Kapitel 66 🎈

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Mühsam schleppe ich meine Schweren Beine in den Englischunterricht und breite meine Sachen auf meinem Tisch aus. Layla starrt in ihr Handy und ignoriert mich. Will sie mir damit etwas beweisen?

Vielleicht bin aber auch ich es, die sich entschuldigen soll, ich war auch nicht gerade nett. Ich atme tief ein: „Layla, können wir reden?"

Keine Regung. Sie scrollt nur noch weiter runter und liket irgendwelche Fotos auf Instagram.

„Layla?", versuche ich es erneut. Doch jetzt kommt Miss Peterson dazwischen: „So, jetzt bitte alle ihre Handys wegpacken und eure Münder schließen, heute beginnen die ersten mit ihren Vorträgen. Aber zuerst brauche ich drei Freiwillige, die ihren oder seinen Vortrag am Elternabend präsentieren möchte. Also?"

Bitte alles nur das nicht. Am Elternabend werden alle anwesend sein. Nicht nur Eltern und Schüler, sondern auch Onkels und Tanten, Cousins, Geschwister, Lehrer, wichtige Leute von Colleges... Das ist ein riesen Ding. Es dient dazu zu zeigen, was wir hier so machen und wie hoch unser Niveau ist. Wie jetzt diese Vorträge. Das ist vor allem für die Wichtig, die auf ein gutes College wollen. Aber was bringt mir das? Ich werde nie das College besuchen. Mir fehlt ja schon die Gewissheit die High School beenden zu können und ich bin im letzten Jahr. Ich weiß wirklich nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen soll. Früher hatte ich noch Pläne. Große Pläne. Die sich alle in Luft aufgelöst haben, als ich die Diagnose bekam.

„...Taylor Claywell..."

Moment was? Ist da gerade mein Name gefallen? „Wie bitte?"

„Du bist die zweite, die das Glück hatte aus meinem Zauberhut gezogen worden zu sein. Und als drittes... Mia Sutton. So, hoffentlich seid ihr jetzt alle glücklich über die Tatsache, dass sich niemand freiwillig gemeldet hat. Jetzt habt ihr die Chance verpasst.", meint Miss Peterson und wirft die drei Papierfetzen wieder zurück in den Hut und verstaut alles wieder.

Jetzt will mich das Schicksal komplett verarschen. Jetzt soll ich also ernsthaft vor all den Leuten etwas über Leukämie erzählen? Dann kann ich ja gleich jedem Preis geben, dass ich daran erkrankt bin. Außerdem bin ich alles andere als darauf vorbereitet. Was tue ich denn jetzt? Wenn ich mich recht entsinne, ist der Elternabend schon dieses Wochenende. Und auf das Lager darauffolgende Woche muss ich mich auch noch vorbereiten. Dann brauche ich noch ganz dringend einen Krankenschein, damit Dr. Carter mir erlaubt wegzufahren und irgendein soziales Leben hatte ich auch mal, aber das kann ich jetzt gerade vergessen. War mein Leben immer schon so stressig? Wie konnte ich da noch Zeit finden um Bedürftigen zu helfen oder zu schlafen?

Ich wollte ja noch nicht einmal an den Elternabend gehen, sondern einen gemütlichen Filmeabend zuhause veranstalten. Nur Netflix, Popcorn und ich. Ein dreier Date sozusagen. Aber nein, wieder einmal musste jemand meine Pläne durcheinanderbringen. Und wenn ich jetzt immer noch den Abend schwänze und einfach keine Präsentation halte, kriege ich ärger und zwar so richtig dicken.

Ganz egal für was ich mich entscheide, Früher oder Später werde ich leiden. Wobei niemand behaupten kann, dass ich das jetzt noch nicht tue. Ich kriege mein Leben einfach nicht auf die Reihe.

Zuerst verkrache ich mich mit Julia, dann mit Ben und jetzt auch noch Layla bei der ich noch nicht einmal wusste, dass wir wütend aufeinander sein könnten.

Was ist bloß los mit mir? Ich wollte mich doch mit allen gutstellen, dass ich die letzte Zeit die mir noch bleibt genießen kann. Und jetzt denke ich schon so viel über den Tot nach, als ob er schon angeklopft hat und ich ihm nur noch öffnen muss. Das werde ich aber nicht tun! Der kann ruhig noch warten. Ich habe noch Zeit.

Dennoch muss ich beginnen mein Leben so zu leben, als wäre heute der letzte Tag. Deswegen verplempere ich nicht mehr meine Zeit weiterhin mit so negativen Gedanken, sondern handle.

Oder stelle fest, dass ich den ganzen Unterricht versäumt habe obwohl ich eigentlich anwesend war. Das trifft es aber umso besser, denn jetzt kann ich schnell meine Sachen zusammenpacken und Layla hinterher stürmen: „Layla! Warte auf mich!"

Sie ignoriert mich, war ja klar. Aber ich gebe nicht auf. Ich rufe ihr weiter hin nach und verfolge sie durchs Schulhaus: „Layla? Bitte! Es tut mir leid, okay?"

Jetzt bleibt sie stehen und spitzt ihre Ohren. Umdrehen tut sie aber noch nicht. Diese Gelegenheit nütze ich jetzt, wo sie mir zuhört: „Es tut mir leid was ich gesagt habe! Ich hab's nicht so gemeint. Ich habe genauso Stimmungsschwankungen wie du, wenn nicht noch schlimmer.", ich lache, versuche aber die Tränen zu unterdrücken.

Und langsam dreht sie sich um und sieht mir mit zittrigen Lippen entgegen. Ich komme ihr immer näher und lasse alles aus mir raus: „Und ein sturer Esel bin ich noch dazu. Aber ich will einfach nicht den Rest meines Lebens mit dir noch sonst jemanden verstritten sein. Dafür ist das Leben zu kurz und man sollte so früh wie möglich anfangen glücklich zu sein und zu leben. Wer weiß denn schon wie viel Zeit uns noch bleibt. Du bist mir einfach zu wichtig, dass ich mir leisten kann dich zu verlieren. Ich halte es ja noch nicht einmal einen ganzen Tag aus. Layla, du bist meine beste Freundin. Ohne dich geht gar nichts in meinem Leben!"

Eine winzige Träne kullert aus ihrem Auge und während sie schluchzend sagt: „Taylor, ich liebe dich ja auch!" kommt sie in meine Arme gelaufen. Und während wir uns umarmen, meint sie noch: „Wir sind beide Idioten. Ich bin genauso schlimm wie du. Es tut mir ja so so leid. Du kannst dir nicht vorstellen wie grauenhaft das Mittagessen ist bei Menschen die ich nicht leiden kann."

Und schon bringt sie mich wieder zum Lachen.

„Du darfst mich nicht verlassen. Nie! Nie! Nie! Ich werde vereinsamen ohne dich."

„Mach dir darüber keine Sorgen. Ich werde immer da sein. Auch wenn du mich nicht immer siehst, ich werde nie von deiner Seite weichen.", vorsichtig wische ich ihr die Tränen von den Wangen. Sie ist einfach der tollste Mensch den es auf dieser Welt gibt und ich hatte das Glück sie kennengelernt zu haben. Sie ist das beste was mir je passiert ist. Ohne sie wäre ich nie so weit gekommen. Ich verdanke ihr so viel. Sie hat mir gezeigt, was wahre Freundschaft bedeutet! Und das kann ich ihr nie zurückgeben.

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