„I-ich...", stolperte sie weiter. Ich amüsierte mich köstlich, auch wenn ich ihr das natürlich nicht zeigte. „Damit ich weiß... welchen Eindruck ich auf meine Patienten hinterlasse. Damit... ich mich verbessern kann. Ja, deswegen. Ich wollte nicht zu persönlich werden.", versuchte sie das offensichtliche zu erklären und sah mich gespielt ernst kann, auch wenn ich sehen konnte das ihre Atmung beschleunigt und ihre Augenbewegungen unruhig waren. Ein sicheres Zeichen das sie versuchte eine Ausrede zu suchen die halbwegs professionell klang, aber was hatte ich erwartet. „Wie alt sind Sie?", fragte ich in die komische Stille eines unangenehmen Gespräches. Anne sah mich verwundert an, rausgerissen aus ihren Gedanken, die sie sich wahrscheinlich gerade zurecht legen wollte.
Sie begann zaghaft zu lächeln. „Sowas fragt man eine Frau nicht.", meinte sie und setzte sich auf einen der Steine, die das Beet umbetteten. Ich zog die Augenbrauen hoch. „Eine junge Frau schon.", entgegnete ich und sah wie die Röte in ihrem Gesicht etwas abnahm. Sie beruhigte sich anscheinend. Ich hatte derweil mein Lächeln wieder versteckt, immerhin konnte es sein, dass wir durch eines der Fenster beobachtet werden. Ein bisschen Ordnung war da ganz ratsam.
„Ich bin 17, werde in diesem Jahr aber schon 18. Und Sie?", fragte sie mit kaum versteckter Neugier. Ich wettete das sie mich jünger schätzte und wenn es nur ein paar Jahre waren. „22, im Oktober ein Jahr mehr." Anne nickte und zeigte keine Spur von Erstaunen. Vielleicht hatte ich falsch gelegen und sie hatte mich gar nicht jünger geschätzt. War ich wirklich so alt? Oder sah ich eher gesagt wirklich so alt aus? Autsch... „Naja, und wo kommen Sie her? Wie sind Sie dazu darauf gekommen Schwester zu werden?", fragte ich weiter, um das Gespräch am laufen zu halten. Nicht, dass ich sie aufhalten wollte, aber mir gefiel die frische Luft, das Grün und natürlich dieses Gespräch. Anne lächelte breiter, wenn auch ein wenig verhalten. „Ich weiß nicht, ob ich das einem Patienten erzählen sollte. Ich meine, es ist ja dann doch ziemlich privat-" „Dann sehen Sie mich nicht als Patienten. Sehen Sie mich als einen interessierten Irgendjemand in einem schönen Park, der zufälligerweise genau da liegt wo Sie arbeiten.", schnitt ich ihr ins Wort, bevor sie sich noch weiter rausreden konnte. Das brachte Anne zum Lachen. Wirklich zum Lachen. Ein helles, lautes Geräusch voll Glück und Gesundheit, während sich kleine Grübchen auf ihren Wangen bildeten. Ich fühlte mich wie durch Zauberhand besser, obwohl es sie war, die lachte. Ich genoss den Augenblick. „Okay, dann ist es mir eine Freude Sie hier ganz zufällig zu treffen.", kicherte sie weiter. Ich lächelte, ich war froh sie zum Lachen gebracht zu haben. Vor meinem... Unfall... konnte ich immer gut Leute aufmuntern und glücklich machen. Vielleicht hatte ich diese Fähigkeit ja noch nicht verloren. „Naja, über mich gibt es nicht viel zu wissen. Meine Familie kommt ursprünglich aus Deutschland. Wir sind nach Amerika gekommen als sich die Situation dort verschlechtert hat. Ich bin wegen der Schwesternausbildung nach Boston gekommen. Es hat mir einfach schon immer gefallen mit Menschen zu arbeiten und sie gesund werden zu sehen.", erzählte Anne, als wäre das alles etwas, was ich schon tausendmal gehört hatte. „Aus Deutschland?", fragte ich verwundert und schaute zu wie sie mit den Schultern zuckte. „Meine Familie ist jüdisch.", fügte sie leiser hinzu, als müsste sie es noch immer geheim halten. Es war ihr natürlich nicht zu verdenken. Ich nickte verständnisvoll. „Ich wurde aber hier geboren.", sagte sie wie eine Rechtfertigung für ihr Dasein und nickte. „Und haben Sie vor irgendwann nach Deutschland zurückzukehren?", fragte ich vorsichtig, um ihre Gefühle nicht zu verletzten. Ich konnte mir vorstellen, dass sie empfindlich auf diese Frage reagieren könnte. „Vielleicht irgendwann, aber jetzt kann ich mir das noch nicht vorstellen.", meinte Anne lockerer, als ich gedacht hatte und sah mich an.
„Und was ist mit Ihnen? Es wäre nur fair, wenn Sie mir auch was über sich erzählen." Ich stieß die Luft, die ich eingeatmet hatte langsam aus. Natürlich hatte ich diese Frage erwartet, sie war nur logisch, wenn sie mir so viel von sich erzählte. Und doch warf es größere Probleme in mir auf, als ich wahrhaben wollte. Nichts war mir lieber als diesen Teil des Gesprächs zu überspringen, aber das wäre nicht recht gewesen. Sie würde mich nach Vietnam fragen, natürlich würde sie das. Schließlich lief mein ganzes Leben auf diesen Punkt hinaus. Es war Grund für all meine Entscheidungen, und letztlich auch der Grund, warum ich hier war. Und ich wollte keine Panikattacke bekommen. Nicht jetzt und nicht hier. „Also... ich wurde hier in Boston geboren. Meine Familie ist eine ganz normale Arbeiterfamilie, also Mutter Hausfrau und mein Vater arbeitet als Abteilungsleiter in einem Versicherungskonzern, nachdem er zwanzig Jahre lang gedient hat.", erzählte ich das harmlose zuerst. Anne hing an meinen Lippen, als würde ich gerade ein spannendes Abenteuer mit Helden, Monstern und der Rettung der Welt erzählen. „Ich wusste schon sehr früh, dass ich wie mein Vater zur Army wollte. Der Gedanke etwas zu verändern, für mein Land und meine Überzeugung zu kämpfen hatte einen großen Reiz." Anne stutzte sichtbar. „Hatte? Sehen Sie das jetzt anders?", fragte sie neugierig nach. Ich lachte hart und freudlos auf. „Ja, das sehe ich jetzt anders. Jetzt sehe ich wie es wirklich ist." Anne sah mich fragend an und deutete mit dem Kinn auf meine Beinstummel, zögerlich, ängstlich. Ich seufzte lang und lehnte mich zurück. Eigentlich wollte ich es dabei belassen, auf ein anderes Thema umlenken, aber Annes offener, unschuldiger Blick der mich stumm fragte stimmte mich um.
Ich beließ es eine Weile lang bei der Stille ehe ich antwortete. „Diese Männer, das Land für das du kämpfst gibt dir Auszeichnungen, Stecknadeln und Papier. Es schenkt dir dann Aufmerksamkeit, wenn der Dienst schon vorbei ist. Es ehrt die Überlebenden mit Sinnlosigkeiten und Zeremonien, die der wahren Bedeutung dessen was sie erlebt haben nicht annähernd erfasst. Wenn du in einem Gefecht stehst bist du allein. Dann kämpfst du nicht für irgendein Land oder die Überzeugung von Männern in Anzügen, die aus ihren hübschen Villen Entscheidungen über dein Leben treffen. Du kämpfst um dein Überleben, jeden Tag und jede Nacht und hoffst, dass du den nächst Sonnenaufgang noch erlebst. Du siehst Freunde sterben, die noch vor wenigen Stunden das Brot mit dir geteilt haben, gelacht, geredet und von Zuhause erzählt haben. Du musst Verletzten vorlügen sie kämen nachhause, während ihnen die Gedärme aus dem Bauch quellen.
Alles ist so sinnlos, das Sterben und das Leben gleichermaßen. Wenn die Anzugträger wollen das du schießt, dann schießt du und wenn nicht... verweigerst du Befehle und wanderst in den Knast. Das alles hat nichts mit dem zutun, was man sich hier zuhause vorstellt... Absolut gar nichts." Ich schloss dir Augen für einen Moment und atmete tief durch. All der Hass auf die Leute die sich Verteidigungsminister schimpften kochte hoch, doch ich zwang es nieder. Wartete, bis sich mein Puls normalisiert hatte.Anne schaute mich entsetzt an. Offenbar wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte. Ich fühlte mich schlecht ihr das alles erzählt zu haben, immerhin hätte sie das alles nicht wissen müssen. Es war gut wenn sie so unschuldig und fröhlich blieb wie jetzt. „Anne...", sagte ich nach einer guten Weile des Schweigens. Sie nickte aufmerksam. „Wir sollten wieder rein gehen." Anne sah mich bewegungslos an. Ihre Augen waren jetzt traurig, doch sie stand langsam auf, ging um mich herum und drehte mich so, dass wir zurückgehen konnten. Da blieb sie auf einmal stehen und beugte sie zu mir runter. „Danke, dass du mir das erzählt hast, Derren.", flüsterte sie, sodass nur ich sie hören konnte. Der Wind frischte auf, die Sonne war hinter Wolken verschwunden.
__________________Hallo :)
Wie immer bedanke ich mich fürs Lesen! Ich bin nächste Woche im Urlaub, weshalb kein Kapitel kommen wird.
Bis dahin wünsche ich eine wunderbare Zeit!
DU LIEST GERADE
Soldiers Scars #PlatinAward
General Fiction„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...