Kapitel 34 - Herber Kuchen

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In der viel zu freundlichen und hellen Küche erwartete mich ein bereits angeschnittener Schokokuchen unter einer fein verzierten Glashaube. Ich konnte die Stimmen meiner Familie im Wintergarten hören, wie sie zusammen am Tisch saßen und sich bei einer Tasse Tee unterhielten. Offensichtlich war das Gespräch von der ernsteren Sorte, denn sie sprachen leise und angespannt. Kein heiteres Lachen durchbrach den Raum. Ich seufzte stumm, schnitt mir ungeschickt ein Stück Kuchen ab und drappierte ihn auf einem Teller, der neben einer dampfenden Tasse Tee für mich bereit stand. Ich hatte keine Lust auf Kuchen oder Tee, aber noch viel weniger Lust hatte ich auf das Besammensein. Meine Dämonen waren mir Gesellschaft genug und von Zeit zu Zeit auch äußerst gesprächig. Auch, wenn diese Gespräche meist eine bittere Note trugen. Ich wollte nur noch allein sein, für den Rest meines Lebens waren nur noch ich und die Dämonen.

Mit müdem Blick rollte ich mich in den Wintergarten, mit der einen Hand den Kuchenteller und die Tasse, die ich auf meinen Oberschenkeln balancierte fixierend. Mutter stand sofort auf als sie mich sah, ihr Gesicht hatte in der letzten Zeit viele Falten bekommen. "Wie schön das du auch noch kommst! Komm ich nehm dir das ab, dann ist es leichter.", sagte sie voller Hilfsbewusstsein und nahm mir Tasse und Teller ab, um beides schon mal auf den Tisch zu stellen. Ich wollte ihre Hand wegschlagen und sagen, dass ich das auch allein schaffe, aber mal wieder konnte ich das nicht. Sie sah müde und ernst aus, ganz anders als ich sie immer kannte. Sie war zwar stets streng, aber auch frech und unermüdlich liebevoll, wenn es um die Familie ging. Von den letzten beiden Zügen war heute kaum was zu sehen. Auch Vater war da, er lächelte nicht als er mich kommen sah. Auch gut, es war mir egal was die anderen dachten.

Ich gesellte mich an den Tisch neben meinen Bruder und sah die versammelte Runde an. Keiner sagte etwas... Nur unangenehme Stille erfüllte den Wintergarten, der trotz des Schnees draußen wie eine grüne Oase wirkte und der von gemütlicher Wärme der Küche erfüllt war. Also fing ich langsam an den Kuchen zu essen, Gabel für Gabel. Natürlich schmeckte es süß und köstlich, aber in dem Moment schmeckte ich nichts. Keine Süße, keine herzhafte Schokolade, nicht mal die Sahne hätte ich von dem Kuchen unterscheiden können.

„Ich mache mir Sorgen um dich.", begann meine Mutter irgendwann die Stille zu durchbrechen. Ich richtete meinen Blick auf sie. Sie wirkte irgendwie unglücklich, niedergeschlagen... hoffnungslos. „Seit Tagen kommst du nicht mehr aus deinem Zimmer. Du sprichst nicht. Du isst und du trinkst, aber dabei bist du nicht mal wirklich hier. Ich will dir helfen, aber jeder Schritt in die Normalität sind drei Schritte zurück in deinen Kokon, den du immer dicker um dich spinnst." Sie wirkte aufgelöst. Ihre Stimme zitterte, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte. Nein, ich hatte es schon mal gehört! Damals, als ihre Mutter, meine Großmutter an Krebs gestorben war. Niemand hatte das kommen sehen, es geschah plötzlich, wie aus dem nichts. Doch jetzt war es anders. Jetzt war ich der Grund dafür, dass meine Mutter den Tränen nahe war und allein diese Erkenntnis belastete mich. „Sag mir, was wir machen können?", fragte sie und sah mich mit verschwommenen Blick an. Ich schluckte hart meine eigenen Tränen weg. Ihr könnt nichts tun, wollte ich sagen, aber es hätte meine Familie nur noch mehr entsetzt und verzweifeln lassen. Also schwieg ich, sagte nichts was meine Mutter noch mehr aufregen könnte. „Bitte sag uns doch was du brauchst? Egal was, nur sprich doch endlich.", fügte sie noch hinzu, doch der allerletzte Rest ihrer Hoffnung erstarb in ihren Augen, als ich auch darauf nicht antwortete.

Da begann sie zu weinen. Einfach so... Diese starke Frau begann vor meinen Augen zu zerbrechen und schluchzte so tief und herzzerreißend, dass auch ich mehrere Male schlucken musste, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Vater legte ihr beruhigend den Arm um und gab ihr einen Kuss aufs Haar ehe er mich ansah und mich mit den Augen anflehte etwas zu sagen, was diese Lage entschärfen würde. Aber mir fiel nichts ein. Ich presste die Lippen aufeinander und legte die Kuchengabel ab. „Nicht weinen, wir kriegen das schon wieder hin!", sprang zu meinem Überraschen auch noch Stefan auf. Er ging um den Tisch herum und legte ebenfalls sanft die Arme um den bebenden Körper unserer Mutter, die noch immer heftig von Schluchzern geschüttelt wurde. Und ich sah kalt wie ein Stein zu und schämte mich, meiner Familie so ein Leid anzutun.

„Stefan hat erzählt...", meinte Mutter irgendwann, als sie sich wieder etwas gefasst hatte. „Anne hat angerufen. Sie hat nach dir gefragt, vielleicht solltest du sie zurückrufen, oder ihr wenigstens eine Nachricht zukommen lassen." Sie wischte sich eine Träne weg und begann zitternd zu lächeln. Also hoffte auch sie das Anne mich retten konnte... Wie absurd! „Ich habe ihre Nummer nicht.", murmelte ich und zuckte mit den Schultern. Anne war noch ein Kind, sie konnte mir nicht helfen. Sie konnte ja nicht mal sich selbst helfen. Ihr Leben war gut, geordnet, sicher. Sie sollte sich auf ihre Ausbildung konzentrieren und eine hervorragende Krankenschwester werden, so wie das Schicksal es ihr vorbestimmt hatte. Ich würde sie ja doch nur daran hindern, genauso wie ich meine Familie daran hinderte endlich glücklich zu sein.

„Ihre Nummer lässt sich herausfinden!", meinte Stefan motiviert. Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke eher, dass es sich um einen Höflichkeitsanruf gehandelt hat. Sie wollte wahrscheinlich nur wissen, ob es mir gut geht, jetzt, da ich entlassen wurde.", warf ich schnell ein, um Stefans Euphorie zu dämpfen. Es wirkte, er zog ein finsteres Gesicht und murmelte etwas von Schwarzseher und wie schwer von Begriff ich denn sein musste. Mutters Lächeln zitterte kurz, dann fasste sie neuen Mut. „Du solltest trotzdem zurückrufen. Aus Höflichkeit!" Damit war das Thema für sie abgeharkt, es war offensichtlich, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte. War mir auch recht. Ich hatte keine Lust mehr darüber zu reden.

Mit emotionslosem Blick nahm ich dampfende Teetasse und leerte sie in einem Zug. Es war noch heiß, verbrannte mir Zunge und Magen, aber ich freute mich, dass ich überhaupt etwas spürte. Mit einem milden Lächeln, das alles andere als ehrlich war nickte ich meiner Familie zu. „Ich bin fertig. Das Kuchen war sehr lecker, Ma!", meinte ich wie von einer Karte abgelesen und wandte mich zum gehen. Den halb aufgegessenen Kuchen ließ ich stehen. Ich wollte mich jetzt zurückziehen in meine dunkle Kammer, mich einschließen und weinen. Weinen bis ich erschöpft einschlief und hoffentlich nicht träumte.

Doch da wurde ich am Arm zurückgehalten. Mutter sah mich verweint an, versuchte es nicht mehr mit einem Lächeln, sondern zeigte mir ihre volle Verzweiflung, mit der sie versucht hatte mich wieder in die Normalität zu bringen. „Ich liebe dich, Derren... Das werde ich immer, egal was passiert. Nur lass mich dir helfen... Bitte!", flehte sie tonlos und strich mir sanft über den Kopf, wie bei einem verängstigten Kind. Ich presste meine Lippen stärker aufeinander und schluckte wieder. Ihre Hand war so zart und behutsam wie sie da liebevoll mein Haar nachfuhr. Tröstender und liebevoller als ich es verdient hatte. Ich nickte steif, dann fuhr ich einfach weg und ließ meine Familie in diesem Wintergarten stehen. Ich kam in mein kaltes, unpersönliches Zimmer, in die Dunkelheit zurück und begann zu weinen über mich... über meine Familie... über alles.

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