„Können Sie mir sagen was passiert ist?", fragte Dr. Black auf einem Stuhl, die Beine überschlagen und die Hände locker im Schoß gefaltet. Ich starrte seine Hände an, weil ich nicht wusste wo ich sonst hinschauen sollte. Dem schrecklichen Taubheitsgefühl, welches im übrigen immer noch die letzten Züge der Schwere über mich legte war größtenteils dem Gefühl der Wundheit gewichen. Mein Körper fühlte sich wund und roh an, als hätte man mir die Haut abgezogen. Die Taubheit, die mich beschützt hatte zum Tausch für dieses schreckliche Gefühl die Verletzlichkeit war ein schlechter Handel, doch mir ließ man keine Wahl. Ich war dem Urteil eines Fremden, in dem Fall Dr. Black hilflos ausgeliefert.
Die weiße Decke, die locker über mir lag und mich nur bedingt wärmte fühlte sich kalt unter meinen Händen an. Oder vielleicht nahm ich es jetzt einfach nur überdeutlich wahr. Wie ein Kind, dass zum ersten Mal etwas bewusst sah, was es vorher nur benutzt hatte. „Können Sie mich hören?", fragte Black nun doch einen Hauch besorgter. Er hatte offensichtlich nicht damit mit gerechnet, dass ich selbst nach der Spritze, die mich wecken sollte noch so weggetreten war. Oder vielleicht machte es ihm einfach Sorgen, dass ich überall hinstarrte, außer zu ihm. Ich gab mir also eine Ruck und bemühte mich angestrengt steif zu nicken, um wenigstens ein bisschen Bewusstsein zu zeigen. Black schien sofort erleichtert, auch wenn sein Gesicht keine merkliche Regung zeigte. Professionell wie immer also. "Ich frage Sie nochmal; Wissen Sie was passiert ist oder können Sie sich an irgendwas erinnern und wenn es noch so bedeutungslos scheint?", fragte Black also ein weiteres Mal, doch auch jetzt brachte ich nicht die Konzentration und Kraft auf um meine rissigen Lippen zu bewegen und ihm zu antworten. Der Schmerz in meinem Kopf wallte gerade wieder auf und ich musste die Augen schließen, damit es erträglich wurde. Ich hatte Durst. Mein Körper fühlte sich an wie eine Wüste, mein Mund lag klebrig und trocken in meiner Mundhöhle wie eine vertrocknete Dattel. Also zwar ich mich, meine Augen wieder zu öffnen und versuchte meine Hand nach dem Glas Wasser auszustrecken, das da so einladend auf dem Tischchen neben mir stand. Mein Arm zitterte als ich ihn anhob. Schwach streckte ich ihn aus, doch da kam mir Black schon entgegen, indem er mir das Glas in die Hand drückte. Wie in Zeitlupe griff ich zu und war erschrocken wie schwer es war. Meine Hand zitterte noch mehr, Black wagte nicht es loszulassen. Also führten wir das Glas zusammen zu meinem Mund, wo ich es gierig leer trank. Und das tat gut. Es war so gut wie niemand zuvor. Kalt rann es mir durch den Körper, erst durch den Hals, den Brustkorb und schließlich mein Bauch. Es war, als käme neues Blut in meinen Leib, kaltes Blut, das mich wieder zum Leben erweckte. Ich wusste nicht ob Black in dem Moment etwas zu mir sagte, ich nahm einfach den Augenblick so überdeutlich wahr. Nur diesen einen Augenblick...
Danach stellte Black das Glas wieder hin, lächelte distanziert und aalglatt und stellte weitere Fragen, auf die ich jetzt zwar einsilbig antwortete, aber noch immer einiges an Anstrengung investierte. „Wissen Sie wo Sie sind?" „Ja" „Wissen Sie warum Sie hier sind?" „Ja" „Wissen Sie wer ich bin?" „Ja" „Wissen Sie was zuletzt passiert ist?" „Nein"
Vielleicht war es eine Lüge, aber das wenige, an das ich mich tatsächlich erinnerte waren keine schlechten Erinnerungen. An meine Mutter und meinen Bruder, an schöne Blumen die wie der Laden an der Ecke rochen, kaum 100 m von unserem Haus entfernt. Ich erinnerte mich an Anne, wie sie gelächelt hatte und dann... nichts. Als hätte mir jemand das Licht ausgemacht. Und so sehr ich auch versuchte mich an irgendwas zu erinnern, an Schatten oder Stimmen. Es blieb schwarz und still. Und es blieb eine bleierne Schwere, die mich herunterzog, kraftlos, dagegen zu kämpfen. Plötzlich war mir alles egal, gleichgültig, man sollte mich einfach in Ruhe lassen. Ich wollte nicht reden, oder hören, ich wollte eigentlich nicht mal sehen. Alles war zu viel für mich. Und das schlimmste war, ich kannte dieses Gefühl. Ich hatte es schon vorher, ehe es mir in den letzten Tagen fast wieder gut ging. Ein Rückschlag, den ich nicht wollte, ich fürchtete mich vor der Dunkelheit, die meine Herz und meinen Körper umfing.
Black rede währenddessen irgendwas von allgemein genannten Flashbacks, die in Zusammenhang mit einem traumatischen Erlebnis auftreten können und das diese subjektiv von Individuum zu Individuum unterschiedlich wahrgenommen werden. Ich hatte nicht zugehört, aber seine Stimme ging mir auf die Nerven, diese nasale Doktorenstimme, die das emotionale Fass in mir zum Überlaufen brachte. „HALT DIE KLAPPE! HALT EINFACH DEINE BLÖDE KAPPE! Du alles wissender Arsch... Du glaubst wohl das du alles weißt und mich mit deinen Fragen analysieren kannst. Ha Ha! Du kannst mich mal, alle in diesem gottverdammten Krankenhaus können mich mal! Ihr kennt mich nicht, ihr wisst nicht was ich erlebt habe in eurer kleinen, harmlosen beschissen glücklichen Welt!
Ich bin doch kein Ding das man analysieren kann, mit euren komischen Worten für einfach alles, mit euren Medikamenten und all dem anderen Zeug. Alles was ich wirklich brauchte ist Ruhe! Ist das denn so schwer zu sehen? Also halt die Schnauze und verpiss dich Doc.", brüllte ich in plötzlich frei gewordener Energie und merkte schon beim Sprechen, wie mein Hals rau wurde und schmerzte. Aber das nahm ich in Kauf. Blacks Augen weiteten sich überrascht und für einige Momente schien er nach Worten zu suchen. „Hast du mich nicht verstanden? Ich sagte, VERPISS DICH!", fügte ich noch schwer atmend hinzu. Es war trotz allem doch extrem anstrengend, ich merkte wie die Dunkelheit mich wie Blei ins Bett zerrte. All meine Glieder brannten wie Feuer, aber ich wollte es mir nicht anmerken lassen. „Sie sind verwirrt, Mr. McConnell. Aber ich versichere Ihnen, alles wird wieder gut, Sie können mir vertrauen.", sprach Black in seinem professionellen, ruhigen Ton als hätte es meinen Ausfall vor einigen Momenten gar nicht gegeben. Der leichte Schock über meine Reaktion war verflogen und Black wirkte wie zuvor routiniert und selbstsicher. Oh wie gern ich ihm jetzt diese Professionalität aus dem Gesicht geschlagen hätte, aber ich brachte es ja nicht mal fertig ein Glas zu halten, geschweige denn die Faust fest zu ballen und die Kraft aufzuwenden Black ernsthaft zu schlagen. Ich fühlte mich hilflos und das löste in mit Panik und blinde Wut aus. „Wenn Sie jetzt lieber ruhen wollen, kann ich das verstehen. Ich dachte nur, Sie hätten nach diesem Erlebnis Redebedarf. Wir verschieben diese Sitzung dann auf morgen. Ist das in Ordnung?", fragte er und sah mich offen an. Ich starrte mit finsterem Blick auf die gegenüberliegende Wand. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen, wie er mich ansah als hätte ich nur einen Schnupfen obwohl ich eigentlich unheilbar krank war. Black nickte als hätte ich was gesagt, stand auf, klaubte seine Papiere zusammen und wandte sich zur Tür. „Bis morgen! Haben Sie eine angenehme Nacht.", verabschiedete er sich und ging. Einfach so, ohne weiteres. Es ärgerte mich das er so wenig auf meine Wut reagierte und als schließlich die Stille den Raum wieder übermannte wünschte ich mir nichts mehr als eine weitere Seele in diesem Zimmer. Irgendjemand, der mich vor diesem unheilvollen Grauen beschützte, vor den Dämonen, die sich auf mich stürzen würden, sobald ich die Augen schloss.Mein sturer Blick verwandelte sich zusehends in Tränen. Ich hatte vorher nie so viel in so kurzer Zeit geweint, aber es war diese elementare Angst vor der Dunkelheit und vor den Erinnerungen, vor dem Feuer der Gleichgültigkeit, die mich nun schüttelte. Und ich war hilflos ausgeliefert, schwach, verkrüppelt, unfähig dagegen anzukämpfen. Ich wusste nicht wer ich morgen sein würde, wenn ich wieder erwachte, und allein das ließ mich ein kurzes „Hilfe" flüstern, welches ungehört in der Stille verhallte.
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Hey :)
Also erstens: Sorry das letzte Woche kein Kapitel kam. Uni fordert momentan einfach so einiges ab. Ihr habt also ein Bonuskapitel frei, das ich irgendwann einlösen werde :)Und zweitens: OMG!!!! 1k reads!!! Das ich sowas noch mal erlebe haha. Danke! Danke an alle Fans, Schattenleser, Einmal-rein-schauer-und-abgeneigt-wegdrücker und all ihr anderen die dazu beigetragen haben. Vielleicht feier ich das etwas zu sehr haha, aber ich freue mich wirklich darüber!
Jedenfalls: Viel Spaß beim weiteren Lesen!
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Soldiers Scars #PlatinAward
Fiksi Umum„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...