Kapitel 27 - Die Kiste

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Meine Eltern besuchten mich am gleichen Nachmittag. Sie brachten Süßigkeiten und Liebe mit, die ich eigentlich so sehr brauchte. Aber etwas hielt mich zurück. Statt glücklich über den Besucht meiner Eltern zu sein, ließ es mich kalt, nervte mich sogar. Ich erzählte einmal mehr wie gut es mir ging, dass schon wieder alles in Ordnung sei und dass ich mich auf zuhause freute. Letzteres war wohl das einzige wahre in einem knappen Bericht. Ich hielt das Essen hier nicht mehr aus, oder die Untersuchungen, die ständigen Analysen meines Körpers auf Verschlechterungen um mich mit neuen Medikamenten vollzustopfen, die nur darauf ausgerichtet waren, noch weitere Krankheiten auszulösen. Ich wusste doch schon längst das ich verrückt und krank war. Reichte es denn nicht, dass ich es wusste? Mussten die Ärzte es wissen? Mir eine nutzlose Behandlung verschreiben, die eh nichts bringen würde? Natürlich mussten sie, es war ihr verdammter Job. Aber ich wollte nicht. Ich wollte nur noch meine Ruhe, wo ich niemanden mehr sehen oder hören musste. Wo ich nur noch allein sein konnte und so wenig belastend wie möglich für die Leute in meinem Umfeld war. Denn ich war nutzlos geworden, mich brauchte jetzt gar keiner mehr...

„Eine Überraschung haben wir aber noch für dich.", lächelte mein Vater so strahlend wie selten. Ich merkte aus meinen wie immer düsteren Gedanken auf und sah die beiden voll Verwunderung an. Auch Mutter strahlte heute noch breiter als sonst und eines ihrer teuren Parfums umgab ihr frisch gemachtes Haar. Sie schmunzelte als sie aus ihrer Handtasche ein kleine Kiste zauberte. Die war aus dunklem, schlichten Holz, das keine Riemen oder Siegel besaß. Es lag gut in der Hand, war nicht zu groß und nicht zu klein, aber mir unbekannt. Mutter hielt mir die Kiste erwartungsvoll entgegen. Zu meiner Verwunderung keimte ein Interessante in mir auf zu wissen, was in diesem Kästchen war. Ich nahm es also nach kurzem Zögern hin und öffnete es langsam. Zu meinem Erstaunen befand sich darin ein Ring und ein weißer, gefalteter Zettel. Ich sah wieder zu meiner Mutter. Sie bedeutete mir mit dem Kinn wieder den Inhalt der Kiste zu betrachten. „Es ist dein alter Siegelring?", fragte ich halb und sah zu meinem Vater. Ein Familienerbstück, dass erst beim Ableben des älteren vererbt wurde. Eigentlich... Doch Vater antwortete nicht. Mit zunehmender Verwirrung zog ich schließlich den Zettel hervor und faltete ihn auf. Es war ein ärztlicher Schein, oder eher eine Kopie davon. Er war schlicht, mit der Unterschrift von Dr. Black und des Chefarztes, der sich um mich kümmerte. Ich machte mir nicht die Mühe die winzigen Buchstaben zu entziffert, was ein Arzt verfasste konnte nicht gut sein... für mich.

Noch viel verwirrter als zuvor sah ich wieder auf. Da fiel mir Mutter wild aufschluchzend um den Hals. „Endlich!", hauchte Mutter mir ins Ohr. Ich sah meinen Vater hilflos über ihre Schulter an, doch auch dieser strahlte wie ich ihn noch nie gesehen hatte und... waren das Tränen in seinen Augenwinkeln, die dort in den Lachfalten glitzerten? Es traf mich wie ein Schlag, als mir endlich ein Licht aufging. Zitternd löste ich mich aus Mutters Umarmung, griff noch einmal nach dem Zusammengefalteten Zettel und tatsächlich. Da stand es. Entlassung. Ich las es gleich mehrere Male, immer wieder fuhr mein Blick über die ersten paar Zeilen, die das noch vor einigen Minuten unmögliche wahr machten. Mr. McConnell wird voraussichtlich am Mittwoch, den 14.12.65 aus der Bostoner Klinik als geheilt entlassen.

Alles verschwamm warm vor meinen Augen, reflexartig ließ ich das Papier fallen um mir die Hand vor den Mund zu schlagen. Es war mir nicht bewusst, aber auch mir gelang es ungezwungen zu Lächeln. Ja, endlich... Schon morgen sollte das hier nach all der Zeit - es kam mir wie ein ganzes Leben vor - enden. Wieder fiel mir Mutter in die Arme und lachte leise. Ich konnte ihre Tränen auf meine Schulter tropfen fühlen. „Jetzt ist alles gut.", flüsterte sie mehr zu sich als zu mir. „Ja", gelang es mir ungläubig und zitterig zu hauchen. Ihre Umarmung wurde für einen Moment fester, dann löste sie sich von selbst von mir, tupfte sich wieder die Tränen weg und sammelte sich. „Wir holen dich gleich morgen früh gegen 8 Uhr ab, ist das gut? Du sollst keine Sekunde länger als nötig in diesem Haus bleiben.", sagte sie dann gefasst und während ich langsam die Hand von meinen Lippen sinken ließ, nickte ich. Ich wollte auch keine Sekunde länger hier bleiben als nötig.

„Aber was hat das mit dem Ring zutun?", fragte ich leise, nachdem sich die größte emotionale Spannung gelegt hatte. Ich schaute sicherheitshalber noch einmal in die Kiste, dass ich mir den Ring auch nicht eingebildet hatte. Nein, tatsächlich. Da lag der schlichte, goldene Siegelring aus verschlungenen keltischen Zeichen. Etwas, was einen Schwan darstellen sollte, ein Tier aus der nordischen Mythologie. Jedenfalls, soweit es mir bekannt war. „Der Ring ist jetzt dein, ich will, dass du ihn in Ehren hälst.", antwortete mir Vater in selten so vertraulichen Worten. Ich sah ihn irritiert an. Er schien nicht traurig zu sein, nur glücklich, unglaublich glücklich. „Aber... dieser Ring-", wollte ich gerade beginnen, doch Vater unterbrach mich sanft. „Du hast ihn dir verdient. Er ist das wertvollste was ich dir vermachen kann, für das was du geleistet hast. Du sollst wissen, wie stolz ich auf dich bin, Derren." Seine Worte waren ungeschickt und er vermochte nicht ganz auszudrücken was er eigentlich sagen wollte, aber ich verstand. Mein Vater war noch nie geschickt in Worten gewesen. Ich nahm den Ring aus der Kiste. „Du hast versucht einen Kameraden zu beschützten, indem du dich selbstlos in die Explosion geworfen hast. Du warst mutiger, als viele es in dieser Situation gewesen wären. Ich... möchte das du den Ring unseres alten Clans trägt als Zeichen meines Stolzes.", formulierte Vater um, da ich ihn sprachlos angesehen hatte. Und bumm!!! Das war das erste Mal, dass ich die Version der Geschichte so hörte. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich geglaubt Dr. Black hätte alle informiert, aber offensichtlich hatte er über die echte Version geschwiegen. Jetzt saß ich zu allem Übel einer Heldentat gegenüber, die ich nie vollführt hatte. Der Stolz meines Vaters war total unbegründet, und ich wusste daher nicht, was ich sagen sollte. Er wirkte so gerührt, er strahlte wie ein Sonnenstrahl, hätte ich ihm nun mit der Wahrheit berichtigt und den Ring zurückgewiesen hätte ich ihm das Herz gebrochen. Ich hasste mich, als ich vorsichtig zu lächeln begann. Vater dachte wohl, ich wäre sprachlos über dieses Geschenk, froh oder den Tränen nahe. Das war okay für ihn, er erwartete keine Antwort. Ich nahm dieses unverdiente Geschenk an, betrog meinen Vater, meine Blutlinie. Doch ich würde mich auch hassen, wenn ich schon wieder jemandem wehtat. Das war nicht fair. Das war das Leben...

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