Kapitel 93🎈

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Ich? Was habe ich denn getan? Ich versteh die Welt nicht mehr... „Ich?"

„Ja du, Miss Perfect!"

„Das musst du mir jetzt aber genauer erklären! Wieso bin ich schuld daran, dass du einen Hass auf alle Menschen hast und wieso nennst du mich schon wieder so?", entsetzt richte ich mich auf.

Laurel ebenfalls: „Na, weil du nun mal Miss Perfect bist! Früher besass ich diese Rolle. Alles was ich gemacht habe war richtig und jeder wollte mit mir befreundet sein. Dann hast du in unsere Klasse gewechselt und ich rutschte ganz schnell auf den zweiten Platz. Das gefiel mir gar nicht, also gab ich mir noch viel mehr mühe dich zu übertrumpfen. Und dann stahlst du auch noch meine Freunde. Also begann ich dich zu hassen. Alles was ich je wollte war in etwas besser zu sein als du, doch du hast anscheinend alle mit deiner Nettigkeit um den Finger gewickelt. Ich habe mich so an den Hass in mir gewohnt, dass ich mich gar nicht mehr ändern kann, da sicher alle denken würden, dass ich euch etwas vormache. Ich habe nun alle Chancen verspielt. Nur noch Nadia ist geblieben. Und das auch nur weil sie denkt mein Leben sei bewundernswert..."

Wow. So habe ich das ganze gar nie betrachtet. Ich wollte nicht überall die Beste sein, ich wollte nur gut sein. Ich bin tatsächlich schuld... „Laurel, ich wollte nie das du dich so fühlst. Wenn ich könnte, würde ich sofort unsere Leben tauschen."

„Ja, weil deines ja so schrecklich ist."

„Du glaubst es vielleicht nicht, aber ja ist es! Ich bin die, die allen etwas vormacht.", gestehe ich.

Sie betrachtet mich mit einem Blick, der sagt: „Ich glaube dir zwar nicht, möchte aber trotzdem wissen wo du hinaus willst."

„Also. Fang an! Lass mal hören was in deinem perfekten Leben so falsch ist. Hatte deine Coiffeuse keinen Termin für dich?"

Ich atme schwer aus. Wo soll ich anfangen und was soll ich ihr überhaupt alles erzählen: „Erinnerst du dich noch an meinen Bruder Jo?"

Wieder fragliche Blicke.

„Letzes Wochenende ist er gestorben... und ich habe dabei zugesehen und konnte ihm nicht helfen.", nur schon der Gedanke daran lässt mich wieder trauern. Es jetzt auch noch laut auszusprechen schmerzt in meiner Brust und eine Träne kann ich noch kurz vor dem wegkullern wegwischen.

Doch Laurel scheint das noch nicht ganz von einem kompletten Katastrophenleben zu beeindrucken: „Tut mir leid für dich und deine Familie. Jeder Mensch muss einmal sterben, so ist es nun mal. Irgendwann wird man sich schon daran gewöhnen. War das schon alles?"

Die macht mir mein Leben auch nicht gerade viel einfacher.

Ich überlege, welche Tragödie könnte ich ihr denn noch erzählen.

„Siehste? Wow, ein Trauerfall in der Familie. Schreckliches Beileid. Aber dir ist schon klar, dass du ihn nur eine Woche kanntest?", sie verschränkt ihre Arme vor der Brust und meint, sie hätte im Leidenspiel gewonnen. Doch so möchte ich diese Diskussion nicht beenden: „Es gibt da noch was. Der wahre Grund, weshalb mein Leben eine Katastrophe ist. Wieso ich gesagt habe, ich mache euch allen etwas vor. Weshalb ich mich schon zu oft in den Schlaf weinte und meiner Mutter graue Haare wachsen liess. Aber das werde ich nicht sagen, denn nur eine Hand voll Menschen wissen darüber Bescheid und unsere Beziehung ist nicht so dick das ich es dir anvertrauen kann. Noch nicht einmal Ben kennt die ganze Wahrheit! Aber glaub mir, du möchtest nicht mit mir wechseln."

Sie scheint wirklich kurz einzuknicken. Aber sie ist und bleibt Laurel: „Wenn du es nicht sagst, gibts da auch nichts. Leide halt allein!"

Nachdem sie ihre Haare wieder nach hinten geworfen hat setzt sie ihre Sonnenbrille wieder auf die Nase und nimmt die Position von vorhin wieder ein.

So eine Dramaqueen.

Aber ich tue es ihr gleich. Stehen kostet Kraft und die muss ich mir einteilen. Keine Ahnung wie lange wir noch hier bleiben müssen.

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Keine Ahnung wie viel Zeit unterdessen vergangen sein muss, aber meine Zehen kann ich nicht mehr spüren. Selbst meinen Fingern fällt es schwer sich zu bewegen. Meinen Kopf höher heben als jetzt geht auch nicht, der hängt einfach nur so vor sich hin.

Ich brauche meine Medizin. Jetzt!

Ich weiss nicht, wie lange ich noch Luft bekomme. Das atmen fällt mir so schwer.

Ich muss meine Augen offen halten, solange es geht. Komm schon, Taylor, nicht aufgeben!

Aber mir geht es gerade so beschissen.

„Taylor? Lebst du noch oder bist du eingeschlafen? So lange stillschweigend habe ich dich noch nie gesehen. Das macht mir Angst.", höre ich nach einer Weile. Am beste, ich antworte ihr, doch ich kann nicht.

Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, doch alles was raus kommt ist ein kratzender Husten. Dann kippe ich um.

„Taylor? Verarsch mich jetzt bitte nicht!"

Sie kommt mir etwas näher und streicht mir die Haare aus dem Gesicht: „Taylor! Ich find das nicht lustig. Wenn du jetzt hier oben abkratzt werden alle denken, ich hätte dich umgebracht!"

Durch den klein geöffneten Spalt meiner Augen erblicke ich Laurel über mir. „Laurel?", hauche ich ganz schwach: „Bist du immer noch der Meinung, mein Leben sei perfekt?"

Sie hilft mir, mich gerade hinzulegen: „Was meinst du damit?"

„Ich werde sterben. Und wenn ich nicht bald meine Medikamente kriege die ich drinnen unter der Matratze versteckt habe, sogar noch früher als eh schon.", erkläre ich. Ich spüre richtig wie sehr mich die Kraft verlässt. Aber ich glaube, Laurel habe ich überzeugt: „Sterben? Medizin? Ich verstehe nur Bahnhof, Taylor!"

Okay, noch ein letztes Mal meine Kräfte versammeln: „Leukämie, Laurel. Ich habe Blutkrebs."

Dann gehen die Lichter aus.

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