Kapitel 44 🎈

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Als ich meine Augen wieder öffne werde ich zunächst von einem hellen Licht geblendet. Ich weiss nicht wo ich bin oder was geschah.

Moment. Wo ist Ben?

Ich setze mich schnell auf und schon steht eine Frau vor mir: „Wow, nicht so stürmisch, kleine. Ganz ruhig."

„Wo ist Ben?"

„Ganz ruhig. Er ist nur kurz raus und kommt später wieder. Weisst du denn, was geschah?"

Langsam gewöhne ich mich an das helle Licht und erkenne unsere Schulkrankenschwester. Ich schüttle leicht meinen Kopf. Alles was ich noch weiss ist, dass ich mich mit Ben gestritten habe. Aber wieso bin ich jetzt hier gelandet?

„Hast du vielleicht zuwenig gegessen oder leidest du unter Schlafmangel? Du bist einfach so zusammen geklappt. Oder ich muss was wichtiges wissen, was mir noch niemand gesagt hat. Nimmst du Medikamente oder sonst was?", als wäre alles in Ordnung stellt sie mir all diese Fragen, die ich ihr schüchtern beantworte: „Ja... ich... ich... ich habe Leukämie. Aber so was hatte ich noch nie. Ich halte streng meine Medikamente ein und gehe regelmässig zur Kontrolle. Kann es trotzdem an dem liegen?"

Total schockiert starrt sie mich an, wie schon Kellerman als ich es ihm gesagt habe. Aber ich bin ihr dankbar, dass sie nicht beginnt zu weinen wie Layla: „Ou nein. Kleines, dass ist ja furchtbar. Wie lange hast du die Diagnose schon?"

„Schon zulange.", nuschle ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Sie streichelt mir über den Arm: „Das tut mir schrecklich leid. Das hasst du nicht verdient."

„Danke. Aber sie erzählen es doch niemandem?"

„Wenn du das nicht willst."

Dankend nicke ich ihr zu. Mann, habe ich ein Glück so viele nette Menschen um mich herum zu haben. Fast ein Segen.

Sie nimmt noch meinen Blutdruck und die Temperatur, da kommt Ben wieder. Ich bin überrascht, dass er wieder gekommen ist. Das nach unserem Streit. Noch nicht einmal jeder hätte mich zur Krankenstation getragen. Liebevoll sehe ich zu ihm: „Danke."

„Was? Denkst du etwa nur weil wir uns zurzeit nicht so grandios verstehen muss ich ein Arschloch sein und dich zum sterben zurücklassen?"

„Es gibt sicher Menschen, die dies getan hätten."

Doch an diesem Punkt mischt sich die Schwester wieder ein: „Na hallo. So schlimm war das nicht, du hattest bloss ein bisschen Vitaminmangel. Halb so schlimm. Trotzdem gut, dass du sie hierher gebracht hast. Wenn ihr mich kurz entschuldigt, ich muss kurz ins Sektorrat ein paar Formulare holen um euch eine Entschuldigung zu geben, weshalb ihr nicht am Unterricht teilnehmen konntet." Sie schlängelt sich an Ben vorbei zur Tür raus. Und wieder bin ich mit Ben allein.

"Mit dir ist alles wieder okay?", fragt er ein bissen desinteressiert. Worauf ich nicke: "Ja ja, alles gut."

"Dann kann ich ja wieder gehen."

"Nein!", schnell halte ich ihn davon ab zu gehen: "Du kannst nicht gehen, mir geht es schon wieder viel schlechter. Nur deine Anwesenheit kann mich heilen." Ich falle rückwärts ins Bett zurück und spüre wie Ben sein Lachen unterdrücken muss: "Lass das. Das ist nicht lustig."

"Früher habe ich dich so immer zum lachen gebracht."

Er atmet laut auf: "Das war früher."

"Von hundert auf null?"

Jetzt sagt er nichts mehr.

Wie konnte es nur so weit kommen? Und wenn ich ihm jetzt die Wahrheit sagen würde, würde er mir sowieso nicht mehr glauben.

"Ich muss jetzt gehen.", mehr sagt er nicht mehr dazu. Er verschwindet einfach aus der Tür und somit irgendwie auch ein kleiner Teil aus meinem Leben. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie fliessen aus meinen Augen hinaus und sind nicht mehr aufzuhalten.

Ich bleibe bis Unterrichtsschluss hier in dem Bett und weine mich aus. In einer halben Stunde würden wieder die Proben für das Musical wieder beginnen. Aber da werde ich vermutlich auch nicht hin gehen. Egal was Miss Monroe davon haltet. Aber noch nicht einmal jetzt komme ich ganz darum rum, denn Miss Monroe schneit in das Krankenzimmer: "Da ist ja mein Mädchen. Na, hast du fleissig über die Ferien geübt?"

Nicht wirklich. Ab und zu habe ich einer der Songs gesungen, doch mehr auch wieder nicht.

"Anscheinend ist hier niemandem im klaren das in wenigen Wochen das Lager stattfindet und danach schon die Aufführung. Ich habe es vorher schon Ben erklären müssen.", redet sie theatralisch weiter. Aber was hat das mit Ben zu tun? "Ben? Wieso denn Ben?"

"Er wollte aufhören, doch jetzt kriegt noch nicht einmal seine Zweitbesetzung alles so gut hin. Er ist ein guter Schauspieler und Zeit haben wir nicht mehr so viel. Wir müssen uns alle richtig hineinknien."

Er wollte aufhören? Sicher nur wegen mir. Aber er hat solche Freude fürs Theater gekriegt. Es gibt keinen Mensch, der es besser machen könnte. Wenn schon, dann muss ich aufhören. Auch wenn ich in Kauf nehmen muss, dass Laurel meine Rolle übernimmt.

"Genau aus diesem Grund habe ich die Regel aufgestellt, dass niemand aufhören oder schwänzen darf, nur wenn es um Leben und Tot geht. Noch nicht einmal dir erlaube ich es und du liegst auf der Krankenstation."

Miss Monroe ist echt hart. Ich weiss ja noch nicht einmal, ob ich zum Zeitpunkt der Aufführung noch hier bin oder schon mit der Chemo gestartet habe. Laut Dr. Carter bin ich auf gutem Wege. Da ist nur die Frage, was gut ist.

"Komm doch so schnell es geht nach und wir repetieren alles was wir bisher geprobt haben.", das war eine tolle Unterhaltung. Jetzt darf ich noch nicht einmal mehr der Proben schwänzen. Ich mache mich fertig und frisch mein Make up auf. Aber es wird wirklich mal Zeit dieses Zimmer zu verlassen. Am Eingang des Theaterraumes werde ich sofort von Layla überrannt: "Was ist passiert? Geht es dir gut? Jag mir bitte nie mehr so einen Schrecken ein!"

"Beruhig dich, es ist alles gut. Mir geht es gut.", sie drückt mich fest an sich: "Trotzdem, du weisst ja nicht was das für ein Gefühl ist, wenn die beste Freundin todkrank ist und dann die Nachricht kommt, dass du ohnmächtig wurdest. Du hättest tot sein können und ich habe mich nicht verabschieden."

"Keine Sorge, sobald wird das nicht passieren. Wir haben noch viel Zeit zusammen. So schnell werdet ihr mich nicht los.", lache ich und gehe bei ihr eingehackt nach vorne und setzen uns in die zweitvorderste Reihe auf der rechten Seite. Ben sitzt zusammen mit Leon auf der linken Seite in der sechsten Reihe und beachtet mich null.

Miss Monroe stellt sich vorne auf die Bühne und beginnt wieder zu sprechen: "Guten Nachmittag alle miteinander. Die Ferien sind nun vorbei und jetzt fängt wieder der Ernst des Lebens an..."

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