Kapitel 85 🎈

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Überrascht dreht sie sich um und ihr steht die Angst ins Gesicht geschrieben.

„Layla, was tust du da? Komm bitte rüber zu mir.", flehe ich sie an.

Sie zittert am ganzen Körper: „Wieso? Es hat doch alles keinen Sinn mehr."

Es verletzt mich, meine beste Freundin so zu sehen. Das ist nicht sie. Die Layla die ich kenne würde so was nie tun: „Das ist doch gar nicht wahr. Layla, auch wenn du ab und zu ein paar Tiefs hast, hast du doch immer noch mich! Ich werde dich nicht verlassen."

„Doch! Wirst du! Du wirst mich alleine lassen und ich will nicht, dass du vor mir stirbst.", alle Tränen versuchen gleichzeitig aus ihren Augen auszutreten. Sie sieht wahrscheinlich noch nicht mal mehr was.

„Wie gesagt, wir sind beste Freundinnen. Wir haben dieses Leben zusammen gerockt. Und wir werden es gemeinsam beenden.", sie dreht sich um, direkt vor den Abgrund.

„Layla, nicht!"

Die nächsten paar Sekunden kommen mir vor wie in Zeitlupe.

Sie rutscht über die Kante. Ich renne los. Springe nach vorne und kann gerade noch ihre Hand fassen.

Da das Dach eine Schräge nach dem Flachen hat, liegt sie nun darauf, droht aber runterzufallen.

Unten wurden plötzlich die Schreie lauter und reden wild durcheinander. Aber die muss man jetzt ignorieren.

„Ich hab dich!", meine ich zumutend direkt in ihre Augen: „Das Leben ist noch lange nicht vorbei. Ich werde noch lange weiter rocken, aber nur mit dir! Du darfst nicht einfach aufgeben. Ich brauche dich an meiner Seite!"

Hilflos guckt sie mich an, dann dreht sie ihren Kopf zur Seite um nach unten zu gucken, dann wieder mich. Und als ob sich ein Schalter in ihr umgelegt hat oder sie nach dem Schlafwandeln wieder aufgewacht ist strömt Panik in ihr aus: „Oh mein Gott, Taylor! Hilf mir! Aaaaah! HIILFE!"

Sie beginnt rumzuzappeln und um Hilfe zu schreien, als ob sie nicht mehr sterben möchte. Sie scheint vorher wie ein anderer Mensch gewesen zu sein wie in solchen Fantasyfilmen. Aber sowas gibt es im richtigen Leben nicht. Ich versteh aber nicht, was vorher mit ihr los war, aber wenn sie weiter so rumstrampelt kann ich sie nicht mehr lange halten: „Layla! Layla, beruhig dich! Hör auf! Ich werde dich schon nicht sterben lassen."

Ängstlich blickt sie mich an. Meine Angst breitet sich so nur noch mehr in mir aus, aber ich muss stark bleiben. Ich darf Layla nicht hängen lassen.

In dem Moment stellt sich Silas neben mich: „Gib mir deine Hand!" Er streckt sein rechter Arm Layla entgegen, die ihn erstaunt betrachtet. Überlegt aber nicht lange und versucht mit ganzer Kraft ihr Arm zu heben.

Silas ergreift ihn und spricht dann zu mir: „Okay, auf drei ziehen wir! Eins... zwei... drei!"

Er zieht mit seiner ganzen Kraft sie hoch, sowie ich, nur dass ich am Boden liege und mich selbst auch noch aufraffen muss um noch stärker zu sein.

Aber wir schaffen es. Sie fliegt neben uns auf das Flachdach und wir alle drei Atmen zuerst aus.

Das war genügend Adrenalin fürs rästliche Leben.

Wir sagen nichts mehr, man hört uns nur noch wie Walrösser atmen.

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Gut eine Stunde nachdem wir einstimmig beschlossen haben zurück zum Motel zu laufen, befinden wir uns irgendwo im nirgendwo.

Leon, der gerade in der ausnüchterungsfase ist, läuft vor uns und springt immer wieder zur Seite um sich dort in der Wiese zu übergeben. Und ab und zu fliegt er auch noch um. Layla hat sich in Silas Hoodie gekuschelt und sagt immer noch nichts. Und Ben, der nun fast wieder nüchtern ist, geht neben mir her und schweigt ebenfalls.

Für das, dass ich die bin, die zur Zeit am ehnsten klar denken kann, habe ich immer noch keinen Orientierungssinn und folge den andern. Irgendwie kommen wir schon zum Motel. Anrufen können wir jetzt sowieso niemanden mehr, mein Akku ist alle und unser Geld ist auch weg.

Wir sind verloren. Kein Handy, kein Geld, stinkend und dreckig torkeln wir die Strasse entlang und hoffen das bald irgendwann wieder eine Zivilisation in Sicht kommt. Langsam befürchte ich, dass das die falsche Richtung war.

„An was denkst du?", unterbricht Ben irgendwann die Stille.

„Über dies und das. Gott und die Welt, die er eindeutig nicht mehr im Griff hat.", meine ich, doch darauf sagt er nichts mehr. Habe ich auch nicht erwartet. Doch irgendwann setzt er wieder zu einem Gespräch an: „Du hast kalt.", stellt er fest, doch keinen Plan wie er darauf kommt.

Es ist sicher bald 4 Uhr morgens und die Sonne geht bald auf nachdem sie Ewigkeiten weg war und ich trage immer noch nur ein Top, da ich meine Jacke vergessen habe. Wie wir alle, nur das Ben und Leon kein Shirt, sondern Pullis tragen. Weswegen ich auch schon die ganze Zeit meine Arme verschränkt halte. Natürlich habe ich kalt! Der Frühling hat erst gerade begonnen, so warm ist es nicht in dieser Jahreszeit, auch wenn dieses Jahr Rekord verdächtig daher kommt.

Ben bleibt stehen und zieht seinen Pulli über seinen Kopf. Sein Shirt, welches er darunter trägt, rutscht dabei ebenfalls etwas hoch und so präsentiert er mir schön seine trainierten Bauchmuskeln: „Hier. Nimm du ihn." Er streckt mir seinen Pulli hin, welchen ich langsam ergreife: „Danke."

„Gern doch."

Ich schlüpfe in den schwarzen Hoodie, der mir sicher fünf Nummern zu gross ist, und lasse meine Hände in der vorderen Tasche verschwinden: „Ben?"

„Ja?"

„Ich mag nicht mehr. Ich bin tot müde, meine Füsse tun mir weh und ich weiss ja noch nicht einmal, ob das der richtige Weg ist.", jammere ich.

„Kopf hoch, es dauert bestimmt nicht mehr lange."

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