Ich hatte mich gerade gewaschen und zog mir frische Klamotten über, als mir mein Spiegelbild auffiel. Das Licht fiel weiß durch das Fenster herein und warf einen harten Schatten auf meiner Haut. Leichte Schatten unter den Augen, aber ich war dennoch überrascht wie... normal ich aussah. Unter dieser grässlichen Hülle, die seit dem Unfall mein Äußeres geworden war, schälte sich langsam der Mann wieder, der Derren hieß. Nein, es war anders. Alt und neu hatten sich vermischt. Dieses Spiegelbild hatte von beiden etwas. Von dem kranken Dämon und von dem alten Derren. Und wenn ich jetzt mit der Hand die Haare zurückschob, dann kam es mir erschreckend vertraut vor. Erstaunlich, wie viel ein Körper verzeihen konnte, wie sehr er lügen konnte und den Anschein gab, dass nie etwas geschehen war.
Gerade als ich darüber nachdachte, vielleicht demnächst wieder mit Sport anzufangen, um zu retten, was zu retten war von meinem Äußeren. Immerhin wusste ich jetzt das ich immerhin so ähnlich aussehen konnte wie der alte Derren. Da durchfuhr mich ein markerschütternder Schrei. Eine Frau, oder ein Mädchen? Mir gefror das Blut in den Adern und ich sah im Spiegelbild wie sich meine Augen vor Schreck weiteten. Was war das? Anne... Wieder ein Schrei, zitternd und leiser diesmal, aber nicht weniger von blanker Panik geprägt. Mein Puls stieg innerhalb von Sekunden, als ich so schnell ich es eben vermochte zur Quelle der Schreie fuhr. Meine Muskeln waren gespannt und ich spürte heiße Energie durch meinen Körper pumpen. Wie im Gefecht waren meine Sinne geschärft, mein Geist leer, darauf fokussiert die Gefahr zu eliminieren.
Ich kam ins Wohnzimmer, wo Anne Julie in den Armen hielt und ihr beruhigende Worte zuflüsterte. „Was ist passiert?", fragte ich und scannte den Raum nach etwas ab, was nicht hierhin gehörte. Aber da war nichts, alles war normal, ruhig. „I-ch hab ihn gesehen... h-hab ihn gesehen...", keuchte Julie unverständlich und unter Tränen. Sie weinte und zitterte, als hätte sie einem Geist entgegen geblickt. Anne umfasste sie kräftiger. „Sch, sch... alles ist gut. Er kann nicht hier sein, woher sollte er wissen wo wir sind. Es war bestimmt nur ein Schatten." Annes leise Worte fuhren eiskalt durch meinen Körper. Hinter mir kam Stefan mit Zahnbürste im Mund herein und sah er die Mädchen an, dann zu mir. Julie schluchzte auf und schüttelte den Kopf. „Nein... nein er ist hier. Ich hab es gesehen. Er ist hier!", sagte sie in erstickter Panik an Annes Schulter. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Henry... Niemand anderes konnte sie so in Angst und Schrecken versetzen. „Wo hast du ihn gesehen?", fragte ich mit grimmiger Kälte. Anne sah mich an, während Julie wimmernd zum Fenster zeigte, das zur Terrasse raus zeigte. Alles lag im erstickten, frischen Schnee. „Oh Gott, Anne ich will nicht... ich will nicht...", weinte Julie hemmungslos weiter. Ich schluckte und sah zu wie Stefan an den beiden vorbei ging, die Tür zur Terrasse öffnete und Barfuß hinaustrat. „Alles ist gut. Beruhig dich! Er ist nicht hier.", flüsterte Anne weiter, wenn auch nicht sonderlich erfolgreich. Stefan sah nach link und nach rechts, verschwand kurz in beiden Richtungen hinter der nächsten Hausecke und kam dann zitternd und fröstelnd wieder rein. Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Auch keine Fußspuren im Schnee. Vielleicht war es wirklich nur der Schatten von einem Baum den du aus den Augenwinkeln gesehen hast.", sagte Stefan, schloss die Tür und hauchte sich auf die Stelle trippelnd in die kalten Hände. Julie kreischte auf und stieß Anne von sich. Bebend stand sie auf und ging ihrerseits zum Fenster. „Er war da!", sie schlug mit ausgestrecktem Finger gegen die Scheibe. „Ich bilde mich das nicht ein! Er war genau da und hat hergeschaut! Er war da!" Sie rief jetzt mit hochrotem Gesicht, völlig aufgelöst. Wir alle sahen sie für einen Moment des Schweigens an, nicht wissend was man dazu sagen sollte, ohne das sie sich noch mehr aufregte. „Anne, sag, dass du ihn auch gesehen hast! Ich habe mir das nicht eingebildet.", sagte sie nun mit hysterisch überschlagender Stimme. Anne presste die Lippen aufeinander. Ich konnte sehen, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Ob sie ihrer Schwester zustimmen sollte oder nicht. „Julie...", mischte Stefan sich sanft wie selten ein und legte vorsichtig den Arm um ihre schmalen Schultern. Sie wollte automatisch zurückweichen, aber Stefan ließ sie nicht. „Wir glaube dir, dass du ihn gesehen hast, okay? Ich werde noch einmal gründlicher draußen nachschauen, aber bitte beruhig dich etwas. Sag uns genau was er getan hat und wohin er gelaufen ist." Ihr panischer Blick hielt sich für einen kurzen Moment in seinem gefangen, die ängstlich geweiteten Augen, die sie noch mehr wie ein Kind aussehen ließen ließen sich tatsächlich etwas beruhigen. Neben Stefan sah sie so zerbrechlich aus wie ein Puppe. Sie nickte leicht, wischte sich die Tränen mit der Hand weg, die sofort durch neue ersetzt wurden und atmete tief durch. „Er war genau da unter dem Baum. Einfach so. Ich weiß nicht, wie lange er schon da gestanden hatte..." Wieder atmete sie zitternd durch. „Er hatte keine Jacke an und als ich ihn gesehen habe..." Das Zittern wurde stärker. Fast dachte ich, wenn Stefan sie nicht gehalten hätte wäre sie in sich zusammengesunken. „... ist er fort gelaufen. Ich glaube nach rechts... Aber ich habe sofort geschrien ich konnte es nicht genau sehen. Als ich es Anne zeigen wollte war er schon weg.", stotterte sie weiter. Stefan nickte mit gerunzelter Stirn. Nachdenklich sah er zu Anne, die Julies Bericht mit einsilbigen Worten bestätigte.
Möglichst behutsam führte Stefan Julie zum Sofa und setzte sie mit leichtem Druck in die Polster. Sie ließ es geschehen, ohne sich dagegen zu wehren. Anne stand vom Boden auf und setzte sich sogleich neben sie, um sie beruhigend an sich zu ziehen. „Alles klar, ich würde sagen, Derren macht euch erstmal einen Tee und ich gehe nochmal raus und schaue mir die Stelle genauer an.", schlug Stefan vor und erntete schweigsames Nicken. Auch ich stimmte der Rollenverteilung zu. Mit meinem Rollstuhl würde ich im Schnee nicht weit kommen und so konnte ich bei Anne und Julie bleiben. Auch wenn ich, sollte Henry tatsächlich hier irgendwo rumschleichen, gerne persönlich dafür verantwortlich wäre ihm so richtig eine runterzuhauen oder sein Gesicht solange in den Schnee zu drücken bis es blau war und er es nicht mehr spürte.
Stefan wollte gerade gehen, um sich fertig zu machen, als es an der Tür klingelte. Und wieder begann Julie aufzuschreien. Henry...
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Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...