Kapitel 54 - Der Unfall

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Mir war schlecht vor Aufregung, als wir am Ende der Straße Polizeilichter sahen. All meine Befürchtungen, die ich mir während der Suche zusammengesponnen hatte schienen sich auf einen Schlag zu bewahrheiten. Stefan fluchte laut vor sich hin und fuhr langsam näher ran. Mit zugeschnürter Kehle versuchte ich durch die kleine Menschentraube aus sensationsgeilen Anwohnern zu sehen, wer oder was im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Mein Herzschlag verdoppelte sich ängstlich und die Zeit, bis Stefan gehalten, meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum geholt und aufgeklappt hatte kam mir viel zu lang vor. Ungeduldig erwartete ich ihn an der offnen Autotür und fasste nach der Lehne des Rollstuhls, sobald er in meine Nähe kam. Hastig setzte ich mich in den Sitz und näherte mich mit Stefan der Menschenmenge, die uns nur mit flüchtigen Blicken registriert hatte.

Das erste was ich sah, als ich mich unfreundlich an den ersten Leuten vorbeigedrängt hatte war Anne, die in mehrere Decken gehüllt in der geöffneten Tür des Polizeiwagens saß. Doch sie war nicht das, worauf sich die Aufmerksamkeit bezog. Ein der Mitte der Traube war ein älterer Herr, ein Renter mit schütterem Haar und Hornbrille, unter dessen Kopf sich ein carmensinroter Kranz ausgebreitet hatte. Er schien bei Bewusstsein zu sein, wenngleich er sich nicht bewegte. Gleich daneben kniete eine Frau im gleichen Alter, die ihm aufgelöst die Hand hielt und mit Adleraugen den Bewegungen des Notarztes folgte. „Ich bitte jetzt alle Unbeteiligten den Ort zu verlassen! Hier gibt es nichts mehr zu sehen.", rief ein Beamter über das spekulierende Gemurmel der umstehenden Menschen. Anne sah mit glasigen Augen in die Menge. Erst, als sie mich und Stefan erblickte hellten sich ihre Augen auf und sie begann erleichtert zu lächeln. Ich bahnte mir einen Weg zu ihr, die Worte des Polizisten ignorierend. Wellen der Freude fuhren über mich hinweg, hinterließen einen warmen Schauer nach dem nächsten und ich konnte nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern. Die Erleichterung, Anne endlich gefunden zu haben löste ein Glück in mir aus, wie ich es schon sehr lange nicht mehr gespürt hatte. Sie sprang auf, kam die letzten Schritte auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Sofort erfüllte mich ihr zarter Geruch, den ich selbst blind wiedererkannt hätte. Sie zitterte stark, ob wegen der Aufregung oder der Kälte - wahrscheinlich wegen beidem - und aus einem ersten Reflex heraus zog ich sie auf meinen Schoß und legte die Arme fest um sie. Ihre kalte Wange legte sie an meinen Hals und ein erleichtertes Schluchzen entwich leise ihrer Kehle.

Wir verweilten einen kurzen Moment so, die Zeit auskostend, die der Polizist noch mit anderen Dingen beschäftigt war. „Zum Glück bist du da.", flüsterte Anne leise, sodass nur ich es verstehen konnte. „Was ist passiert?", fragte ich ebenso leise, doch bevor sie mir eine Antwort geben konnte, drehte sich der Polizist mit unerfreuter Miene zu uns um, als wäre ihm gerade klar geworden, das da neue Gesichter standen. Der Notarzt hatte mit seinem Assistenten derweil den verletzten Mann auf eine Liege umdeponiert, wo er nun mit dickem Verband um den Kopf in den hinteren Teil eines Krankenwagens geschoben wurde.

„Wer genau sind Sie?", fragte der Polizist, als er mich kurz gemustert hatte. Ich runzelte die Stirn und wollte zu einer Erklärung ansetzen, als Stefan, der sich bisher brav zurückgehalten hatte dazwischen funkte. „Wir sind Angehörige von Anne. Ich bin Stefan McConnell und das", er deutete auf mich. „ist mein Bruder Derren McConnell. Anne ist seine Verlobte."

Ich fühlte mich, als hätte mich ein Schlag in die Magengrube getroffen. Mir wich das Blut aus dem Gesicht, als ich realisierte was Stefan da gerade von sich gab. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Auch Anne schaute entsetzt auf und schien wie in Schockstarre zu sein. Sie sah Stefan fassungslos an. „Verlobte?", echote der Polizist wohl nicht minder überrascht, ob dieser Aussage. Seine Augen musterten Anne einmal von unten bis oben. Und sein Blick sprach Bände. „Wie alt sind Sie denn?", fragte er misstrauisch mit zu Schlitzen verengten Augen. Anne schluckte mehrmals, räusperte sich nervös und löste sich etwas weiter von mir. „Ich bin achtzehn.", gab sie komisch erstickt wieder. Trotz der Kälte glühten ihre Wangen rot. Sie war keine gute Lügnerin, bemerkte ich besorgt. „Aha", war das einzige was der Polizist dazu sagte. Aber ich konnte auch so in seinem Gesicht ablesen, was er dachte. Ziemlich jung, um verlobt zu sein. Zu jung. Unglaubwürdig. Verdächtig. Ich hätte Stefan erwürgen können für seine Worte. Was war in seinem Kopf falsch gelaufen, dass er auf so eine unendlich dämliche Idee kam und damit einem Beamten mitten ins Gesicht log? Die Augen des Polizisten glitten über Annes Hände. „Kein Verlobungsring?", fragte er noch immer in einem zweifelnden, misstrauisch Tonfall. Anne sah rasch auf ihre Finger, um das offensichtlich nicht existierende Schmuckstück zu suchen. „Nein, sie hat ihn zuhause.", sprang ich ein, ehe eine Pause entstehen konnte, die noch mehr Misstrauen erregen würde als ohnehin schon bestand. „Aha", kommentierte der Polizist wieder, diesmal offensichtlich ungläubig. Er sah uns drei zweifelnd an, sein Blick huschte von einem zum nächsten. „Sollen wir ihn holen?", fragte ich provokant, obwohl ich mir alles andere als sicher in meiner Haut fühlte. Stefan spielte mit indem er Andeutungen machte, sich gleich wieder zum Auto zu begeben zu wollen. Doch der Polizist schüttelte den Kopf. „Nein, danke, ich denke, das ist nicht nötig. Wir bitten Sie nun mit in die Wache zu kommen, um den Zeugenbericht von dem Unfall aufzunehmen.", sprach zu Anne. Diese nickte steif und unbehaglich und ging wieder zum Polizeiauto zurück. „Es wird auch nicht lange dauern. Wir werden kurz notieren was passiert ist und Ihre Personalien aufnehmen. Ihr Verlobter darf gerne mitkommen, wenn Sie wollen." Fast erwartete ich, dass der Polizist das Wort in Anführungsstriche setzte, aber er hielt sich zurück. Anne sah mich wie ein Hundewelpe an, als müsste sie mich fragen ob ich mitkam. Ich nickte ihr unmerklich zu, was sie sichtbar erleichterte.

Anne rutschte auf den Rücksitz des Polizeiautos und nestelte unbehaglich an einem Zipfel der Decke rum. Ich seufzte und setzte mich neben sie, während der Polizist sich von Stefan helfen ließ meinen Rollstuhl zusammenzuklappen und in den Kofferraum zu verstauen. Anne schaute unruhig auf das Armaturenbrett und wirkte, als würde sie gerade tausend Höllen durchlaufen. Vorsichtig zog ich sie näher zu mir und legte den Arm um sie, was sie sich alles kommentarlos gefallen ließ. „Keine Angst", flüsterte ich an ihrem Ohr, in der Hoffnung es könnte sie beruhigen. Stefan steckte einen Kopf nachmal zur Tür rein. „Bleibt sauber, ihr Turteltauben. Ihr schafft das schon! Und ruft mich an, wenn ich euch abholen soll.", meinte er schnell, ehe er von dem Polizisten zu seinem Wagen gebeten wurde und die Tür sich schloss. Der Polizist stieg seinerseits ein und überprüfte nach ein paar lose Zettel, während er schon mal die Tür zu zog. Ein Schaudern durchlief Anne und ich konnte praktisch fühlen wie sich ihr Unbehagen ins unermessliche steigerte. Sanft gab ihr einen Kuss auf die Wange, um sie abzulenken von ihren Gedanken und seufzte dann stumm. „Es wird alles gut.", flüsterte ich beinahe beschwörend an ihrem Ohr. Dann fuhr der Polizeiwagen an.

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