Kapitel 5 - Sonnenschein

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Die nächsten Tage vergingen quälend langsam. Und immer wieder ging die Sonne auf, hinter dunklen Wolken geschwängert vom Regen, hinter einer Stadt die meine Heimat war und doch wie ein Bild hinter dem Fenster wirkte, um dann wieder unterzugehen. Das Zimmer wurde dunkel und wieder hell, die Schwestern gingen und kamen, wechselten die Wäsche, schüttelten die Kissen aus oder gaben mir Essen das immerzu fade und langweilig schmeckte. Anne sah ich erstaunlich wenig in den Tagen, nur kurz, als sie einen neuen Patienten in mein Zimmer schob - auch ein Soldat, verbunden von Kopf bis Fuß. Verbrennungen, wie ich nebenbei mitgehört hatte.

Doch außer den wenigen Malen, wo Anne Medikamente brachte und den Vorhang auf oder zu zog sah ich sie nicht. Sie sprach auch nicht viel mit mir, die gewöhnlichen Höflichkeitsfloskeln, aber mehr nicht. Es versetzte mir irgendwo in der Brust einen Stich, dass es so war, doch daneben hatte sich die Wut übermächtig ausgebreitet. Ich verfluchte das Schicksal, Tag um Tag. Warum ich? Was hatte ich getan um so bestraft zu werden? Ich hätte so viel erreichen können, so viel schaffen... nun war alles grau für mich geworden. Da war keine Hoffnung mehr. Worauf auch? Auf ein Leben als ewiger Krüppel? An den Rollstuhl gebunden wie ein alter Mann?

Ich schaute mit trüben Blick auf den Schokoriegel, der mir zum Mittag gereicht wurde. Auf Süßes hatte ich noch nie wirklich gestanden und seit meinem Aufenthalt hier hatte ich den immer zurückgehen lassen. Vielleicht war es diese Normalität, die mich abschreckte, oder das schwarz-weiße Kind das vorn aufgedruckt war und mich anlächelte. Ich betrachtete es missmutig. Rigolino. Der Snack für jeden Moment. Ich seufzte tief und legte ihn zurück auf das Tablett. Verdammt, ich konnte mich nicht mal daran erinnern wann ich das letzte Mal Schokolade gegessen hatte. Irgendwann vor diesem Unfall, in Vietnam, weil ich etwas für meinen Blutzucken tun musste, vermutete ich.

„Du schaust als wäre das keine Schokolade sondern ein Menschenarm.", kam es auf einmal von der anderen Seite. Ich hob den Kopf. Der Mann im anderen Bett lächelte zu mir rüber, seinen Hals zu bewegen musste ihn anstrengen. „Wäre mir lieber.", erwiderte ich trocken und hörte darauf schallenden Gelächter. Überrascht von dem Geräusch starrte ich ihn an. Wann hatte ich das letzte Mal so ausgelassen gelacht? „Ich würde dir ja meinen anbieten, aber dazu müsste ich es schaffen rüber zu kommen.", lachte er kehlig und sein ganzer Körper vibrierte unter ihm. Ich dagegen bewegte keinen Muskel und starrte ihn noch immer verwundert an.

„Luke Wing, steht's zu Ihren Diensten." , stellte mein Nebenmann sich vor. Seine Augen sprühten vor Energie, obwohl er sich kaum bewegen konnte. Ich versuchte halbwegs freundlich zu schauen. „Derren McConnell", stellte auch ich mich vor, weniger aus Höflichkeit, mehr aus Gewohnheit. Luke lächelte mir zu und deutete ein Nicken an. „Schotte?", fragte er direkt. Ich schüttelte den Kopf. „Meine Familie väterlicherseits hat irische Wurzeln.", erklärte ich knapp. Das wurde ich oft gefragt, obwohl ich nicht wirklich dem allgemeinen Klischee entsprach oder einen irischen Akzent trug. Luke nickte. „Meine Mutter kommt aus England. Sie wollte nicht in die Staaten kommen, aber mein Vater hat sie solange bequatscht bis sie zu ihm nach Florida gezogen ist. Da kannten die beiden sich gerade mal ein Jahr.", kicherte Luke und schaute zur Decke, wahrscheinlich weil es so angenehmer war.

Ich wusste nicht was ich von diesen persönlichen Informationen halten sollte. Es ging mich nichts an und ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht. Ich schwieg und stellte das Tablett auf den Tisch neben mir. Die Zeit verstrich, dir Uhr tickte laut vor sich hin und ich schaute auf meine Hände die ich abwechselnd öffnete und wieder schloss. Schwach, schallte ich mich innerlich verbittert.

„Du bist nicht der gesprächige Typ, oder?", sagte Luke in die Stille. Ich hielt inne. Mein Blick wanderte gezwungenermaßen wieder zu Luke. Er schaute nicht zu mir. „Weißt du schon was du danach machst? Nach dem Krankenhaus?", fragte Luke nach einem tiefen Seufzen. Das war ein wunder Punkt. Ich merkte wie ich mich augenblicklich verschloss und den Blick verfinsterte, während ich zischend die Luft einsog. „Ist doch egal.", knurrte ich rau und starrte wieder auf meine Hände. Wütend. Ich war so wütend. Auf mich, auf die Welt, auf einfach alles. Was spielte es denn nich für eine Rolle was ich morgen oder übermorgen, nach dem Krankenhaus tat? Meine Beine holte es auf jeden Fall nicht zurück. Und meine Zukunft auch nicht. Also verdammt wollte ich sein, wenn noch irgendwas eine Rolle spielte. Alles was ich tat, essen, trinken, mich Untersuchungen unterziehen tat ich meiner Familie zu Liebe, nicht weil ich noch glaubte, dass das Leben etwas gutes für mich bereit hielt.

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