Kapitel 22 - Leben

272 18 0
                                    

2 Tage später

Ich erwachte mit einem Gefühl, das einer durchzechten Nacht mit Dorgenexessen und einer menge Alkohol glich. Mein Kopf dröhnte, pochte vor Schmerz und war so schwer wie nie zuvor. Es war unmöglich ihn zu heben, selbst das Sonnenlicht war schon zu grell für meine Augen und bohrte sich wie eine glühende Nadel durch meine Augen direkt in mein Gehirn. Der scharfe Geruch nach Desinfektionsmittel tat sein übriges.

Ich stöhnte gequält auf und kniff die Augen zusammen, wandte den Kopf von der Lichtquelle ab. Und während ich die Sekunden zählte, ganz langsam und gleichmäßig, bis der Schmerz wenigstens ein bisschen abebbte, wunderte ich mich über die herrliche Stille die mich umfing. Fast wie in einem Grab. Da waren keine Stimmen, die mich nervten und den Kopfschmerz bis ins unendliche treiben würden oder Schritte, die um ein Vielfaches so laut wie normal dumpf in meinen Ohren dröhnen würden. Nur Stille...

Vorsichtig öffnete ich ein Auge, um zu testen, wie schlimm das Sonnenlicht sein würde. Es war erträglich, das prägnanteste was mir nun ins Auge sprang war ein etwas mitgenommen aussehender Blumenstrauß in einer schlichten, schmucklosen Vase. Wie war die hier her gekommen? Von wem? Doch da sickerte ganz langsam eine Erinnerung an meine Mutter in mein Gedächtnis, die nach einer Vase für ihren Blumenstrauß verlangte. Aber hatte die nicht anders ausgesehen? Naja, vielleicht trügte mich meine Erinnerung auch. Ich fühlte mich jedeenfalls nicht dazu in der Lage noch weiter darüber nachzudenken. Alles kam mir einfach nur unglaublich anstrengend vor. Als hätte mich jeder Muskel meines Körpers verlassen und ließ nur ein schwaches, viel zu schweres Skelett übrig.

Als nächstes bemerkte ich den dünnen, durchsichtigen Schlauch der in meinem Arm verschwand. Eine ebenso durchsichtige Flüssigkeit rann in langsamen Tropfen darin hindurch. Der Beutel an der Stange schräg über mir war zur Hälfte geleert und so sehr ich mich auch versuchte auf die Buchstaben darauf zu konzentrieren, ich konnte sie nicht lesen. Egal... Es interessierte mich eh nicht.

Erschöpft schloss ich die Augen wieder und merkte gar nicht, dass ich einschlief. Erst als ich das nächste Mal erwachte und es dunkel draußen, hinter den dicken Vorhängen war, wurde mir klar das ich wohl doch eingenickt sein musste. Außer einer Lampe auf meinem Tisch, die ein sanftes, orangenes Licht abgab war es düster. Erst da merkte ich, dass dies ein anderes Zimmer war. Die Tür war jetzt nicht mehr gerade zu, sondern zu meiner linken und das Fenster war ungemein kleiner. Ein Einzelzimmer. Da war kein anderes Bett mehr, hätte ja auch nicht reingepasst. Ich fuhrt den Raum erstaunt mit dem Blick ab. Wann war das denn passiert? So tief war ich doch ganz sicher nicht weg gewesen, oder?!

Instiktiv versuchte ich mich aufrechter hinzusetzen, doch meine Arme fühlten sich zittrig und gummiartig an. Sie bewegten sich kein Stück, konnten mich nicht bewegen. Angst stieg in mir auf, versuchte meine Finger zu bewegen, mit den Oberschenkeln zu strampeln, mich zu winden, doch... nichts. Ich konnte es einfach nicht, ich war wie gelähmt. Gefangen in meinem eigenen Körper. Selbst als ich um Hilfe rufen wollte zuckten meine Lippen nur, gaben ein unidentifizierbaren Laut von sich. Das war alles falsch! Sollte es mir nicht besser gehen? Und jetzt das? Ich fühlte mich um Wochen zurückgeschlagen. Ans Bett gefesselt, schwach und jetzt wohl auch noch stumm. Das konnte nicht sein... Das war nicht möglich, nicht wahr. Meine Wunden waren doch wieder in Ordnung, soweit sie in Ordnung sein konnten, ich war wieder kräftiger geworden. So kräftig, dass ich sogar mit Anne im Café war! Dieser Fortschritt konnte doch nicht einfach von jetzt auf gleich weg sein, wieder auf null. Doch so sehr ich auch an der Tatsache verzweifelte, mein Körper blieb schwach und kraftlos liegen, wie man mich hergebracht hatte. Einzig meine Lippen zuckten, wollten diese Niederlage nicht wahrhaben. Diese dunkle Klaue, die sich wie zuvor eisig um meine Brust legte und mich hinab zog, hinab in eine Welt voller Zweifel und Angst. Ich dachte sie wäre fort, hatte sie in den letzten Winkel meines Geistes geschoben und war zufrieden gewesen. Doch nun war sie wieder da, in all ihrer schrecklichen Pracht, die mich zu zerdrücken versuchte.

Stumme Tränen rollten mir über die Wangen. Warum half denn niemand? Warum war ich hier nur allein in diesem dunklen Zimmer? Den Schalter, um eine Schwester zu rufen rückte in unendliche Ferne und war unerreichbar für mich. Ich war der Dunkelheit hilflos ausgeliefert, die mir die Brust verängte mit kalter, roher Angst. Angst die jeden Knochen in meinem Körper vergiftete, mein Herz umnachtete und Erinnerungen aufwirkelte, die mich in den Wahnsinn trieben. Die Dunkelheit der vietnamesischen Nacht, der Dschungel, ... , die Explusion. Es war wieder da, alles, jedes schreckliche Detail. Nein, wollte ich rufen und mich der Erinnerung wiedersetzen, aber schemenhafte Ausschnitte erschienen wie Geister vor meinen Augen. Nein!

Da riss mich auf einmal eine sich öffnende Tür aus meinem ganz privaten Grauen und das Gesicht von Dr. Black streckte sich zur Tür rein, gefolgt von einem der Ärzte, deren Namen ich mir nicht merken konnte. "Gut, Sie sind endlich wach.", meinte Black freundlich und ruhig und schlenderte zu mir rüber. Seine elegante Erscheinung blieb im Kegel des Lichts stehen. "Wie geht es Ihnen?", wollte er wissen und zog sich einen Stuhl heran. Der andere Arzt blieb an der Tür stehen, nachdem er sie leise geschlossen hatte. Ich konnte nicht antworten, meine Lippen zuckten lediglich stumm. Black runzelte die Stirn und warf einen Blick zurück zu den Arzt. "Kann er mich verstehen?" Der Arzt nickte kurz an gebunden. Ich hasste es, wenn man über mich redete als wäre ich nicht da, doch wieder zuckten nur meine Lippen, als ich protestieren wollte. "Er ist stark sediert worden, Dr. Black. Die kognitiven Fähigkeiten sind noch geschwächt.", fügte der Arzt hinzu und Dr. Black verzog unmerklich den Mund. Es gefiel ihm offenbar nicht. "Beschleunigen Sie den Vorgang bitte? Ich denke, ich sollte jetzt mit Mr. McConnell reden.", fragte Black und erntete einen wiederwilligen Blick von dem Arzt. Er musste es hassen etwas diktiert zu bekommen, selbst wenn es als Frage formuliert war. All die Jahre Studium, um noch immer Anweisungen zu befolgen, und das von einem Jüngeren. "Auf Ihre Verantwortung hin.", sagte der Arzt kühl, zog eine Spritze mit einer durchsichtigen Flüssigkeit auf und stach sie mir ohne Zögern in den Arm.

Soldiers Scars #PlatinAwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt