Tick-Tack tick-tack. Blacks Büro war leer und still. Man hatte mir gesagt hier zu warten bis Black wieder zurück war. Wo auch immer er sich gerade rumtrieb. Kaffeepause mit den Schwestern? Pläuderchen mit dem Chefarzt? Oder er verwandelte sich in eine Spinne... Nichts schien mir bei ihm unmöglich. Jedenfalls rätselte ich seitdem in der Stille, ob ich es besser finden würde für alle Ewigkeit hier zu warten oder das Black gleich reinkam, um unsere kleine Sitzung zu beginnen. Ich tendierte zu ersterem.
Tick-tack. Das Geräusch nervte mich. Zuhause hatten wir in der Stube auch immer eine stehen. Schrecklich dabei Hausaufgaben machen zu müssen. Doch jetzt hatte ich keine Wahl. Ich seufzte, dehnte meinen verspannten Nacken und besah mir dann die Bücher in den Regalen etwas genauer. Das meiste waren Bücher über Psychologie, wer hätte es gedacht und tropische Pflanzenarten aus Indien. Das erklärte immerhin die Menge an Pflanzen in diesem Büro. Er schien zu jeder Pflanze ein Buch zu haben. Und dann wieder Psychologische Krankheiten. Nichts persönliches. Keine Bilder an den Wänden - soweit ich das beurteilen konnte - und keines auf dem Schreibtisch. Black war wie ein Phantom, ein Geist über den ich nichts herausfinden sollte.
Ich rollte zum Fenster. Draußen schien Sonne auf Bostons Harfen. Ein selten schöner Anblick, der dazu einlud an alte, friedliche Zeiten zu denken. Als ich noch ein Kind war sind wir mit den Passagierschiffen bis nach New York gefahren. Die Küste war traumhaft. Es war warm, Sommer, vielleicht schon etwas zu warm als ich mich winkend von Boston verabschiedet hatte. Die Häuser hatte in der Sonne geblitzt und mit der Hand haben ich und mein Bruder versucht das eiskalte, atlantische Fahrwasser an den Schiffsseiten zu erreichen, wenn es hochspritzte. Gute Erinnerungen...
Doch ich wurde je aus ihnen gerissen, als sich die Tür laut öffnete und Black eintrat, den Kaffee noch in der Hand. Aha, dachte ich bei mir. „Schön Sie wiederzusehen.", sagte Black, schloss die Tür eilig und ging um seinen Schreibtisch herum. Er ließ sich in den Stuhl sinken, als hätte er es eilig mit mir zu reden, ganz wie eine Art Vorfreude. Ich wollte nicht. Das schöne, hautdünne Gefühl des Glücks, das an der letzten Erinnerung klebte war zerfetzt und ließ sich nicht wieder beschaffen. „Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten. Ich hole nur schnell meinen Zettel...", er verweilte auf der letzten Silbe, während er mit der Hand ein weißes Stück Papier aus einer Schublade fischte und es auseinander faltete. Wahrscheinlich der Zettel von gestern. Ich seufzte erneut, schwerer diesmal und wandte mich ab von Boston, der Erinnerung und rollte zu dem ganz realen Tisch, um mich neben einem Stuhl davor zu platzieren.
„Woran dachten Sie eben? Ich habe gesehen, dass sie an etwas schönes dachten, Sie haben gelächelt.", begann Black und faltete die Hände auf dem Tisch. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe nur Boston angeschaut, den Harfen. Bei Sonne sieht alles gleich viel besser aus.", sagte ich schlicht und schielte nach mal zum Fenster rüber, ehe ich Blacks Blick versuchte standzuhalten.
„Ja, das ist wahr. Das weckt bestimmt Erinnerungen in Ihnen.", riet Black richtig und musterte mich neutral. Wie gestern auch wirkte er ruhig und bedacht. Seine Worte waren im leichten Plauderton, wie zu einem guten Freund. Ich kniff die Lippen aufeinander. Es widerstrebte mir ihn an meiner Erinnerung teilhaben zu lassen. Er merkte meine abwehrende Neigung schnell. „Naja, ich selbst komme nicht aus Boston. Erst als ich studierte, hatte ich Kontakte nach Harvard und bin schließlich auch hier her gezogen. Aber ich zum Beispiel erinnere mich an den ersten Morgen, den ich im Büro durchgearbeitet habe. Es war winer der schönste Sonnenaufgänge, die ich je erlebt habe. Genau über dem Harfen und intensiv wie ich ihn früher nicht wahrgenommen habe.", erzählte Black und lehnte sich tatsächlich ein Stück zurück, seufzte und lächelte dann. Ich blieb stumm. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich hatte den Sonnenaufgang oft hier in Boston beobachtet. Irgendwann wurde es normal, wie alles normal werden kann auf Dauer.
„Nun gut, heute werden wir zum Zeitpunkt Ihres Traumas zurückreisen und darüber reden. Das könnte möglicherweise eine sehr intensive Erfahrung werden, deshalb scheuen sie sich nicht Stopp zu sagen, dann machen wir selbstverständlich eine kleine Pause und reden erstmal über etwas anderes. Es ist wichtig, dass Sie dabei ehrlich zu mir sind und die Gefühle zulassen, die von Ihnen Besitz ergreifen werden, nur so kann Ihnen geholfen werden.", sagte Black nun plötzlich erschreckend professionell und ernst, nachdem ich eine Weile geschwiegen hatte. Ich schluckte, meine Fingernägel begannen nervös an den Armlehnen des Rollstuhls zu pulen, aber ich nickte. Ich stand wie unter Strom, alles in mir sträubte sich gegen diese schreckliche, grausame Erinnerung.
Eine Gänsehaut zog sich von meinen Armen über meinen Nacken, runter an meinem Rücken, über den Bauch bis zu meinen Beinen. „Ich könnte Ihnen jetzt ganz nüchtern betrachtet erzählen was geschehen ist, aber ich würde gern Ihre Eindrücke als erstes hören. Erzählen Sie mir was da passiert ist.", endete Black auffordernd und lehnte sich zurück. Ich starrte ihn an, kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und dem Nasenrücken. Langsam atmete ich tief durch und schloss die Augen. Ich würde das nur einmal erzählen, danach nie wieder. Nicht mal daran denken wollte ich. „Dieses Gespräch bleibt privat, oder?", fragte ich nur zur Sicherheit. Black nickte. „Absolut privat, auch ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht." Ich nickte ebenfalls und atmete noch einmal tief durch. Dann schloss ich die Augen un zu beginnen.
„Ich bin desertiert. Oder eher gesagt wollte ich das." Es war schwer es in Worte zu fassen was ich fühlte, als ich dies endlich gestand. Einerseits erleichternd, andererseits erschreckend das ich von meiner eigenen Person sprach. „Unser Offizier... war schlecht. Vom ersten Tag an, als ich in Vietnam ankam war er mir unsympathisch. Er traf Entscheidungen die er nicht begründete, nicht erklärte. Es war einfach so, keine Wiederrede erlaubt.", erzählte ich und verzog den Mund. All diese Erinnerungen rieselten wie kalter Regen auf mich ein. „Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist. Das habe ich dort verstanden. Du kämpfst für andere, nicht für dich oder dein Land. Es sterben immer die falschen, die richtigen sind nicht auf dem Feld, da draußen." Es sprudelte mir einfach über die Lippen, und es war befreiend es zu sagen. Endlich konnte ich es sagen. Vielleicht hatte Black gelogen und unter dem Tisch befand sich ein Diktiergerät, aber jetzt wo ich erstmal angefangen hatte, kam alles wieder hoch. Die Wut auf Offizier Hamm, die Ohnmacht, die ich plötzlich gefühlt hatte, die Trauer über die Toten, die Unschuldigen die ich gezwungen war zu töten und der Horror vor ihren schreienden, klagenden Gesichtern in meinen Träumen. Alles war wieder da, alles was mich zu dem Entschluss brachte zu desertieren.
„Können Sie Beispiele nennen? Welche Entscheidungen Ihr Offizier gemacht hat, weshalb Sie so wütend sind?", fragte Blacks milde, beinahe zurückhaltend Stimme als wolle er mich nicht stören. Ich lachte trocken und freudlos, die Augen noch immer geschlossen. „Einmal hat er uns befohlen ein kleines Dorf anzugreifen, da er dort das Versteck von hohen Funktionären vermutete. Aber alles was wir dort fanden waren Frauen, Kinder und alte Männer. Wir hatten den Befehl alle zu erschießen. Jeden einzelnen von ihnen.", sagte ich immer leiser werdend. Meine Lippen kribbelten taub und Tränen wollten sich mir in die Augen stehlen. Doch ich rang sie nieder. Wieder einmal rang ich sie nieder. „Mein Kamerad wurde während eines Einsatzes verletzt. Ich habe die letzten Wochen wie ein Bruder mit ihm zusammengelebt. Er wurde immer schwächer und niemand wollte ihm richtig helfen, als ich mit ihm weglief. Er war schwer. Und es war so warm." Ich schluckte fieberhaft, erneut war es mir, als könnte ich die drückende, feuchte Hitze auf meinem Gesicht spüren. Mir wurde schlecht. „So... warm.", wiederholte ich und hielt mich nun angestrengt am Rollstuhl fest. Meine Ohren begannen auf einmal zu rauschen. War das Blut, das ich da roch? Ich schrie auf, und übergab mich zitternd. „Er... er hat geblutet... hat geblutet...", erzählte ich keuchend weiter und würgte. Da legte sich mir eine kühlte Hand auf die heiße Stirn. „Trinken Sie etwas, Mr. McConnell.", sagte er bestimmte, drückte mir ein Glas Wasser in die zitternde Hand und führte sie zu meinem Mund. Mir war heiß, meine Nase erfüllt von Blut. Später wusste ich, dass es mein eigenes war, denn ich hatte mir auf die Lippe gebissen vor Aufregung.
Ich nickte abwesend, zwang meine Augen auf und nippte am Wasser.
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Soldiers Scars #PlatinAward
Aktuelle Literatur„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...