Kapitel 42 - Badezimmer

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„Aber helfen kann mir niemand.",fügte ich voll ernster Bitterkeit hinzu und zerstörte den Moment, den ich eigentlich so genoss. Aber Anne musste es wissen. Sie musste die Wahrheit wissen, in all ihrer ungeschönten Wirklichkeit. Doch zu meiner Überraschung reagierte Anne nicht wie erwarten. Sie atmete geräuschvoll an meiner Brust aus, als hätte sie das bereits erwartet zu hören. Dann war sie ein paar Minuten vollkommen reglos, lauschte auf seinen Atem wie ich auf ihren achtete. Er hatte sich beruhigt, war jetzt langsam und gleichmäßig. So wie es sein sollte. Zuvor hatte es mir schier das Herz gebrochen wie aufgelöst sie war, denn natürlich hatte sie die Szene mit meiner blanken Wut Stefan gegenüber falsch interpretiert. Sie hatte das alles auf sich bezogen, sich die Schuld an meinem wütenden Anfall gegeben, als wäre das alles nur wegen ihr passiert. Aber die Wahrheit war, Stefan hätte sich bei ihrem Fortbleiben etwas anderes ausgedacht, um mich zu provozieren. Es wäre nicht das erste Mal, seine Eifersucht war schon immer leicht geweckt worden. Jedesmal wenn ich etwas hatte, was er nicht kriegen konnte, hatte er sich was überlegt, um mich darum zu betrügen. So war einfach seine Art, ich hatte aufgehört mich über wen anderes zu ärgern außer ihm.

„Ich weiß.", kam Annes verspätete Antwort auf meine deprimierend Worte. Sie rappelte sich langsam aus meinen Armen auf. Sie wirkte zerbrechlich, wie sie so dasaß, sich die längst versiegten Tränen wegwischte und mir dann ein wackeliges Lächeln schenkte. Sie wirkte nicht hoffnungsvoll, aber sie nahm auch nicht die Traurigkeit an, die ich ausstrahlte. Sie wusste um meine Lage, und dafür hätte ich sie gleich wieder umarmen können. Anne wusste so viel für ihr junges Alter, und was sie nicht wusste, versuchte sie intuitiv zu machen. „Ich glaube, wir sollten uns etwas fein machen, bevor wir zurück gehen.", meinte Anne da verlegen kichernd und schaute mich an, ob ich eine Reaktion zeigte. Ich gestand mir ein Nicken ein und warf einen Blick auf den Rollstuhl, aus dem ich mich vor blinder Wut geworfen hatte. Anne folgte meinem Blick, stand rasch auf und schob den Rollstuhl in meine Nähe. Dankbar sah ich zu ihr auf, auch wenn mein Blick wahrscheinlich noch immer so leer war wie zuvor.

Beschwerlich robbte ich mich dem Rollstuhl entgegen und kletterte mit Annes Hilfe in den Sitz. Auch, wenn es mir innerlich widerstrebte Hilfe anzunehmen, war ich doch froh, dass Anne da war. Ohne sie würde es viel länger dauern, wieder in den Rollstuhl zu kommen. „Das Bad ist im Flur.", informierte ich sie schlicht. Sie nickte registrierend und ging, von mir gefolgt voran. Zurück auf den mir hell erscheinenden Flur und beinahe meinem Zimmer gegenüber ins Bad. Es war nicht sehr groß, sondern nur das Gästebadezimmer, aber es war groß genug, dass wir beide hinein passten.

Ich schloss die Tür, leise hinter uns und fand Annes abschätzig in den Spiegel blickend hinter mir. Ihr Make-up war verlaufen, natürlich, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Kritisch fuhr sie sich über das Gesicht, als könnte das helfen, die Unordnung zu beseitigen. Ich holte wortlos einen Lappen aus einem weißen Schrank neben mir und reichte ihn Anne, die ihn mit einem schüchternen ‚Danke' annahm. Sie befeuchtete ihn im Waschbecken und begann sich dann zu reinigen. Ich sah auch mich im Spiegelbild, und wollte eigentlich gleich wieder wegsehen. Alles war wie immer, die Depression hatte mein Gesicht gezeichnet mit Blässe und Müdigkeit. Es war also alles wie immer. Ich rang mich dazu, mit dem Kamm ein paar mal durch mein nun wieder wachsendes Haar zu fahren, um wenigstens den Anschein zu machen, mein Aussehen würde mich interessieren. Nachdem ich mich, etwas zu schnell mit dem Ergebnis zufrieden gab, sah ich wieder zu Anne. Sie legte gerade den Lappen auf den Waschbeckenrand und kämmte sich mit den Fingern ein paar mal durchs Haar. Und was ich sah, ließ mich erstarren. Die Röte ihrer Augen kam nur zum Teil von den Tränen. Ihr eines Auge war gelb-lila umrandet, was ich zuvor nicht unter dem Make-up sehen konnte. Es bestand kein Zweifel, woher sie es hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ich sowas sah. Unter Soldaten gab es auch mal Streitigkeiten, die mit Fäusten geregelt wurden. Ein gezielter Faustschlag aufs Auge ließ einen besonderen Bluterguss entstehen. So wie es aussah was dieser hier schon einige Tage alt, aber trotzdem noch gut sichtbar. Und die Wut darüber regte sich in mir wie ein lebendiges Tier.

Anne bemerkte meinen durchaus wieder finsteren Blick durch das Spiegelbild und wandte die Gesichtshälfte mit dem verletzten Auge unauffällig von mir ab. Ich schnaubte stur und drehte sie mit sanfter Bestimmtheit zu mir herum, was ihr ganz offensichtlich widerstrebte. „Wer war das?", fragte ich und versuchte nicht allzu aufbrausend zu klingen, um sie nicht wieder zu beunruhigen. Sie schluckte sichtbar und zuckte gespielt ahnungslos mit den Schultern. „Was denn?", fragte sie etwas zu unsicher, als dass es wie echte Ahnungslosigkeit gewirkt hätte. Ich musste es ihr nicht zeigen, sie wusste, wovon ich redete. Gott, wie gerne ich dem Scheißtypen der ihr das angetan hatte jetzt das Gesicht eingeschlagen hätte. Doch ich versuchte meine Wut im Zaum zu halten. Es würde Anne - und auch mir - nicht helfen, wenn ich vor Wut schäumend dastand und ihr befahl mir den Namen von dem Typen zu geben. „Stefan?", kratzte meine Stimme den Namen hervor. Nicht, dass ich Stefan sowas zutrauen würde. Er war zwar ein Egoist, aber kein Schläger, der es auf wehrlose Frauen abgesehen hatte. Ich bezweifelte sogar, dass er überhaupt jemals eine Frau absichtlich verletzt hatte, aber jetzt gerade traute ich ihm keine Armlänge über den Weg. Nach der Aktion, die er sich schon geleistet hatte, war er für mich vollkommen gestorben. Doch Anne schüttelte den Kopf. Nicht Stefan. „Wer dann?", fragte ich eindringlich und drückte ihren Arm sanft. Doch Anne schüttelte wieder den Kopf und begann dann unehrlich zu lächeln. „Niemand, ich habe mich einfach blöd gestoßen. Das ist alles.", erklärte sie kurz angebunden. Ich legte ungläubig die Stirn in Falten, sagte aber nichts weiter dazu. Natürlich hatte sie sich nicht gestoßen, so viel stand fest, meine Erfahrung betrog mich nicht, aber ich wollte sie nicht weiter bedrängen. Egal wer es war, sie fühlte sich verpflichtet, diesen Jemand zu schützen. Ein Jemand, der ihr offensichtlich wehgetan hatte. Und ich hasste ihn jetzt schon dafür.

Ich hätte weiter fragen können, aber ich bezweifelte, dass ich die Wahrheit hören würde. Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu. Ich presste unglücklich die Lippen aufeinander und reichte ihr dann ein Handtuch. Sie nahm es hin und tupfte sich damit das Gesicht trocken. Nach kurzem Überlegen zog ich die Schminktasche meiner Mutter aus dem Regal neben mir und hielt ihn Anne ebenfalls hin. Anne zögerte überrascht. „Meinst du denn, dass ist in Ordnung, wenn ich das benutze?", fragte sie unsicher und nahm die Tasche vorsichtig hin. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht, dass sie es überhaupt bemerken wird.", meinte ich lapidar und sah wie Anne kurz die Stirn runzelte, sich dann aber entschied, dass ich vermutlich recht hatte. Sie suchte sich ein paar Sachen heraus, die mir alle absolut nichts sagten und begann dann sich frisch zu machen. Ich sah ihr dabei zu und hielt es für absolute Zauberei, wie man aus dem Zeug etwas malen konnte, was nicht hässlich oder komisch aussah. Sie war geschickt, machte kleine Bewegungen deren Wirkung ich teilweise nicht mal sehen konnte. Sodass nach und nach das blaue Auge fast vollständig verschwand. Anne besah sich noch einmal kritisch und gab mir die Schminktasche dann zurück. „So muss es gehen. Ich weiß es ist nicht besonders schön, aber-", begann sie kritisch, doch ich unterbrach sie mit einem schmalen Lächeln. Das erste Lächeln, dass ich seit Wochen mit den Lippen formte. Und es fühlte sich ungewohnt und schwer an. „Du siehst gut aus." Anne biss sich lächelnd auf die Unterlippe. Ich konnte sehen wie sie errötete, ehe sie sich verlegen die Kleidung glatt strich. Ein Vorwand, um mich nicht mehr ansehen zu müssen. War mein Lächeln so misslungen? „Danke", flüsterte sie und räusperte sich dann, während ich alles wieder an seinen Platz packte.

Dann öffnete ich die Tür und bedeutete Anne vor zu gehen. „Wir sollten gehen. Du hast sicher Hunger und meine Eltern warten bestimmt schon mit dem Essen.", erwähnte ich nebenbei und fuhr hinter Anne in den Flur. Sie drehte sich zu mir um. „Kommst du mit?", fragte sie vorsichtig. Ich musste zugeben, dass ich keinen besonderen Appetit verspürte und mir allein beim Gedanken an Essen ein Seufzer entweichen wollte, aber Anne sah mich so hoffnungsvoll und mit leuchtenden Augen an, dass ich nachgeben musste. Es war ja auch irgendwie unhöflich, jetzt abzulehnen. Auch wenn ich mir das Essen nur ihr zu Liebe runter würgen würde. Ich sah sie also an und nickte, während ich mich wieder an einem Lächeln versuchte. Annes Augen begannen zu leuchten und sie erwiderte mein Lächeln strahlend. Und für einen Moment sah sie so jung aus, wie sie es eigentlich war. Keine Trauer, oder Unsicherheit, keine Sorge und der Drang, erwachsen zu wirken. Für einen Moment war sie nur sie selbst. Anne. Und ich konnte keine Sekunde meinen Blick von ihr abwenden.

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