne damit umgegangen. Sie war nicht fortgegangen, auch nicht, als ich getobt und mich gegen alles gewehrt hatte. Anne war geblieben.

Ich schaute nachdenklich auf die Protesen aus Metall und Plastik herunter, die meine Beine ab dem Knie abwerts ersetzen sollten. Es war immer noch ungewohnt, doch die Ärzte hielten es für das Beste es jetzt schon mit mir auszuprobieren. Wenn ich darüber strich merkte ich es natürlich nicht, wenn ich mich stieß spürte ich nur das Abprallen, aber es war... gut. Ich fühlte mich fast wieder ganz, fast wieder normal dadurch. Und mit jedem Tag merkte ich, dass ich stärker wurde, dass es mir leichter fiel mit diesen ganzen Erinnerungen umzugehen.

"Worüber denkst du nach?", fragte Anne neugierig neben mir. Sie hatte einen dampfenden Tee in den Händen und ihre runde, grünen Augen sahen mich mit unversteckter Frage an. Ich lächelte kurz schief. "Ich denke über die letzten Monate nach. Alles ist irgendwie so schnell gegangen. Der Umzug, Stefans Einberufung zur Army, das hier...", ich deutete auf die Protesen. Anne erwiderte mein Lächeln. Sie war nun seit einigen Wochen achtzehn und war legal mit mir zusammen gezogen. Auch wenn wir uns noch einpendeln mussten und der Großteil der Kisten noch nicht ausgepackt war, so merkte ich doch mit jeder Faser, dass es das richtige war. Julie war bei meinen Eltern und lebte sich erstaunlich gut in das Familienleben ein. Vor allem meine Mutter vergötterte sie nach dem Vorfall mit Henry regelrecht. "...und natürlich die Wideraufnahme deiner Ausbildung.", fügte ich noch hinzu und sah wie Anne zu schmunzeln anfing. Sie mochte diesen Job wirklich und mit einigem guten Zureden hat ihr Chef sie auch zähneknirschend wieder aufgenommen. Er hatte jetzt ein Auge auf sie, hatte er gegrummelt. Würde sie noch einmal zu lange fehlen konnte sie die Ausbildung in seinem Team vergessen. Aber Anne war motiviert und ging mit Selbstbewusstsein gegen sein Misstrauen vor. Ich war zu stolz auf sie.

Da kam mir eine Sache in den Sinn, der mich dann doch wieder leicht betrübte. "Ich habe dir nie erzählt, was wirklich in Vietnam passiert ist. Wieso ich... verletzt wurde.", sagte ich stiller werdend und Annes Fröhlichkeit erstarb sofort. "Nein, aber in deiner Krankenakte stand was passiert ist. Das du deinen Freund beschützen wolltest, und dich wegen ihm in die Explosion geworfen hast. Das war sehr mutig von dir.", begann sie betroffen zu sagen, doch ich lächelte nur freudlos auf. "Das ist nicht, was wirklich passiert ist, Anne." Ich atmete tief durch, ich würde es schaffen, Anne sollte die Wahrheit kennen. Sollte mich kennen. "Ich wollte desertieren, weil ich das alles nicht mehr ausgehalten habe. Diese sinnlosen Einsätze, die noch sinnloseren Befehle, diese Befriedungen von Dörfern... Das einzige was wir getan haben, waren angeblich kommunistische Bauern dafür zu bestrafen das sie das Pech hatten uns in die Quere zu kommen. Bestimmt waren einige davon wirklich nicht so harmlos, hatten Dreck am Stecken. Aber das Blut der Frauen und Kinder die getötet und vergewaltigt wurden klebt an unseren Händen und macht uns keinen Deut besser als jeder kommunistische Führer. An dem Abend, mein Kamerad wurde während des letzten Schusswechsels schwer verletzt, habe ich es endgültig nicht mehr ertragen. Ich wollte mich zur nächsten Stadt vorschlagen. Hätte mich wahrscheinlich ins Gefängnis gebracht, aber alles war besser als täglich dieses Leid zu sehen. Doch so weit kam ich, wie du weißt, nicht. Ich zerte Seb mit mir, hatte aber schon bald die Orientierung verloren, also suchte ich nach einer Lichtung, um mich an den Sternen zu orientieren. Dann war da dieser Mann. Ich wusste gleich, dass er gefählich war, vielleicht aus Intuition... Ich versuchte uns auf jeden Fall zu verstecken, aber er hatte uns gesehen und warf eine Handgranate... Den Rest kennst du sicher.", erzählte ich leise und ruhig. Nachdem ich endete sahen Anne und ich uns lange an ohne zu sprechen. Ich versuchte zu erraten was sie dachte, doch ihr Blick verriet mir nicht viel mehr außer tief empfundenes Mitgefühl. Da war kein Vorwurf in ihren Augen, kein Urteil.

Schließlich ergriff sie langsam meine Hand, lehnte sich an mich und atmete tief durch. Es war mir Antwort genug, ich erwartete keine lieben Worte des Mitleids. Ich hatte meine Entscheidung getroffen und dafür hatte ich einen Preis bezahlt. Aber ich lebte, und ich hatte eine der wunderbarsten Frauen getroffen, die ich eigentlich gar nicht verdiente. Aber Anne war hier, bei mir, war gewachsen an den Ereignissen, die sie aus ihrer eigentlich nicht so unschuldigen Kindheit gerissen hatten, wie ich zuvor angenommen hatte. Ich seufzte stumm un mich hinein. "Also ist das doch keine Trotzreaktion, dass du jetzt bei mir bist.", stellte ich trocken fest. Anne hob irritiert den Kopf. "Wie bitte?", fragte sie offen verwirrt, als hätte sie sich verhört. Ich lachte leise und verlegen. "Naja, einer der ersten Gedanken, den ich hatte warum eine so hübsche, junge Frau sich für so einen ungehobelten und depressiven Kerl wie mich entscheiden sollte, war, dass du aus Trotz handelst. Aus Trotz deinen Eltern gegenüber, die einen schicken, vornehmen Schwiegersohn erwarten, einen Arzt oder Anwalt, der dir zu Weihnachten Diamantketten schenkt. Und ich bin da das komplette Gegenteil.", meinte ich amüsiert, während Anne mich mit einem errötenden Gesicht ansah. Sie boxte boxte mir halbherzig gegen die Schulter und seufzte dann halb kichernd. "Heißt das etwa, du schenkst mir keine Diamantketten?", fragte sie mit neuerlichem, fast kindlichen Schalk. Ich zog die Augenbrauen hoch, und schaute sie gespielt empört an, konnte mein Grinsen jedoch kaum verstecken. Sie quitschte kichernd auf, als ich sie packte und auf meinen Schoß zog. Dort hielt ich sie fest und sah sie schief lächelnd an. "Du kriegst von mir alles was du willst.", meinte ich gedämpft und sah wie Anne sich auf die Unterlippe biss. Sie sah mir in die Augen und ich spürte ihre tiefe Zuneigung, wie meine eigene.

Dann wurden wir jäh unterbrochen. "Hey, ihr Turteltauben!" Die Stimme kam mir eigenartig bekannt vor und als ich zum Weg an der Straße sah, war ich wirklich für einen Moment verwirrt. Dieses breite Grinsen, das blonde, gut frisierte Haar und die verbrannte Haut, die an seinem Hals aus dem Kragen hervorlugte. Auch Anne hatte sich nun umgedreht und sah den kurzen Fußweg zur Straße hinunter. Neben dem Mann stand eine bildhübsche Frau mit einem Kinderwagen und jetzt erkannte ich den Mann, der nun theatralisch enttäuscht den Kopf schüttelte und näher kam. "Da lässt man euch nur ein paar Wochen allein und schon könnt ihr nicht von einander lassen. Ich habe dir gleich sagen können, dass du und unsere kleine Krankenschwester gut zusammenpassen, aber dann hättest du mich nur wieder vom Gegenteil überzeugen wollen. Wie auch immer, ich bin froh, dass du dich doch noch dazu durchgerungen hast, Gefühle zuzulassen.", plapperte er froh drauf los. Eine seiner Spezialitäten, wie Derren mit einem wohligen Gefühl wieder erkannte. Er war eben schon immer, selbst in den dunkelsten Tagen ein Sonnenschein... "Also wirklich, Derren, ohne die ganzen Verbände bin ich wirklich ein Fremder für dich, nicht wahr?", fragte Luke nun empört, als ich noch immer nichts sagte. Ich konnte spüren wie sich ein fröhliches Lächeln in meinen Mundwinkeln breit machte. "Ein Fremder, der noch immer viel zu viel redet.", murmelte ich und sah wie Luke die Augen verdrehte. Mit seiner Frau kam er zu mir und Anne rüber. "Also habe ich mich doch nicht in der Hausnummer geirrt, die man mir am Telefon gesagt hat.", sagte er resigniert, doch sein Lächeln strahlte... wie immer. Sein ganzes Gesicht sprach von absoluter Freude, Derren - und auch Anne - nach langer Zeit wiederzusehen.

Als sie vor uns stehen blieben, nickte Luke seiner Frau zu, die daraufhin einen weißen Umschlag aus ihrer Tasche zog. Ein Brief. Unterdrückt lächelnd gab sie ihm Luke, der ihn mir überreichte. Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Ist das der Grund warum ihr hier seid?", fragte ich misstrauisch und sah Luke nicken ehe er mir bedeutete den Brief umzudrehen. Ich drehte den Brief also um, und darauf stand in geschwungener silbener Schrift „Einladung zur Hochzeit".

Ende


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