„Ja genau, der Ring ist schon ewig in unserer Familie. Keiner weiß genau wie lang. Aber schon auf einem Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert ist er zu sehen.", erzählte Stefan gerade einmal wieder eine Anbekdote aus unserem Leben. Ich hatte das Gespräch nicht ganz mitbekommen und war mir deshalb nicht sicher, um welchen Ring es genau ging.
Bedächtig faltete ich den Brief von Löwe zusammen und wollte ihn gerade wieder auf den Stapel zurücklegen, als mir der Ausschnitt des Logo der Army auf einer Briefecke auffiel. Er lag unter der Tischdecke, war unliebsam darunter gekehrt und ich hätte ihn wahrscheinlich nicht mal bemerkt, wenn dieses Logo nicht darauf gewesen wäre. Ich legte meinen Brief zurück und zog vorsichtig an dem versteckten Brief unter dem Weihnachtsdeckchen. Das ganze Logo erschien, zusammen mit dem Adressaten, der in unpersönliche Druckbuchstaben in das Papier geschlagen wurde. Stefan McConnell. Ich stutzte. Wenn die Army mir noch etwas mitteilen wollte, dann hätten sie sich doch persönlich an mich gewandt oder zumindest an meinen Vater. Ich sah, dass der Brief bereits sauber geöffnet wurde. Doch gesagt hatte mir niemand etwas. Eine Nachricht an mich hätte Stefan mir doch früher sagen müssen. Und ich war auch der festen Meinung, dass er es in jedem Fall getan hätte. Stefan war zwar ein notorischer Schönreder, aber jemanden etwas wichtiges verheimlichen war eigentlich nicht seine Art.
Ich wollte gerade nach dem Brief greifen, um ihn Stefan zu zeigen und zu fragen, was das zu bedeuten hatte, als mir ein Gedanke kam, der mich innehalten ließ. Was, wenn das tatsächlich keine Nachricht an mich war? Was, wenn die Army etwas von Stefan wollte und nicht von mir? Wenn ich jetzt durch meinen Unfall ausfiel... könnte es sein, dass... Doch ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende führen. Es war zu schmerzlich, zu absurd es zu denken. Stefan war kein Kämpfer, er war ein verdammt guter Redner, aber mir körperlich weit unterlegen. Schon als Kind hatte er andere lieber mit Worten, denn mit Taten begeistert. Ich merkte, wie meine Hände leicht zitterten, als ich Stefans Brief wieder unter die Tischdecke schob und meinen auf den Stapel zurück legte. Eine hartnäckige Übelkeit erfasste mich, doch ich würde darauf verzichten es den anderen mitzuteilen. Ich fuhr zurück an den Tisch, an dem Stefan noch immer den Allein-Unterhalter spielte. Als wäre nichts und niemals würde sich etwas daran ändern.
„Gemälde? Richtige gemalte Gemälde?", fragte Julie begeistert. Es schien ihr etwas besser zu gehen, sie wirkte deutlich aktiver als zuvor. Stefan nickte. „Ja, ein oder zwei davon sind noch auf dem Dachboden. Zwei namenlose Vorfahren, keine Ahnung von wann genau. Nur das Datum sagt, dass sie fast 200 Jahre alt sind. Unser Opa besaß sogar eine richtige Burg. Oder jedenfalls die Reste davon. Leider verkaufte er sie kurz vor seinem Tod, weil er immer meinte; ‚was soll ich denn mit den alten Steinen, ich habe auch ohne sie schon genug Geister, die mir das Leben schwer machen'." Stefan äffte ihn mit einer knorrigen, alten Stimme nach, die selbst mich zum Schmunzeln brachte. Auch wenn er nie so geklungen hatte und sich jetzt wahrscheinlich im Grab umdrehte. An unseren Opa konnte ich mich nur wenig erinnern. Ein sturer, alter Mann, der einsam in seinem Haus an der irischen Küste gelebt hatte. Anne lächelte ebenfalls und sah zu mir. Ihr Blick war schön, forschend und irgendwie glücklich. Als würde sie mich fragen, ob die Geschichten die Stefan zum besten gab auch wirkliche stimmten. Also nickte nicht leicht und stützte mein Kinn auf meine Hand. „Heißt das, ihr habt adelige Vorfahren? Das eure Ur-ur-großmutter ein richtiges Burgfräulein war.", fragte Anne und biss von dem Toast ab, das sie sich gemacht hatte. Ich zuckte mit den Schultern. „Was heißt adelig? Die Burg stammt ungefähr aus dem 12. Jahrhundert. Es gibt viele Geschichten, die auf Familienfesten erzählt werden. Von heroischen Kriegen mit anderen Familien, geraubten Frauen, Bestienbezwingern, aber ich bezweifle, dass eine davon wahr ist. Selbst wenn unsere Familie mal Einfluss hatte, die Zeiten sind schon lange vorbei. Also glaube ich, kannst du noch ein paar Ur's ranhängen.", antwortete ich. Es stand ja auch nicht mehr viel von der Burg. Nachdem es an die Verwaltung gegangen war, hatte ich es nur noch ein paar mal mit meiner Familie besucht. Kein Dach, die Mauern von Wind und Wetter verwittert. Es war schwer vorzustellen, dass darin überhaupt einmal jemand gelebt und verwaltet hatte. „Ich würde die Burg gern mal sehen. Ich hab noch nie eine echte gesehen.", dachte Julie laut und ich bemerkte, wie Anne zustimmend nickte. Stefan schnaubte amüsiert. „Ich fürchte ihr wärt enttäuscht, wenn ihr die Burg seht. Es ist nicht so wie in den Märchen und Filmen. Keine tragische Prinzessin die gerettet werden will aus einem leuchtend weißen Turm. Nur eine Ruine aus schwarzem Stein und Pflanzen mit einem äußerst kalten Luftzug von der Küste her.", erklärte er, als wäre er Reiseführer und müsste die besten Sehenswürdigkeiten aufzählen und von den schlechten abraten. Ich hielt die Burg auch nicht für das Reiseziel Nummer eins. „Trotzdem würde ich sie gern sehen.", meinte Julie beharrlich, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Für einen Moment sah sie aus wie ein kleines Kind, das stur ihren Willen durchsetzen wollte. Ich zog die Augenbrauen überrascht hoch. Ich hatte Julie reifer eingeschätzt, mehr wie Anne.
Stefan lachte leise und stieß mir überraschend mit dem Ellbogen in die Seite. „Wenn du Anne heiratest musst du ihr und Julie unseren Familienbesitz ja irgendwann zeigen.", witzelte Stefan, was Julie mit hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis nahm. „Dann lässt sie sich freiwillig von mir scheiden.", ging ich halbherzig darauf ein und gähnte. „Wahrscheinlich", lachte Stefan. Ich sah wie Anne und Julie Blicke tauschten. Julie schien verwirrt, Anne schüttelte nur den Kopf darüber und versuchte die Röte in ihrem Gesicht zu überspielen. „Allerdings sieht sie nicht sehr schwer aus, du könntest sie dir über die Schulter werfen und über die Burgschwelle schleppen, wie Nathan es mit seiner Verlobten.", spielte Stefan auf eine der unzähligen Geschichten an, die sich in der Familie hielten. Nathan der Schreckliche, der sich seine Frau aus einer verfeindeten Familie stahl und sie zwang ihn zu heiraten. Ob es ihn je wirklich gegeben hatte, wusste wohl keiner. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Wie auch immer. Wir sollten uns schonmal fertig machen.",sagte Anne schließlich, um das Thema zu wechseln. Sie stand auf, und brachte ihr Besteck weg. Es war offensichtlich, dass ihr diese Richtung des Gesprächs nicht gefiel. Sofort fühlte ich mich schlecht sie den Sticheleien meines Bruders ausgesetzt zu haben. Auch Julie war aufgestanden, ihr Blick verriet noch immer ihre Verwirrung über dieses Gespräch. Als die beiden im Wohnzimmer verschwanden, um sich anzuziehen, raufte ich mir das Haar. „Ach man, mach dir keine Sorgen. Anne fängt sich schon wieder.", meinte Stefan, als er meinen Blick richtig interpretierte. Ich sagte nichts dazu, sondern biss mir auf die Zunge dafür, dass ich mich von Stefan für die Neckereien hatte hinreißen lassen.
Nachdem wir einige Momente schweigend am Tisch gesessen hatte streckte Stefan sich. „Naja, ich geh mich dann auch mal fertig machen." Ich sah zu ihm auf, als er aufstand. Jetzt war die ideale Gelegenheit, um ihn noch einmal auf den Brief anzusprechen, den die Army an ihn gerichtet hatte. Aber irgendwie wollte mir kein Wort über die Lippen kommen, als er zur Tür ging. Als wäre da eine unsichtbare Fessel, die mich davon abhielt, die Wahrheit zu erfragen. Und ich wusste nur zu genau, wie diese Fessel hieß, die mich hinderte. Angst... Ich hatte Angst davor das zu hören was ich längst vermutete. Stefan warf mir noch einen Blick zu, als er durch die Tür in den Flur ging und ich lächelte ihm zu. Als wäre alles in Ordnung...
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Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...