In meinen Träumen war ich wieder in Vietnam. Der verletzte Kamerad hing mit seinen knapp 80 Kilo über meiner Schulter und sein Blut vermischte sich auf meiner Brust mit meinem Schweiß, der mir wegen der Hitzen am ganzen Körper runter rann. Die Luft war zum schneiden dick und schnürte meine Kehle bei jedem Atemzug zu. Atmen, befahl ich mir und auch meinem Kameraden innerlich, atmen! Erschöpft zwang ich einen Fuß vor den anderen, wobei sich jeder Schritt schwerer als der letzte anfühlte und die Anstrengung meine Beine zu Blei werden ließ.
Nicht weit von uns hörte ich plötzlich einen Schusswechsel, gefolgt von Explosionen, ausgelöst von Handgranaten. Reflexartig ließ ich mich und meinen Kameraden, Seb, in das nächste Unterholz fallen. Mein Herz raste, ich achtete nicht darauf mich abzufedern und ich zeigte keine Reaktion als dadurch meine Handflächen am unebenen Untergrund aufrissen. Seb stöhnte leise auf. Ich hatte ihn in meiner Not von meiner Schulter rutschen lassen. Panisch drückte ich ihm meine Hand auf den Mund und schaute ihm in die Augen. Für einige Minuten war es unglaublich ruhig, sodass ich es wagte meine Hand zitternd von seinem Mund zu nehmen. Er schloss die Augen und fiel von einem Moment auf den anderen in Ohnmacht.
Vorsicht robbte ich mit den Ellenbogen weiter vor, sodass ich aus dem Unterholz schauen konnte ob ich irgendjemanden sehen konnte. Mit gezücktem Gewehr wartete ich. Und wartete. Der Schweiß lief mir in die Augen, ich blinzelte. Mein Finger zitterte am Abzug, während ich innerlich hoffte niemanden zu sehen.
Kein Vogel war zu hören, kein Tier im Urwald, als plötzlich die Welt vor meinem Augen explodierte. Meine Ohren wurden betäubt von der plötzlichen Wucht die mich erfasst und ein penetrantes Piepen übertönte das Grollen der Explosion. Der Schmerz in mir wurde übermächtig, ich konnte ihn nicht lokalisieren, als ich gleichzeitig sah, wie alles um mich herum in Stücke gerissen wurde...
Ich erwachte schreiend aus dem Schlaf. Kalter Schweiß bedeckte meinen Körper und ich zitterte so stark, dass das graue Krankenzimmer um mich herum leicht verschwamm. Ich konnte nicht aufhören zu schreien, die Erinnerungen drückten auf mich ein. Meine Haut brannte und immer noch spürte ich wie all die schrecklichen Gefühle in mir schrien und riefen. Ein Konzert aus letzten Todesschreien, die Tausendfach in meinem Kopf halten.
Da legte sich beruhigend eine Hand auf einen Arm und löschte das Feuer auf meiner Haut. „Schh, schh. Es wird alles gut!", drang eine helle Stimme durch den Nebel meiner Schreie. Sie drückte mich aufs Bett und stach mir eine feine Nadel in den Arm. Ich wandte mich und packte das Handgelenk der Person. Übelkeit stieg in mir auf, mein Magen wurde heiß und ich beugte mich ruckartig nach vorn. Die mir fremde Person hielt mir eine Schüssel vor dir Nase, kurz bevor ich mich übergab, noch immer ihr Handgelenk dest umschlossen.
Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte ließ ich mich zurück in das Kissen fallen. Es war jetzt besser, und eine erholsame Ruhe breitete sich in mir aus. Ich war wieder in Sicherheit, es war nur ein Traum. Die Person stellte die Schüssel auf einem Tisch und wischte mir dann mit einem feuchten Tuch den Schweiß aus dem Gesicht. Ich seufzte vor Erleichterung wie gut das tat. Das war der Moment als ich die Person bemerkte wie fest ich das zarte Handgelenk noch immer festhielt. Ich sah auf. Zu meiner Überraschung handelte es sich um eine junge Frau, fast noch ein Kind. Sie bemühte sich mit ihrem jungem, runden Gesicht tough zu schauen, während sie gewissenhaft neben meinem Krankenbett stand. Sanft versuchte sie ihr Handgelenk aus meinem Griff zu drehen und ich ließ sie augenblicklich los. Erleichterung huschte über ihr junges Gesicht und ich konnte gerade noch die roten Abdrücke meiner Hand auf ihrem Handgelenk sehen, ehe sie die Stelle mit dem Ärmel überdeckte. Dann sah sie mir in die Augen. Nur kurz, ehe sie die grünen Augen abwandte und eine leichte Röte ihre Wange durchströmte. „Haben Sie hunger?", fragte sie routiniert und strich noch einmal mit dem Tuch über meine Stirn. Ich schüttelte den Kopf. „Einen anderen Wunsch vielleicht?" Wieder schüttelte ich den Kopf. Ich war vollkommen fertig nach dem Albtraum. Anstatt mich erholt zu fühlen, war ich erschöpfter als zuvor. Alles was ich wollte war Schlaf, aber ich wusste das dort wieder der Albtraum auf mich warten würde.
Draußen regnete es. Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit seit Vietnam vergangen war. Eine Woche? Oder erst ein paar Stunden? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass da draußen Bosten unter einem grauen Himmel lag und ich offensichtlich wieder zuhause war. Zuhause... Würde es denn je wieder das gleiche sein? Das, was ich vor Vietnam als Zuhause empfunden hatte? Geborgenheit, Zufriedenheit und Glück? Alles war jetzt anders, grau und tot. Ich empfand nichts mehr beim Anblick der Hochglanz Bankenviertel in der Ferne und dem Wasser, das durch die Hochhäuser glitzerte.
„Der Arzt wirst sich heute die Wunden ansehen. Wenn er meint, dass Sie auf dem Weg der Besserung sind wird das Opium abgesetzt. Danach haben Sie bestimmt wieder Hunger.", erklärte die junge Frau noch, ehe sie die Schüssel aufnahm und sich zur Tür umdrehte. Ich schaute reaktionslos aus dem Fenster. Der Arzt wollte sich meine Wunden ansehen. Ob es schlimm war? Ich fühlte im Moment keinen Schmerz, aber das musste nichts heißen.
Ich sah zur Krankenschwester zurück, sie öffnete gerade die Tür. Sie war wirklich jung, wenn ich genauer darüber nachdachte. Das hell braune Haar hatte sie zu einem verspielten Zopf gebunden, wobei sich ihre Locken in ihrem Nacken kräuselten. Locken. Braune Locken. Die hatte ich schon immer gemocht, aber die meisten Frauen trugen ihre Haare glatt, wie es jetzt Mode war.
Sie blickte ebenfalls noch einmal zurück und lächelte leicht. „Wie ist Ihr Name?", fragte ich und sah, dass sie nicht mit dieser Frage gerechnet hatte. Wieder färbten sich ihre Wangen leicht rötlich. „Anna. Anna Johnnson.", antwortete sie und schaute mich an, ehe sie lächeln den Raum verließ. Anna, was für ein hübscher Name...
——————————
;) Nächste Woche gibt's das nächste Kapitel.
DU LIEST GERADE
Soldiers Scars #PlatinAward
Fiction générale„Krieg... Krieg macht dich zu einem Menschen der du nicht sein willst. Er zerfrisst dich von innen nach außen, bis nichts mehr von deinem alten Ich übrig ist." Derren McConnell ist gerade mal 22, als er für zwei Jahre nach Vietnam in den Krieg gesch...