Kapitel 69 🎈

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„Und? Bist du ready?", fragt Ben mit einem hinterhältigen Grinsen als ich in sein Auto steige. Was für eine Frage. Die ganze Woche konnte ich an nichts anderes denken als diese bescheuerte Präsentation die ich heute halten muss. Das Problem war nicht der Inhalt oder so, sondern meinen Text so rüber zu bringen, als wäre es einfach nur ein gewöhnliches Referat. Julia und Layla waren super gute Coaches, dennoch bin ich furchtbar nervös.

Und als meine Eltern davon spitz bekamen wurde alles noch schlimmer, da sie allen davon erzählten und nun jeder kommen will um mich anzuhören. Das kann ja nur schief gehen.

„Du braust nicht nervös zu sein. Du bist klasse, du wirst alle umhauen.", spricht er mir Mut zu, bevor er auf einen Parkplatz eines kleinen Cafés fährt und in einer Parklücke stehen bleibt. Um mich etwas abzulenken, hat Ben vorgeschlagen, mich auf einen Kaffee einzuladen und da konnte ich unmöglich nein sagen. Deshalb gehören wir beide auch zu den wenigen, die schon an einem Samstag morgen um 9 Uhr das Haus verlassen. Im Kaffee ist noch nicht viel betrieb, weshalb wir uns einen Tisch auswählen dürfen. Entscheiden tun wir uns für einen am Fenster, recht weit hinten. Wir setzen uns gegenüber und beginnen die Karte zu lesen.

„Denk dran, du kannst bestellen, was du willst. Ich bezahle.", versichert er mir nochmals. Das glaube ich ihm auch sofort, aber müssen tut er gar nichts. Ich habe selber Geld, welches ich noch brauchen muss, denn Kinder die es erben können gibt es ja noch nicht. Das ruft mir in Erinnerung mein Testament zu erneuern, da ich noch gar nichts geregelt habe. Aber so bald sehe ich dem Tot auch wieder nicht ins Auge.

„Gerne die Waffeln mit den frischen Erdbeeren und der Schlagsahne und dazu den Cappuccino mit Zimt und Vanille wenn es geht.", bestelle ich und Ben nimmt: „Für mich gerne die Pancakes mit Ahornsirup und eine heisse Schokolade. Danke."

Die alte Kellnerin verschwindet wieder mit unserer Bestellung und lässt uns allein. Irgendwie merkwürdig wieder mit ihm alleine etwas zu unternehmen seit wir wieder nur Freunde sind. Dennoch kann ich seine Anwesenheit geniessen.

„Taylor? Du starrst.", lacht Ben und reisst mich so aus meinen Gedanken. Was ist in letzter Zeit bloss mit mir los? Ich tausche mein Gesicht durch ein erschrockenes: „Was habe ich?"

„Du hast mich angestarrt und dich vollkommen in deinen Gedanken verloren. Auch wirklich alles in Ordnung? Das passiert dir in letzter Zeit häufiger."

„Ja, ja, alles gut bei mir. Bei dir auch?" Themawechsel. Bitte.

„Also wenn deine Gedanken interessanter sind als ich, kann ich euch auch gern alleine lassen.", scherzt er weiter. Idiot. Ich bin ja wieder hier, können wir jetzt nicht endlich das Thema ändern? „Schon okay, ich gebe mich auch gerne mit dir zufrieden. Schon vergessen, du sollst mich ablenken.", meine ich und bin irgendwie stolz auf meinen Konter. Der war aber auch wirklich nicht schlecht. Für mich jedenfalls nicht, da darf ich mir ruhig innerlich auf die Schultern klopfen.

Auch Ben lacht. Scheint also alles in Ordnung zu sein.

„Wie geht es deiner Mutter?", frage ich nach, da ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe und ich sie eigentlich immer sehr gemocht habe. Einen Vater gibt es bei ihm leider nicht mehr. Seine Eltern waren noch recht jung, als sie ihn gekriegt haben und sein Vater ist damit wohl nicht klar gekommen. Jedenfalls ist er ein Idiot weil er sie hat sitzenlassen. Bessere Menschen wird er nicht mehr so schnell finden. Aber Ben hat damit kein Problem, er hat seine Mam und er liebt sie: „Ihr geht es super. Vor ein paar Wochen hat sie sich auf so einer Dating Plattform angemeldet und hatte gestern ihr erstes Date. Scheint gut zu laufen."

„Dein ernst jetzt?", lache ich mit ihm mit: „Und du hast keine Angst, dass er ein mutmasslicher Terrorist oder sonstiger Psycho ist?"

„Keine Sorge, das ist er definitiv nicht. Als wir ihn gecheckt haben, haben wir herausgefunden das er Cop ist und schon Auszeichnungen bekommen hat und so Zeug. Ausserdem scheint er ein guter Mann zu sein.", erklärt er überzeugt, so dass man ihm sofort Glauben schenkt. „Wie geht es deiner Familie?"

Meiner Familie? Was soll ich denn da drauf antworten? Kaum haben sie sich an meine Krankheit gewöhnt, kommt der Anruf, dass ich wegen einer Alkoholvergiftung eingeliefert worden sei. Dann gibt es noch Jo, bei den auch kei Mensch durchblickt und Julia fühlt sich, als ob sie keine Aufmerksamkeit kriegt und immer alles nur um mich geht. Ich lebe in einen einzigen grossen Irrenhaus. Was soll man den da antworten: „Gut. Es geht allen gut."

„Und was ist mit Jo?"

„Pfff, frag mich bitte was einfacheres.", bei dieser Frage verdrehe ich meine Augen. Auch wenn das mein voller Ernst ist, beginnt Ben zu lachen. Ich finde das ganze Drama mit ihm nicht so lustig. Aber soll er doch. Hauptsache jemand hat seinen Spass daran.

Aber spätestens bei meinem Augenverdrehen, kriegt er sich wieder ein: „Ok, sorry. Erzähl schon. Was ist mit ihm? Wer ist er überhaupt? Ich weiss so gut wie nichts über ihn."

Ich atme schwer aus: „Da bist du nicht der einzige. Alles was ich weiss ist, dass er allein bei seinem Vater gewohnt hat, welcher mit meinem Dad im Irak war. Daddy konnte ihm aber leider nicht mehr helfen. Jetzt wohnt Jo bei uns. Ich glaube wirklich nicht, dass er ein schlechter Mensch ist, es ist nur furchtbar schwer zu ihm durchzudringen. Schon klar, ich weiss nicht wie es ist beide Elternteile zu verlieren und anscheinend standen er und sein Dad sich ziemlich nahe. Ich habe keine Ahnung was er durchmacht. Er tut mir leid, dennoch macht er es mir nicht gerade leicht.

Im einem Moment ist alles gut und wir können normal reden, im nächsten möchte er mich nie wieder sehen. Dann prügelt er sich um mich zu verteidigen, dann schnautzt er mich wieder an und sobald wir wieder zuhause sind legt er sich in mein Bett und traut mir wieder Dinge an. Das Ben, das sind Stimmungsschwankungen! Solche du nie erlebt hast."

Gespannt folgt er jeder kleiner Bewegung meiner Lippen und nickt verständnisvoll: „Er hat dich verteidigt? Deswegen hat er sich geprügelt?"

„Stop! Eigentlich dürfte ich das keinem sagen. Ich möchte sein Vertrauen nicht endgültig verlieren. Vergiss diesen Teil einfach ganz schnell wieder."

Er wischt sich sein Lächeln aus dem Gesicht. Er versucht es zumindest.

„Ben!"

„Jaja, schon gut. Du hast nie irgendwas gesagt, welches beweisen könnte, dass Jo ein Herz hat."

„Danke."

Und somit schliessen wir auch dieses Thema ab, denn jetzt kommen unsere Waffeln und Pancakes. Und es riecht so gut. Da läuft einem gleich das Wasser im Mund zusammen.

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