Kapitel 25 - Überlegungen

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Ich hatte irgendwann die Augen geschlossen. Es interessierte mich nicht weiter was da geschah, wer da vorbeilief, wie die Leute aussahen. Ich wollte einfach nur die Momente genießen in denen ich für mich allein war, bevor die Nacht wieder heranbrach und die Dämonen einen weiteren Teil meiner Seele fressen würden. Und die Geräusche des Krankenhauses verschwanden wirklich. Sie wurden leiser, immer leiser, bis sie schließlich kaum noch zu hören waren. Und alles an was ich dachte, war die erholsame Schwärze hinter meinen geschlossenen Lidern. Es tat gut, an nichts zu denken, auch wenn sich sofort Erinnerungen, die Zweifel und die Gedanken an Menschen, die ich nie mehr wieder sehen würde in mir regten, ich hielt sie unten, weit weg von meinen Augen, wo sie Bilder erzeugen konnten. Es war wie kaltes Wasser, das über längst verkohlte Fleisch mit kaum verheilten Narben rann und Linderung versprach. Kaltes, schwarzes Wasser, welches mich kurz untertauchen ließ, mich festhielt und mir kurz, nur für wenige Sekunden die Last von den Schultern nahm. Es war gut, es war erholsam in einer Flammenhölle, aus der ich nicht mehr herausfand. Vielleicht war es meine Seele, die endlich Frieden finden konnte. Und wenn das so war, wenn ich diese Dunkelheit brauchte und sie mich? Wenn wir uns gegenseitig abstießen und zugleich verzerrten?

"Mr. McConnell? Fühlen Sie sich nicht gut?", fragte da eine Stimme und durchschnitt mit glühender Klinge die erholsame Dunkelheit, ließ mich hart in der Realität aufschlagen. Vor mir stand eine Krankenschwester. Sie war von runder, großer Figur und ein freundliches Lächeln furchte ihr pausbäckiges, junges Gesicht. Das braune Haar war vorschriftsmäßig unter der weißen Haube zurückgekämmt und auch sonst war sie so akkurat gekleidet, wie es sich für eine Schwester wie sie geziemte. Ich schaute sie schweigend an, weder wütend noch traurig, dass sie mich aus meinem Reich des Friedens geholt hatte, bis ich bemerkte, das sie mir eine Frage gestellt hatte. Ihr Lächeln wartete auf eine Erwiderung und ihre Hilfsbereitschaft ein freundliches Abwinken. Stumm wollte ich seufzen, da ich mir schließlich doch eine Antwort über die Lippen quälte. „Ja, es ist alles in Ordnung. Nur etwas müde, aber das wird schon." Ich klang genauso emotionslos wie ich mich fühlte. Aber die Schwester auf deren Namensschild ich Trudy Stones las, schien zufrieden. Wie sie sich alle zufrieden gaben mit dieser Antwort, es fragte keiner nach... „Stones, wie von den Rolling Stones.", lachte sie heiter, als sie meinen Blick bemerkte. „Frisch im Dienst, Soldat. Seit zwei Tagen um genau zu sein." Sie salutierte wie aus Spaß, doch mir wurde bei ihrem Getue sofort schlecht. Es lag nicht an ihr persönlich, aber ich konnte es nicht leiden, wenn jemand so wenig Respekt zeigte vor den Männern, die ihr Heimatland verteidigten. Auch wenn Trudy es wahrscheinlich nicht mit Absicht tat. Ich zwang mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen, eine Maske die sich wie Draht bog. „Wollen wir in Ihr Zimmer zurück?", fragte sie überfreundlich und mit einem so bestimmt Gesicht das es kein Nein akzeptieren würde. Mein mühsames Lächeln erstarb sofort, mit einem letzten Blick auf die vorbeilaufenden Leute nickte ich steif. Ob ich nun hier saß oder in meinem Zimmer. Eigentlich war es ja nicht wichtig, diese ganzen Geräusche verursachten mir nur Kopfschmerzen, obwohl ich früher die Gesellschaft von Menschen genossen hatte. Trudys Lächeln wurde breiter und sie erwiderte mit wippendem Kinn mein Nicken. „Na dann! Mir wurde ja gesagt, dass Sie mittlerweile allein in Ihren Rollstuhl kommen.", meinte sie nebenbei und schob mir das schwarze, hässliche Teil vor die Nase, als hätte sie nur auf diese Antwort gewartet. Es bestätigte meine Vermutung das sie ein Nein nicht hätte zählen lassen. Ein widerwilliges Grollen bildete sich in meiner Brust, dann ließ ich mich mit einigen Geschickten Umgriffen steif in den Stuhl fallen, den Trudy derweil für mich festhielt.

Sie schob mich mit energischen Schritten zurück ins Zimmer. Ihre Füße in den viel zu kleinen Schuhen machten klackende Geräusche auf dem gefliesten Boden, wie ein Rhythmus, oder ein etwas zu schneller Herzschlag. Ich schaute vor mir hin, nichts wirklich fixierend. An den Rändern meines Blickfeldes verschwamm die Welt zu einem formlosen Brei. Wie lange war ich eigentlich schon hier? In diesem Krankenhaus? Meine Wunden waren fast verheilt, ich war körperlich doch wieder gesund oder? Und trotzdem. Obwohl ich die Antwort wusste warum ich noch hier war, ich lehnte es ab auch nur daran zu denken. Ich war verrückt geworden... Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mir in die Geschlossene überschrieben.

Trudy begann in der Zwischenzeit über dieses und jenes zu reden, über Kollegen, witzige Momente und komische Eigenschaften. Über einen Kollegen, der immer mit ihr flirtete und generell mit jeder Schwester, die hier auf der Station arbeitete. Eine Schwester, die ein bisschen seltsam ist und in ihrer Freizeit mit einem Mantel zusammenlebt und so weiter. Alles Dinge, die einfach an vorbeizogen wie weiße Wolken. Ich hörte eigentlich gar nicht hin, aber als ein Name erklang merkte ich ruckartig auf, wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Wir waren in meinem Zimmer angekommen. „...naja und um diese Überlegung ging es auf jeden Fall bei der ganzen Sache. Ach übrigens wo ich schon bei Überlegungen bin. Einige der Kollegen sagen, dass Schwester Anne darüber nachdenkt die Ausbildung abzubrechen. Sie ist jetzt schon seit einigen Tagen krank, und es wirkt nicht, als ob sie so bald wiederkommt. Familiäre Probleme hab' ich gehört. Das arme Ding!", sprudelte Trudy ohne Punkt und Komma weiter. Ich versteifte mich unmerklich in dem Rollstuhl und schluckte trocken. Familiäre Probleme oder war es doch... Einerseits klang es egoistisch zu denken, Anne würde wegen so einem unbedeutenden Vorfall wie meinem Anfall gleich ihre Ausbildung hier hinwerfen, aber ich konnte nicht verhindern mich unglaublich schuldig zu fühlen. Es war wie Eisnadeln in meiner Brust, die von einer dunklen Macht immer tiefer gedrückt wurden. Trudy bemerkte meinen Stimmungswechsel nicht. „Naja, bisher weiß man noch nichts genaues, ich habe Schwester Anne seitdem auch noch nicht selbst zu dem Thema befragen können, aber Sie wissen ja wie die Leute sind. Plappern sich den Mund fusselig.", lachte sie, winkte ab und stellte eine neue Wasserflasche auf meinen Tisch, nachdem sie mich neben dem Bett stehen gelassen hatte. Ich starrte ins Nichts. Alles stürmte mal wieder auf mich ein, brachte meinen Kopf zum schmerzen und nun mischte sich Schuld wie flüssiges Eis dazu. Nein, ich durfte nicht auch noch das Leben von anderen mit meinen Problemen stören! Ich war so dämlich zu denken, meine Nähe wäre auch nur im entferntesten tragbar für Anne oder irgendwen gewesen. Meine bloße Existenz musste sie belasten... Es wäre am besten für alle, wenn ich einfach verschwand. Wenn ich dieser Welt entnommen wurde, um nicht noch mehr Schaden anzurichten. Und wenn es wirklich „nur" Familienprobleme waren? Dann halfen meine Probleme ihr immerhin nicht, damit fertig zu werden.

Elend hob ich mich in mein Bett und ließ mich von Trudy zudecken. Sie war wie eine große, mollige, runde Katzenmutter. Ihr Lächeln war wieder gutmütig und sie tätschelte mir kurz den Kopf, wie bei einem Kind. „Erholen Sie sich, es geht bald nach Hause.", sagte sie, stellte meinen Rollstuhl bei Seite, nachdem ich es ihr gesagt hatte auch für mich erreichbar. Dann ging sie, und schloss die Tür ganz leise hinter sich.

Ich starrte an die Decke und schluckte unglücklich. Wieder allein, wieder die Dämonen. Diesmal neue. Diesmal kalte, nicht heiße, die mir die Haut verkohlten. Und obwohl ich mir in den letzten Nächten nicht mehr als Kälte auf meiner Haut gewünscht hatte, kam es mir jetzt wie Folter vor. Wie kaltes, mich erfrierendes Eis.

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