Ich wurde wach als Anne versuchte, sich möglichst lautlos aus meiner Decke zu befreien und rauszuschleichen. Sie drehte sich mehrmals und versuchte dann nach oben aus dem Knäul zu steigen, in den sie sich selbst gewickelt hatte. In ihrem Gewühl bekam ich unsanft einen Ellbogen zwischen die Rippen, der mich aufkeuchen ließ und mich endgültig aufweckte.Ein Auge öffnend, beobachtete ich, wie Anne sich mit hoch rotem Gesicht aus der Decke befreit hatte. Ich lächelte in mein Kissen. „Du kannst ruhig hierbleiben.", murmelte ich und sah wie Anne zusammen zuckte. Ihr entsetzter Blick traf mich, als sie vorsichtig über ihre Schulter zurück sah, nachdem sie es bis auf die Bettkante geschafft hatte. Hastig schüttelte sie Kopf, was mich noch mehr zum Schmunzeln brachte. Ich vergrub mein Gesicht im Kissen um sie nicht noch mehr zu verunsichern, auch wenn ich die Situation unvergleichlich lustig fand. Anne stand auf und seufzte. „Wie bin überhaupt hierher gekommen?", fragte sie nach einigem Räuspern. Ich sah lächelnd auf. „Ich habe dich entführt. Was hast du denn gedacht? Aber du bist absolut freiwillig hier geblieben.", meinte ich schelmisch und sah wie sie den Mund öffnete um zu protestieren, es dann aber wieder ließ. Anscheinend hatte sie gerade eine mittelschwere Krise, denn sie sah verstört von der Zimmertür zum Bett und dann zu mir, als könnte sie nicht fassen, was ich da erzählte. Sie schien wirklich darüber nachzudenken und bemerkte schließlich an sich meine Strickjacke. Sie zog die Augenbrauen hoch und sah mich an. „Dir war kalt.", erklärte ich wahrheitsgemäß und kicherte wieder leise in mich hinein, bei ihrem Gesichtsausdruck.
Sie legte die Hand an ihre Stirn und verweilte so einige Sekunden. Ich sah es förmlich in ihrem Kopf rattern. „Ach Anne, heute morgen waren wir beide noch verdammt müde, als wir uns in der Küche getroffen haben. Ich dachte ein bisschen Gesellschaft beim Schlafen könnte uns beiden helfen mit unseren Albträumen. Nichts weiter ist passiert, also mach nicht ein Gesicht, als hätten wir miteinander geschlafen. Denn daran würdest du dich erinnern.", erklärte ich, damit sie aus ihrer Starre ausbrach und irgendwas tat, ob sie nun rausging oder wieder herkam. Ich rechnete fast damit, dass sie nun aus dem Raum flüchten würde, mir meine Jacke mit hochrotem Gesicht an den Kopf warf und für heute kein Wort mehr mit mir wechselte. Doch zu meiner zweiten Überraschung an diesem Tag begann sie zu lachen. Es war so schön zu hören und ich lauschte ihrem Klang genießend. „Was? Du schätzt deine Fähigkeiten aber hoch ein.", lachte sie überraschend offen. Ich schnalzte gespielt empört mit der Zunge und verdrehte die Augen. „Du würdest mir zustimmen, wenn du es ausprobierst." Ihr unbeschwertes Lachen erstarb augenblicklich und sie musterte mich skeptisch. Ich wusste sofort, dass ich damit zu viel gewagt hatte. Es war leicht zu vergessen, dass wir uns eigentlich noch nicht nahe genug für solche anzüglichen Anspielungen waren. Aber ich und meine unüberlegten Worte hatten natürlich kein Halten gekannt. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich habe nicht nachgedacht.", sagte ich stirnrunzelnd und versuchte wieder eine ernste Miene aufzusetzen. Anne biss sich auf die Unterlippe und nickte schüchtern. Mit einem zunehmend schlechten Gewissen setzte ich mich auf und griff nach Annes Händen. Sie machte Anstalten sie mir wegzuziehen, aber ich ließ sie nicht. Vorsichtig führte ich ihre Finger zu meinen Lippen und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Fingerkuppen. Ein Lächeln blitzte auf ihrem Gesicht auf, die Reste des Lachens blitzten noch immer in ihren Mundwinkeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass du sowas sagen würdest. Du wirst oft viel zu Ernst für... solche Anspielungen.", meinte sie und setzte sich zu mir auf die Bettkante. Ich betrachtete ihre grünen Augen und zuckte mit den Schultern. „Du wärst überrascht. Nur weil ich nicht sage was ich manchmal denke, heißt das nicht, dass ich diese Gedanken nicht habe. Vor Vietnam war ich nicht so... ernst, wie du es nennst." Anne schien für einige Sekunden sprachlos. Ihre Augenbrauen waren noch immer hochgezogen. Ich betrachtete ihre Gesichtszüge, die zwischen zwei Emotionen kämpfen, ehe schließlich die Belustigung siegte. Errötend begann sie zu kichern, wie das Mädchen, das sie eigentlich noch war und ließ sich an meine Schulter fallen. Ich musste schmunzeln und schnaubte gespielt empört. „Ich weiß nicht, was dich daran zum Lachen bringt.", sagte ich ironisch. Anne biss sich grinsend auf die Unterlippe, versuchte das Kichern zu unterdrücken. Ich zog gespielt fragend die Augenbrauen hoch und musterte sie einen langen Augenblick. „Eigentlich bist du der Frauenheld und Stefan das schüchterne Mauerblümchen, nicht wahr? Ich kann mir das nicht mal vorstellen.", bedachte sie grinsend. Ihre Wangen glühten, doch ich genoss es sie so frei daherreden zu hören. Bevor sie ihre Worte später bereuen konnte und die Ernsthaftigkeit des Tages uns wieder einholte. Denn in erster Linie war sie das, ein junges Mädchen ohne Erfahrung aber mit der Neugier, wie weit sie gehen konnte. Ich sah sie mit einem leichten Lächeln an und verkniff mir mein Zugeständnis, dass ich mindestens genauso wie Stefan sein konnte, ohne vor dem Unfall zumindest ein ähnliches Selbstverständnis hatte. Anne hätte mich noch vor ein paar Monaten unausstehlich gefunden, da war ich mir sicher. „Bleiben Sie unbesorgt, junge Dame. In mir sind nur die edelsten Gedanken.", sagte ich gespielt ernst und fing dann wieder zu lächeln an. Anne rollte mit den Augen. „Gewiss", meinte sie wegwischend. Ich lachte in mich hinein, beugte mich zu ihr runter und gab ihr einen kurzen Kuss, den sie nach kurzem Zögern schüchtern erwiderte. Für meinen Geschmack etwas zu vorsichtig. „Essen?", fragte ich schmunzelnd, nachdem ich mich von ihr gelöst hatte und Anne nickte fröhlich. „Essen!"
*
In der Küche wurde mir klar, das es doch schon später sein musste, als ich gedacht hatte. Stefan und Julie waren schon fertig mit Frühstück und unterhielten sich. Als sie uns in der Tür sahen, hielten sie inne und Stefan konnte sich ein vielsagendes Schmunzeln nicht verkneifen. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Habt ihr uns noch was übrig gelassen?", fragte ich, um die aufkommende Stille zu durchbrechen. Anne setzte sich neben Julie an den Tisch und gähnte. „Ja, ich glaube ein paar Krumen sind da noch. Ihr habt sicher Hunger.", witzelte Stefan und hielt mir einen fast leeren Korb mit Toast hin. Ich verdrehte die Augen, rollte an den Tisch und stellte den Korb zu Anne um mir neues Toast zu machen.„Da ist ein Brief für dich gekommen. Von Löwe... steht jedenfalls so drauf. Kennst du einen Löwen?", fragte Stefan und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Tatsächlich, auf der Fensterbank lag ein schmaler Brief. Ich bemerkte ihn, als ich das Toast in den Toaster schob. Mit einem leichten Gefühl der Wärme öffnete ich ihn unsauber und zog einen schlanken Zettel hervor, der mit großen, sauberen Buchstaben beschrieben war. An den Rändern waren winkende Männchen zu sehen, einige schliefen, andere hatten statt Augen Kreuze. Ein Künstler war Löwe nie gewesen. Ich musste lächeln.
Lieber Herr Derren,
Hier ist Löwe und die anderen. Ich hoffe dir geht es besser nachdem was dir passiert ist. Hab' gehört, dass du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest. Das ist gut. Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich dich bei dir im Norden mal besuchen kommen.
Bei uns geht gerade die Hölle los. Wir wurden weiter in den Süden versetzt, keine Ahnung wie das hier heißt, die Namen kann ich mir immer noch nicht merken. Hier regnet es viel, unsere Kleidung wird gar nicht mehr trocken. Winter kämpft mit dem Schlamm. Er besteht jetzt zu 50 Prozent aus Mann und zu 50 Prozent aus Dreck, Tarnung, meint er, Faulheit, sage ich. Er wird sich so allerlei Krankheiten holen, aber du kennst ihn ja. Er ist stur und verrückt, aber vor allem stur.
Gestern habe ich von Blut geträumt. Der Regen macht was mit uns. Überall Wasser. Bei jedem Marsch sterben gute Männer, einfach erschossen. Weil wir kein offenes Feld haben. Weil hier viele Reisfelder sind. Die Pflanzen haben Augen. Und Gewehre. Und du lässt dir von Krankenschwestern den Arsch pudern, wie ein gestriegelter Jüngling. Komm gefälligst zurück, ich vermisse deine schlechten Witze und dein komisches Gerede, dass ich manchmal gar nicht verstehe! (Ist das überhaupt noch Englisch?)
Viele Grüße, wir sehen uns nach Weihnachten,
Dein Löwe
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Soldiers Scars #PlatinAward
Fiksi Umum„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...