„Still!", knurrte Anne in einem Ton, den ich noch nie bei ihr gehört hatte. Ich gestattete mir nicht, mich darüber zu wundern, wie durchsetzungsfähig sie sein konnte, denn es hätte mich auf innerlich mehr als nur ein bisschen angeturnt. Doch jetzt war nicht der Augenblick dafür. Streng presste sie die Hand auf den Mund ihrer Schwester und tatsächlich verstummte Julie augenblicklich. Trotz der Tonlage, die keine Widerworte zuließ waren Annes Augen ebenfalls schreckgeweitet und ich mein ein nervöses Schlucken zu sehen. Anne sah mich an, und kurz war ich hingerissen zu ihr zu gehen, um sie an mich zu ziehen und ihr zu versichern das alles gut werden würde. „Ihr bleibt hier! Ich gehe zur Tür und sehe nach.", sagte Stefan mit mehr Mut als er vermutlich verspürte. Sein besorgter Blick sprach mehr als seine Stimme. Er war schon als Kind ängstlich gewesen, erst redete er gut und viel und wenn das nicht half begann er zögerlich zu werden. Auch, wenn ich wusste, dass er sich Henry dennoch entgegenstellen würde, wenn es sein musste. Ich schüttelte über seine Worte den Kopf. „Ich gehe, du passt auf die Mädchen auf.", meinte ich im ruhigen Ton. Stefan zog die Augenbrauen hoch, auch wenn ich meinte Erleichterung in seinen Augen zu sehen. „Aber du-„ „Nichts aber, mir geht es gut genug, dass ich die beschützen kann, die mir etwas bedeuten. Also halt den Mund und versuch nicht den Helden zu spielen." Ich wusste, dass er mich trotz seiner Erleichterung über mein Einschreiten auf meinen Rollstuhl ansprechen wollte. Dass ich mich nicht gut genug darin bewegen konnte, nicht schnell genug war. Er wollte sagen, dass ich zu schwach war, um mich einem potentiell gewalttätigen Alkoholiker entgegenzustellen, der allem Anschein nach nicht allzu lange über seine Handlungen nachdachte. Auch, wenn er es auf seine übliche Art natürlich in schönere Worte kleiden würde. Ich warf Anne einen Blick zu, den sie mit einem leichten Lächeln erwiderte. Es löste in mir einen Damm, hinter dem sich ungeahnte Stärke verbarg. Stärke, die ich seit dem Unfall als verloren geglaubt hatte. Nein... ich würde nicht zu schwach sein.
Entschlossen fuhr ich zum EinbauSchrank auf meiner rechten und zog die oberste Schublade des mahagonifarbenen Möbelstücks auf. Unter einigen wenigen Dokumenten öffnete ich den doppelten Boden mit kurzem Zug und zog eine silbern glänzende AMT hervor. Sie gehörte eigentlich meinem Vater, aber während des Trainings in der Army hatte ich gelernt damit umzugehen. Sie war schwerer als in meiner Erinnerung, kalt und irgendwie fremd. Aber ich wusste, wenn ich sie benutzte würde mir das Gefühl wieder vertraut sein. Ich schob sie in meinen Hosenbund und ließ mein Shirt darüber fallen, dass man sie nicht mehr von außen sehen konnte. Als ich zur Tür wandte konnte ich Annes entsetzten Blick erhaschen. Sie wirkte bleich. „Keine Sorge, ich habe eigentlich nicht vor Henry zu verletzen. Ich will nur sichergehen das er es auch nicht tut.", sagte ich zu Anne, die mit einem halbherzigen Nicken zur Kenntnis nahm. Julie wirkte nicht erschrocken, sie sah die Waffe mit kühler Sicherheit an, als akzeptierte sie, was damit getan werden musste. Damit erinnerte sie mich fast ein wenig an Winter, einem meiner Kameraden mit dem ich mir für kurze Zeit ein Zelt und das Essen geteilt hatte. Ich musste schmunzeln, ob dieses Blitzes der Erinnerung und ich fragte mich, ob ich mit Löwe, auch ihn wiedersehen würde.
Aber so schnell der Gedanke kam, so schnell verschwand er auch wieder, als es erneut klingelte und ich tief durchatmend endlich zur Tür rollte. In dem Augenblick ging mir nichts durch den Kopf, ich rutschte in meinen durchaus vertrauten Überlebensmodus in dem ich keine Angst fühlte, keine Aufregung und oft auch kein Mitgefühl. Ich hatte nicht vor Henry zu töten, ich wollte nur Anne und Julie beschützen und das sollte er nicht unterschätzen. Selbst nach der scheinbar kurzen Zeit, die wir uns erst kannten.
Ich kam bei der Tür an und atmete durch. Feuer durchströmte meine Adern, gutes Feuer, das mir unglaublichen Antrieb gab. Bereit, mich Henry von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stellen. Ich drückte voll Motivation die Klinke runter, doch als ich die Tür öffnete, blickte mir nur drei nicht gerade erfreute Gesichter entgegen. Ich erkannte sie als meine Eltern und meine Tante, die vollgepackt waren mit Tüten und Paketen. Von einem Moment zum anderen war mir die Luft aus den Segeln genommen und mein bis ins äußerste angespannte Körper blieb verwirrt, als ich die angehaltene Luft zischend zwischen meinen Zähnen entweichen ließ.
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Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...