Kapitel 4 - Frühstück

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Eine höchst unruhige Nacht lag hinter mir. Die ledernen Fesseln hatten mir immer wieder in unsichtbarer Schwere die Luft abgeschnürt und nichts hätte ich lieber getan als mich süßem Schlaf hinzugeben um sie zu vergessen. Aber das war mir nicht vergönnt gewesen. Sie hatten sich mir jede Minute wieder ins Bewusstsein gerufen und mich an jedem vollen Atemzug gehindert.

Zunächst hatte ich noch das kalte Gefühl der Angst die mir die Luft abschnürte niedergekämpft, an Lektionen aus der Army gedacht, die zur Entspannung in Stresssituationen dienten, aber nach Stunden des Kampfes hatte mich doch die Kraft verlassen und Panik war wie kalter Regen über mich gekommen. Die Dunkelheit rückte näher, verstärkte das Gewicht der Lederriemen und die Beklemmung wuchs ins Unermessliche in mir an. Ich hatte angefangen zu schreien, um Hilfe zu rufen und mich gegen die eigentlich lockeren Fesseln zu stemmen. Flach atmend und mit dem Gefühl mit jedem Atemzug weniger Luft in die Lunge zu bekommen hatte ich mich im Bett gewunden. Bald darauf war eine Nachtwache gekommen, hatte das grelle, fahle Licht angemacht und mich schweißnass und schwer atmend in meinem zerwühlten Bett vorgefunden.
Ich musste einen schrecklichen Anblick abgegeben haben wie ich da mit weit aufgerissenen Augen und vor Panik verkrampfte Muskeln zu ihr hinstarrte. Kurz entschlossen hatte sie mir ein Beruhigungsmittel gespritzt und war wieder gegangen.

Knapp eine Stunde später das gleiche Szenario. Als die Wirkung des Beruhigungsmittels aufhörte zu wirken war es nur noch schlimmer. Mein Körper krampfte sich zusammen und ich hechelte umso gieriger nach Luft. Gequält zwang ich Laute aus meiner Kehle die kein richtiges Wort bildeten und kämpfte mit aller Kraft.

Erst nachdem sie mich eine ganze halbe Stunde vor mich hinsiechen ließ, ich flehte, sie sollten mich doch endlich befreien und vor Panik beinahe ohnmächtig geworden war, entschloss sich die korpulente Frau namens Judy mir die Fesseln abzunehmen. Es war eine Wohltat, eine Ruhe die mich überkam als es draußen beinahe dämmerte. Die Stellen an denen ich zuvor die Fesseln gespürt hatte pochten und die grässliche Enge um meine Brust verschwand rasch. Aber mein Kopf dröhnte wie ein Presslufthammer als ich kraftlos in den Kissen erschlaffte und gerade noch hörte, wie die Judy mein Krankenzettel aus der Folie am Bettende nahm. Im nächsten Moment war ich erschöpft eingeschlafen.

Nur drei Stunden später wurde ich geweckt. Eine Hand hatte sich auf meinen Arm gelegt und rüttelte sanft an mir. Ich brummte. „Mister McConell Ihr Frühstück.", bemerkte eine freundliche, zurückhaltende Stimme. Anne, ich wusste es ohne hinzuschauen. Erneut brummte ich und hielt die Augen geschlossen. Alles tat mir weh von dieser Nacht, mein Kopf war langsam und pochte noch immer.

Wieder rüttelte sie an mir, hartnäckiger diesmal. „Sie müssen etwas essen und sich waschen lassen.", forderte Anne mich auf, ließ ihre Hand jedoch von meiner Schulter gleiten. Wieso konnte sie mich nicht einfach schlafen lassen? Sie musste doch wissen was für eine Nacht ich hinter mir hatte, das hatte Judy bestimmt schon jedem erzählt. Also beschloss ich Anne solange zu ignorieren, bis sie wieder ging.

Sie blieb. Was für ein gewissenhaftes Mädchen sie doch war, ihre Eltern waren sicher stolz auf sie, dachte ich nicht ohne Zynismus. „Ist alles in Ordnung?", fragte Anne nun mit leichter Sorge und das Licht hinter meinen Lidern wurde dunkler, als sie sich über mich beugte. Vorsichtig tätschelte sie meine Wange. Ihr warmer Geruch stieg mir in die Nase und ich konnte nicht verhindern kurz unauffällig einzuatmen, um mehr davon zu riechen. Irgendwas leichtes, unauffälliges, einfach zu übersehen, aber dennoch so schön wie eine Blume in einer geruchlosen Wüste. Der letzte Hauch eines Parfüms, vielleicht Tage alt, hing in ihrem Nacken. „Mister? Haben Sie schmerzen? Soll ich den Arzt rufen?", fragte sie erneut, ernsthaft besorgt nun und eine leichte Aufregung ließ ihre junge Stimme beben.

Ich schüttelte benommen Kopf. Allein diese kleine Bewegung war dermaßen anstrengend, dass ich danach erschöpft war. Die letzte Nacht hatte mich wirklich fertig gemacht. „Ehm... ich hole besser den Arzt.", überlegte sie laut über mir. Ihre Stimme war unglaublich unsicher darüber etwas falsch zu machen. Ich seufzte verzweifelt, zwang meine Augen halb auf und nahm ihr Handgelenk, als sie sich bereits zum gehen wandte. Mein Druck musste schwach sein, die Anstrengung ihn überhaupt zu bewegen ließ ihn zittern. Mein Griff hätte sie wohl kaum von einem weiteren Schritt abgehalten, aber sie blieb stehen und sah mich an. Ihre Augen sahen in meine, als sie sich zu mir auf die Bettkante sinken ließ. „Nicht... gehen", presste ich hervor und bemerkte erleichtert, dass sie es verstanden hatte. Ihre Wangen färbten sich einmal mehr rosa und sie nickte.

Sie stellte meine Lehne hoch, sodass ich nicht mehr flach auf dem Rücken lag. Es tat ungewöhnlich gut, nun da das Zimmer mit Tageslicht beleuchtet war und ich durch das Fenster einen kleinen Teil von Boston sehen konnte fühlte ich mich besser. Vorsichtig nahm sie das Tablett mit „Frühstück" vom Tisch neben dem Bett und stellte es mir auf den Bauch. „Sie müssen etwas essen.", sagte sie streng, aber die Strenge wirkte weich und biegsam wie bei einem Kind, das gerade den Rücken durchdrückte und sagte, es werde niemanden in sein Zimmer eintreten lassen. Hätte ich mich nicht wie zerkaut und ausgespuckt gefühlt, hätte ich geschmunzelt. Aber das war nicht möglich, mein Gesicht blieb emotionslos.

Das „Frühstück" bestand aus einem Teller mit grauem, schleimigen Porridge, einem Riegel Schokolade und fertigem Orangensaft. Ich seufzte in mich hinein, eigentlich hatte ich gar keinen Hunger, mein Körper fühlte sich taub an, irgendwie gefühllos, aber ich wollte Anne nicht noch mehr Probleme machen, sonst würde sie am Ende wirklich noch den Arzt zu Rate ziehen. Und von seinen Urteilen hielt ich auf den seit der Nacht nicht allzu viel. Also nahm ich den Löffel und begann den Porridge in mich hinein zu schaufeln, ohne wirklich zu schmecken oder mich um eine Höflichkeitsgeste zu bemühen. Es schmeckte genauso fade wie ich mich gerade fühlte. „Die Nachtschwester hat mir erzählt was... passiert ist.", begann Anne nach einer Weile. Die Röte hatte sich auf ihr ganzes Gesicht und Dekolleté ausgebreitet, was ich durch den schmalen Strich Haut, der ihr am Kragen hervorlugte sehen konnte. Sie schaute auf die Hände in ihrem Schoß. „Ich wusste nicht... Ich...", sagte sie vorsichtig, leise. Ich aß weiter ohne irgendeine weitere Reaktion zu zeigen. Zum Teil um abzuwarten was sie als nächstes sagen wollte, obwohl ich es bereits ahnte anhand ihrer Reaktion, zum größten Teil aber fühlte ich mich gerade nicht stark genug um selbst was zu sagen. Es strengte mich genug an etwas zu essen.

Sie wischte sich unsichtbare Fussel vom weißen Kittel. „Wenn ich gewusst hätte das Sie an Klaustrophobie leiden, dann... Es tut mir leid.", stieß Anne schließlich mit einem Seufzen hervor und hob endlich den Blick um nach meiner Reaktion zu sehen. Ich spülte gerade mit warmen Orangensaft die Reste des Porridge runter, der mir an der Zunge um im Hals klebte. Ich sah wie Anne mich unsicher anblickte. „Mh...", machte ich und räusperte mich. Es war keine Antwort, das wusste ich wohl, aber irgendwie war es genug in meinen Augen.

Anne reichte es offenbar nicht, sie presste die Lippen aufeinander und schluckte mehrmals. „Es tut mir leid, ich hätte aufmerksamer sein müssen.", sagte sie nachdrücklich und wandte den Blick ab. Mit undurchdringlichem Blick wollte sie aufstehen, doch ich hielt sie wortlos zurück. Sie blickte auf meine Hand, die wieder um ihr Handgelenk lag, schwach. So erbärmlich schwach, dass sich Wut in mir regte. Annes Blick wanderte wieder zu mir hoch. „Ich-", wollte sie gerade anfangen, da schnitt ich ihr schärfer ins Wort als gewollt. „Schon gut. Geh jetzt! Ich bin fertig." Ich war nicht wütend auf sie, eher auf mich selbst, dass ich so unglaublich schwach war. Ein Schatten von dem, was ich noch vor einigen Wochen gewesen war.

Ihre Augen weiteten sich unmerklich, als sie ruckartig nickte und sich eilig daran machte das Tablett von meiner Decke zu nehmen. Ich hatte gerade keine Gedanken für ihre Reaktion, ich schaute noch immer auf meine eigene Hand, die nun kraftlos in die Laken zurückgesunken war. Ich versuchte die Hand zur Faust zu ballen, doch ich konnte sie nicht anspannen, sogleich begann mein ganzer Arm zu zittern. Wütend sog ich die Luft ein und versuchte es wieder. Jede meiner Bewegungen war so langsam.

Anne beeilte sich den Raum zu verlassen. Mit gesenktem Blick öffnete sie ungeschickt die Tür. Ich schaute sie nickt an, mein wie zuvor Blick war düster auf meine Hand gerichtet. „Eine Schwester wird Sie gleich waschen.", hörte ich sie eingeschüchtert von der Tür her sagen. Ihre Stimme war etwas höher als normal, aber es interessierte mich nicht weiter. In mir kämpfte gerade eine Wut wie ein Feuersturm. Mein Frust über meine Schwäche brannte in meinen Adern wie Lava. Dann schloss sich leise die Zimmertür.

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