Kapitel 70🎈

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Der Pausenplatz, die Cafeteria sowie die Aula ist gefüllt mit Menschen. Noch nicht einmal an einem normalen Schultag hat es hier so viele Leute.

Nach dem gemeinsamen Brunch mit Ben, sind wir hier auf den überfüllten Parkplatz gefahren und waren noch lange nicht die letzten. Es war kein Geheimnis, dass so viele Leute hier erscheinen würden, weshalb Ben mich auch davon ablenken wollte. Aber ich habe gar nie so weit gedacht. Wie konnte ich denken, dass ich vor all den Menschen sprechen könnte? Aber hauptsache ich habe geübt meinen Text so rüber zu bringen, damit es nicht zu persönlich ist. Bin ich blöd. Ich bin wirklich einfach nur blöd.

Wieso bin ich nicht einfach liegen geblieben? In meiner süssen kleiner Traumwelt mit Regenbögen und Einhörner und ohne Präsentation vor Zehntausenden von Leuten!

Okay, jetzt übertreibe ich. Aber ich bringe meinen dämlichen Puls nicht runter.

„Hey, Tay, alles klar bei dir?", fürsorglich legt Ben seine Hand auf meine Schulter. Total geschockt und mit aufgerissenen Augen sehe ich in seine braunen. Ich kann noch nicht mal mehr zu ihm sprechen. Ich pack das nicht. Ich will nach Hause!

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird alles gut kommen. Ich werde da sein. Denk einfach, dass du diesen Vortrag nur für mich hältst.", Ben ist echt lieb und ich danke ihm, dass er mir versucht Mut zu machen. Aber es klappt nicht.

„Taylor!", als ich diesen Schrei höre, drehe ich mich sofort um und sehe dabei zu, wie Julia auf uns zu kommt: „Da bist du ja. Unter diesen vielen Menschen findet man ja niemanden. Ich möchte wirklich nicht in deiner Haut stecken..."

Ängstlich schockiert starre ich sie an und fühle, wie Ben sie wütend anblickt, denn augenblicklich kommt sie ins stocken: „Ähm... also was ich meinte ist... ich... ähm... du kannst das! Wenn nichts du, dann niemand. Hier, ich habe deinen Blazer dabei." Nervös streckt sie meinen blauen Blazer entgegen, welcher ich über meine weisse Bluse ziehe. Die Bluse habe ich in meine Jeans gestopft und trage so einen lockeren Buissnes-Look. Total aufstylen wollte ich mich nicht, aber in normalen Klamotten wollte ich auch wieder nicht kommen. Ich muss professionel wirken.

Für wen auch immer. Ich brauche keine Leute vom College zu beeindrucken.

Trotzdem stehe ich jetzt hier. Aufgetakelt wie eine Buissnesschlampe mit meinen Kärtchen in den Händen und warte neben der Tribüne bis ich sie betreten kann. Auf einem kleinen Stehpult ist schon ein Laptop aufgeschlagen wo, wie auch auf der grossen Leinwand dahinter, die Titelseite meiner Präsentation aufleuchtet.

Das Titelbild habe ich recht dunkel gehalten. Darauf sieht man auf dunklen Assfalt ein paar schwarze Chucks und in weisser geschwungener Schrift „Leukämie".

Freude wiederspiegelt es nicht gerade. Soll es aber auch nicht.

Ich sehe wieder zu den Menschen, die sich langsam auf den Stühlen niederlassen. Die meisten tragen unbekannte Gesichter. Trotz allem kann ich ziemlich weit vorne die meiner Eltern, sowie die von Julia und meinen Freunden erkennen. Sie sehen genauso nervös aus und können meinen grossen Auftritt kaum noch erwarten, oder besser gesagt bis ich es vermassle.

Aber alle sind da, bis auf zwei. Bei Jo bin ich nicht so sehr überrascht, doch Parker enttäuscht mich ein wenig, wenn er nicht kommt. Und genau als ich das dachte höre ich seine Stimme hinter mir: „Auf einer Skala von 1 bis 10, wie nervös bist du?"

Ich drehe mich zu ihm um und lache: „Da reicht die Skala niemals aus. Eher Zehnhundert."

„Zehnhunder? Das sagt doch kein Mensch so.", wir beide beginnen zu lachen. „Siehst du jetzt wie nervös ich bin?"

„Mach dir nicht solche Gedanken. Es sind noch nicht einmal 10 Minuten die du da oben stehst. Ausserdem hast du schon schlimmeres durchgemacht. Wenn du schon in einer Karaokebar deine Seele raus singen kannst und die Hauptrolle in einem Schulmusical spielen kannst, kannst du auch da hoch gehen und einen langweiligen Vortrag halten. Glaub mir, die meisten werden eh nicht richtig zuhören."

„Danke, dass macht mir Mut.", Sarkasmus lässt grüssen.

„Was ich meine ist...", er setzt nochmals an: „Keiner wird dein Geheimnis herauskriegen, wenn niemand hoch springt und es in der ganzen Stadt rumposaunt."

Da könnte er sogar recht haben. Ich muss mir wirklich nicht so viele Gedanken machen. Tief durchatmen und konzentrieren.

„Taylor, du bist dran!", und als ich mich gerade unter Kontrolle hatte, ruiniert Miss Peterson alles wieder.

ICH KANN DA NICHT HOCH GEHEN!!!

„Beruhig dich!", Parker stützt mich an meinen Schultern: „Tief durchatmen. 10 Minuten und ich werde die ganze Zeit über hier sein. Du schaffst das.", er zwinkert mir zu und ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen umarme ich ihn. Ich lasse mich fest von ihm drücken. Ich möchte ihn gar nicht mehr loslassen.

Er muss mich wortwörtlich weg stossen: „Ich mag dich ja auch, aber du kannst dich nicht in meinen Armen verstecken. Du kannst das!"

Ich habe wirklich keine andere Wahl?

Meine schweren Beine hebe ich die kleine Bühne hoch bis neben das Stehpult. Geschätzte zehnhunderte Augenpaare starren mich an. Ich bin schon brutal verschwitzt. Schön wäre es wenn ich wenigstens stottern könnte, aber leider kann ich gar nicht sprechen. Doch dann geht zuhinderst laut die Tür auf und alle Blicke wenden sich von mir ab und erblicken Jo.

Er ist doch gekommen. Er ist tatsächlich hier. Jo ist tatsächlich hier. Der einzige Mensch der mir nicht gesagt hat, dass ich das schaffe oder versucht hat mir Mut zu machen. Der einzige der sich dafür nicht interessierte ist nun hier.

Jo ist hier um mein Referat zu hören. Noch nie hat mich so eine Geste so berührt. Okay, so spektakulär ist es nun auch wieder nicht. Aber ich bin so froh ihn jetzt hier zu sehen.

Und möglicherweise bin ich gerade etwas zu emotional.

Ich sehe zu, wie er auf einem Klappstuhl am Rand platz nimmt und zu mir nach oben starrt. Sein Blick ist etwas desinteressiert, aber das ändert nichts an der Tatsache das er hier ist.

Jetzt bin ich auch bereit. Jetzt kann ich mit meinem Vortrag beginnen: „Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich heisse sie recht herzlich willkommen zu meiner heutigen Präsentation über Leukämie. Mein Ziel ist es, ihnen diese Krankheit etwas näher zu bringen, denn jeder kann davon betroffen werden. Es gibt nichts, was es verhindern könnte. Das beste ist und bleibt die frühe Diagnose um richtig behandelt werden zu können. Deshalb werde ich ihnen anschliessend die auffälligsten Merkmale auflisten und die Symptome genauer erleutern..."

CancerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt