"Es gibt seit Wochen kein anderes Thema. Ob es dir besser geht, ob deine Verletzungen gut verheilen, bla bla.", lachte Stefan, griff in den Korb und holte sich einen Schokoriegel heraus. Mutter bohrte einen strengen Blick in seinen Rücken, doch er merkte es nicht. "Manchmal denke ich, du wärst der Mittelpunkt der Welt. Die Hauptperson in einem Roman. Einfach unheimlich wichtig." Er packte den Riegel aus und biss ab wie von einem Stück Brot. Ich unterdrückte ein Schaudern. "Um mich kümmert sich gar keiner.", nuschelte er weiter und blickte beim giftigen Schnalzen unserer Mutter auf. "Nun übertreibst du aber! Ihr seid beide wichtig, aber Derren hat es momentan einfach nicht leicht. Ein bisschen Rücksicht und ein bisschen weniger Eifersucht wäre da durchaus angebracht.", tadelte sie in ihrer üblichen, mütterlichen Strenge. "Ja, natürlich, Mutter.", nuschelte mein Bruder und verdrehte die Augen. Ich konnte mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Wenn die beiden wüssten, wie ähnlich sie sich sind...
Da ging die Tür auf und eine fröhlich lächelnde Anne kam herein spaziert. Die gläserne Vase die sie im Arm hielt gluckste und Wasser schwappte in dem etwas zu reich verziertem Gefäß. Wahrscheinlich Privatbesitz oder eine Spende, aber definitiv nichts was sich das Krankenhaus von Natur aus leisten würde. Mein Bruder versuchte seinen Blick in ihre Richtung nicht zu auffällig zu gestalten, aber ich merkte wie er auf ihr Auftauchen reagierte. "Guten Tag! Ich bringe die Vase, um die gebeten wurde. Wo darf ich sie hinstellen?", fragte sie und blieb schwungvoll stehen. Sie war hübsch, es fiel mir heute einmal mehr auf. Ganz besonders heute. Denn... hatte sie sich geschminkt? Natürlich nur ganz dezent aber... es fiel mir auf. Und ganz offensichtlich nicht nur mir. "Hier auf dem Beistelltisch, bitte. Danke, dass Sie sich so schnell darum gekümmert haben.", sagte meine Mutter und lächelte freudlich. Anne nickte strahlend, sodass ihre dunklen Locken in ihrem Zopf hüpften und setzte sich wieder in Bewegung, als alles schrecklich schief ging. Denn es war mein Bruder, der seinen Mund nicht halten konnte.
"Sie sehen heute bezaubernd aus, Miss Johnnson. Dieses etwas mehr an Farbe steht Ihnen wirklich ausgezeichnet. Da bedauere ich sogar, dass ich zu verhindert war, um mich mit Ihnen zu treffen. Aber das lässt sich sicher nachholen, nicht wahr?" Das war es. Sie drehte überrascht den Kopf zu Stefan um, ihre Augen weiteten sich in einer Mischung aus Entsetzen, Verwirrung und tatsächlicher Überraschung, als sie zu staucheln begann und die Vase ihr aus den Händen glitt. Das nächste was ich wahrnahm war, wie meine Welt explodierte. Das zerschellen der Vase auf dem Boden war unglaublich laut und schrill in meinem Kopf. Es hallte wieder und wieder, selbst als ich mir in plötzlich aufwallender Panik die Hände auf die Ohren presste verschwand das Geräusch nicht. "Nein...", hauchte ich erst leise, dann immer lauter. "Nein!" Mein Kopf fühlte sich an, als würde er unter dem Lärm zerbersten, einfach auseinanderbrechen. Angsterfüllt schüttelte die den Kopf, aber das schien es nur noch schlimmer zu machen. Mein Herz begann wie wild zu rasen, während ich nach Luft schnappte. War das Rauch? Qualm der in meine Lunge stieg? "NEIN!", rief ich erneut und versuchte schneller atmend Sauerstoff einzuatmen. Da war so viel Rauch und... mir war als könnte ich den Geruch von verbranntem Fleisch riechen. Fleisch das da zuerst von einem tobenden, ohrenbetäubenden Sturm zerrissen und dann verbrannt wurde. "HILFE!!", schrie ich panisch und merkte wie erste Tränen aufstiegen, ehe ich anfing zu schreien. Es tat weh. Überall. Mein Körper brannte... Verbrannte. Und immer wieder hörte ich diesen ohrenbetäubenden Lärm, der mein Trommelfeld zerbersten musste.
"NEIN, HILFE!!" Ich wandt mich, hilflos, allein. Den Flammen, dem Reißen einer unheimlichen Kraft ausgesetzt. Mein Körper glühte, meine Beine fühlten sich an, als würden sie mir bei lebendigen Leibe herausgerissen und verbrannt werden, bis der Knochen schwarz war und wie Lava glühte. "ICH VERBRENNE!", rief ich mit panischer Furcht, die mein Herz so schnell in meiner Brust schlagen ließ, dass es gleich zu explodieren schien. Genauso wie alles andere gerade zu explodieren schien. Alles wurde auseinander gerissen, verbrannt, verkohlt. Es tat so weh. Ich schrie wieder langgezogen, presste die Hände fester auf meine Ohren in der Hoffnung, dieser Lärm würde endlich aufhören. Es half nicht. Wenn möglich machte es das nur noch schlimmer, während meine Finger verglühten vor Hitze und wie verbranntes Fleisch stunken. Mein Atem ging schneller, flacher, ruckartiger, die Luft wurde wärmer und dicker. Meine Kehle zog sich bei diesem unangenehmen Gefühl zu und als ich erneut schreien wollte, kam nur noch ein ersticktes Krächzen hervor. Herr im Himmel lass es vorbei gehen. Lass es enden, wollte ich flehen, doch ich blieb im stummen Leid, verdammt den Schmerz, der meinen Körper in heißen Klauen hielt zu ertragen. Tränen liefen mir über die Wangen, verdampften in der Hitze, wurden weggefegt bevor sie die brennende Haut kühlen konnte. Mein Mund zu einem stummen Schrei verzerrt, doch das einzige was ich rausbekam war ein jammervolles Wimmern. Ich wollte einfach nur sterben... Damit es endlich aufhörte. Der Lärm und der Schmerz. Es tat so weh, so unsagbar weh. Ich wandt mich, doch etwas unsichtbares hielt mich fest, fixierte mich und hielt sich davon ab wegzulaufen vor diesem Schmerz, dieser Hölle die da losgebrochen war und mich mit sich riss. Nein, lass mich los! Ich ertrage das nicht, doch meine Stimme versagte, so rau und wund wie sich meine Kehle wegen des Rauches anfühlte. Mein Schluchzen ging in dem Lärm der Explusion unter, als neue Tränen an meinen Wangen hinab flossen. Mein Kopf schwirrte, wurde schwindelig, ertrug diesen Schmerz nicht. Und mit jedem viel zu schnellen, japsenden Atemzug bekam ich weniger Luft, als alles dunkel um mich herum wurde und plötzlich, so schnell wie es gekommen war... kam Stille.
Beruhigende, erholsame Stille in der ich meinen Körper nicht mehr spürte und auch keinen Schmerz mehr. Wie bei einem langen Brand kühlte ich ab, entspannte mich, holte tief Luft und suchte die armen, verkohlten Fetzen meiner Seele zusammen, die dort in dieser schwarzen, watteartigen, kühlen Stille übriggeblieben waren. Am liebsten hätte ich geweint vor Erleichterung, dieser glühenden Hölle entflohen zu sein, wo mich keiner draus hätte retten können, doch mein Körper war nicht mehr da. Da waren keine Augen mehr zum weinen, kein Mund mehr zum seufzen, keine Beine zum niederknien. Da war nur noch meine verkohlten, zerrissenen, explodierten Fetzen, die ich wiegte und zu Ruhe legte. Denn ich... war tot.
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Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...