Kapitel 40 - Inferno

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Ich sah diesen Moment wie im Zeitraffer. Eben noch war ich wie paralysiert über Annes Erscheinen, da sah ich wie Stefan sie mit einem harten Schwung zu sich drehte und mir ein triumphierendes Lächeln zuwarf, ehe er Anne vor meinen Augen küsste. Alles zog sich in mir zusammen, alles was ich in den letzten Wochen als tot geglaubt hatte meldete sich mit einem flammenden Inferno wieder, das mit einer Wucht in mich einschlug, die mir den Atem raubte. Ich verzog den Mund bei ihrem Anblick, versuchte wegzusehen, aber es gelang mir nicht. Auch Anne zuckte zusammen, ich konnte sehen wie sie der Moment durchfuhr wie ein Stromschlag. Sie schaffte es Stefan grob wegzustoßen, ihr Gesicht glühte rot und sie bebte, als ob sie gleich anfangen würde zu weinen. Ihre zitternde Hand legte sich ungläubig über ihren Mund, nicht so ganz glaubend, dass das hier wirklich passierte. Wut und Entsetzen kämpften miteinander in ihrem Blick, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie wütend oder enttäuscht sein sollte von Stefan, der relativ unberührt von der Szene schien. Er zuckte mit den Schultern und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Und dann sah Anne zu mir. Ängstlich, um Verzeihung bittend, hilflos. Als wolle sie sich entschuldigen für etwas, was gar nicht ihre Schuld war. Ein tiefes Grollen entwich meiner Kehle, ein Laut, wie ich ihn nie zuvor aus meinem Mund gehört hatte. Mein nun vor Wut triefender Blick galt eigentlich Stefan, der ihn mit einem wölfischen Lächeln zur Kenntnis nahm, doch Anne missverstand ihn. Sie wollte vorsichtig auf mich zugehen. Wisperte abgehackt: „Es tut mir leid! Ich wollte das nicht... ich... wollte das nicht! Oh Gott, es tut mir so leid..." Doch bevor sie weiter zu mir kommen konnte fing Stefan sie wieder ein und legte die Arme um ihre Mitte. Es war ersichtlich, dass sie das nicht wollte. Mein Blick wurde finsterer, mein Organismus kam mit einem schmerzhaften Brennen wieder in Schwung, was seit Wochen nicht mehr der Fall gewesen war und mich mit seiner flammeden Gewalt erschreckte. „Stefan...", knurrte ich und fuhr mit dem Rollstuhl etwas vom Tisch ab, ihm entgegen. „...lass sie los!" Stefan schient für einen Moment überrascht über die Heftigkeit meiner Reaktion. Seine Augen weiteten sich. Anne versuchte sich weiter aus seinem Griff zu befreien, doch Stefan war trotz seiner offenliegenden Überraschung, die ihn ablenkte stärker als sie. Von ihren schwachen Versuchen ließ er sich kaum beeindrucken. Ich stierte ihn an, mein Herz schlug wie ein Presslufthammer und pumpte Blut in meinen ganzen Körper. Wie unter Strom spannte sich mein Körper an und ich war mir sicher, dass auch Anne und Stefan es spüren mussten.

Mit zunehmender Wut, fuhr ich zu den beiden rüber und überwand die zwei Meter, die uns bisher getrennt hatten. Was uns jedoch wirklich trennte, klaffte mit diesem Tag auseinander und ich war mir nicht sicher, ob man diesen Anstand jemals überwinden konnte. Mit wild Funken sprühendem Blick schaute ich zu Stefan auf, der sich wieder etwas gefangen hatte von seiner Überraschung. Er lächelte schwach, seine Mundwinkel rangen sich ein halbherziges Zucken ab, als hätte er das Ziel erreicht, dass er sich gesetzt hatte und würde jetzt in absoluter Zufriedenheit schwelgen. Die Tragik seines Blickes ignorierte ich. Denn wenn sein Ziel hieß, seinen Bruder möglichst wütend auf sich zu machen, dann hatte er das definitiv erreicht. Ohne noch eine Sekunde abzuwarten in der Stefan etwas unpassendes sagen konnte, rammte ich meine Faust in seinen Bauch. Er krümmte sich überrascht von der Kraft, die ich trotz allem noch immer hatte, zusammen und hustete mit einem schmerzlichen Heulen. Anne nutzte die Gelegenheit, befreite sich aus seinem Griff und nahm einige Schritte Abstand. Gerade weit genug, dass Stefan sie nicht gleich wieder erreichen konnte. Ich kam Stefan nach, der etwas nach hinten getaumelt war und packte sein Shirt mit grober Faust, um ihn zu zwingen sich auf meine Höhe zu beugen. „Fass sie nicht an!", knurrte ich ihm ins Gesicht, doch er ließ sich nicht sonderlich mehr beeindrucken. „Wieso? Vielleicht will sie das ja. Immerhin ist sie wegen mir hier und es erschreckt dich vielleicht zu hören, aber sie ist das Mädchen von dem ich euch erzählt habe. Die ich zum Essen einladen wollte und von der ich mir sicher bin, dass sie die richtige für mich ist. Erinnerst du dich?", hielt er noch immer so sonderbar lächelnd dagegen und entfachte in mir neues Feuer. Ich warf einen kurzen Blick zu Anne rüber, die vor Schreck zitternd stumm dastand und gegen die Tränen kämpfte, die ihr die Wangen runterlaufen wollten. „In deiner Welt sieht so also eine Frau aus, die will, dass man sie küsst und an sich drückt, wie ein geiler Hund? Du widerst mich an.", spuckte ich ihm ins Gesicht und stieß ihn zurück. Stefan wirkte jedoch seltsam fröhlich, als schien ihn das alles gar nicht zu kümmern. Ich schnaubte heftig und drehte mich dann zu Anne um.

Anne sah mich unterwürfig an, als hätte ich sie geschlagen, nicht Stefan. Sie wischte sich immer wieder die Tränen aus den Augen, als wollte sie sich nicht eingestehen, wie erschrocken und verletzt sie von dem Spektakel war. Wie Säure in den Adern wurde mir bewusst, dass sie tatsächlich für Stefan hier war. Warum sonst sollte sie sonst hier sein? Woher sonst sollte sie wissen wo wir wohnten, wenn Stefan es ihr nicht gesagt hatte, indem er sie zum Essen einlud. Weil sie zusammen waren... Und Anne jetzt nur so aufgewühlt war, weil ich mich wie ein Idiot benahm und einen auf eifersüchtig machte, obwohl ich keinerlei Recht dazu hatte. Wusste ich denn, wie die beiden füreinander empfanden? Was bereits zwischen ihnen gewesen war? Herrgott, vielleicht hatte Anne ihn nur aus Höflichkeit abgewiesen, weil sie es ablehnte in der Öffentlichkeit diese Zweisamkeit auszutauschen. Ich war so ein Idiot. Ein Dummkopf sondergleichen. „Tut mir leid...", setzte Anne erstickt an, kam aber nicht weiter. Ich nickte bitter und presste meine Lippen aufeinander. Ich war ein Idiot. Natürlich hatte Stefan gewusst wie sehr mich das ärgert würde und er hatte seinen Moment gehabt, in dem er mir zeigte, dass er triumphiert hatte. Und wenn er nun wirklich mit Anne zusammen war, dann war das in Ordnung. Ich hatte kein Recht mich da einzumischen. Gar keines! Ich konnte mich ärgern wie ich wollte. Wütend sein, meinen Bruder anschreien, toben. Es würde nichts ändern...

Niedergeschlagen drehte ich mich zur Tür und rollte aus dem Wintergarten. Scham brannte auf meinen Wangen und ich wollte gerade einfach nur zurück in mein Nest der Einsamkeit. Wieder allein sein, wo ich nichts falsch machen konnte und niemanden verletzte. Dort wollte ich bleiben bis ans Ende meiner Tage... und wenn dieses Ende früher als später kam, dann war mir das nur recht.

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