Kapitel 63 🎈

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„Klopf, klopf. Ah, wie es aussieht stimmt das Gerücht also doch. Du hast dich in der Abteilung geirrt.", unangekündigt tritt ein glatzköpfiger Junge hinein und ich beginne sofort zu lachen: „Jesse, komm rein!" Ich lege meinen Block und den Stift weg und lächle ihn an, während er es sich auf meiner Bettkante bequem macht: „Na? Wie hat es sich angefühlt, so kurz vor dem Tod zu sein?"

„So, als ob ich es nie mehr wieder erleben möchte."

„Da muss ich dich leider enttäuschen. Es wird nicht das letzt mal gewesen sein.", meint er. Dann streckt er sich und lässt sich langsam nach hinten auf meine Beine fallen: „Dieses Krankenhaus macht mich noch irre! Warum stellen wir nicht was an?"

Wie gerne würde ich ja sagen: „Ich darf leider das Bett nicht verlassen."

„Na und? Ich auch nicht.", meint er Schulter zuckend: „Wie wers, wenn wir Rollstuhlrennen machen? Das ist meine Lieblings Beschäftigung."

Lachend schüttle ich den Kopf: „Jesse, das geht nicht. Ich mache mich doch nicht jetzt schon unbeliebt. Wenn die Chemo startet werde ich rund um die Uhr hier sein müssen und die Menschen hier könnten mich töten."

„Aber wir sind hier auf einer anderen Abteilung. Du wirst nie wieder hierher zurück kommen müssen.", zweifelnd versucht er mich zu überreden. Ich bin schon kurz davor einzuknicken, kommt noch jemand in mein Zimmer. Jesse setzt sich sofort normal hin, um zu sehen, wer es ist. Dann lehnt er sich ein bisschen wieder zu mir und flüstert auffällig: „Und wer ist das?"

Ich muss nochmal lachen: „Das ist Ben."

„Ach so. Ben?", er springt auf und geht auf ihn zu. Vor ihm bleibt er stehen und sieht zu ihm hoch. Jesse sieht neben Ben aus wie ein Zwerg mit einer überaus grossen Klappe: „Hab schon viel von dir gehört. Sag mir, was sind deine Absichten gegenüber Taylor?"

Ich habe keine Ahnung was er da tut, klingt aber witzig. Und Ben, der verwirrt über seine nackte Stirn zu mir rüber lächelt, antwortet ihm: „Natürlich nur Gutes."

„Auch gut so. Und wenn du sie noch einmal verletzt, kriegst du es mit mir zu tun. Haben wir uns verstanden? Ich besitze einen schwarzen Gürtel.", bedrohlich aber irgendwie auch witzig zeigt er mit zwei seiner Fingern auf seine Augen, dann auf Ben. Dann geht er.

Ich habe keine Ahnung was das gerade sollte.

Aber wir beide lachen: „Wer war denn der Zwerg?"

Und nach Bens Aussage muss ich noch mehr lachen: „Jesse. Denk gar nicht über ihn nach. Er ist ein harmloser kleiner Spinner der niemanden was zuleide tun könnte."

Er nähert sich mir und meinem Bett und greift nach meiner Hand: „Und wie geht's dir?"

„Gut. Für das ich kaum Zeit zum erholen kriege, da nonstop Besucher rein schauen. Aber sonst wäre es eh viel zu langweilig."

„Ja, sorry gell, aber ich musste dich einfach sehen.", er hat so schöne Augen, wenn er so guckt. Die könnte ich für immer lieben. Aber irgendwas liegt ihm doch auf dem Herzen: „Was ist los?"

Nervös beginnt er zu lächeln: „Woher weisst du, dass ich nur wegen dieser einen bestimmten Sache hier bin?"

„Ich kenne dich, Ben. Besser als du vielleicht denkst."

Er wird immer nervöser: „Ja. Das ist womöglich sogar wahr.", er kratzt sich am Hinterkopf: „Ich... ich habe sogar eine Rede vorbereitet, damit ich auch alles loswerde was ich sagen will und auch das richtige sage..." Er zieht aus seiner Hosentasche ein Blatt Papier hervor und macht somit mich nervös: „Oh Gott. Was kommt denn jetzt?"

„Ich bitte dich, mich anzuhören, bis zum Schluss. Ich ging für das sogar Zitate googeln. Also bitte. Und es wird nicht gelacht!", erklärt er mir die Regeln, bis er dann beginnt den Brief vorzulesen: „Taylor, ich habe mir viele Gedanken gemacht. Um ehrlich zu sein habe ich dich gar nicht mehr raus gekriegt. Mir ist klar, dass ich ein Idiot war, aber was ich noch viel mehr war ist sturr. Ich konnte einfach nicht einsehen, dass ich möglicherweise falsch liegen könnte. Aber mein ganzer Sinn hat sich gewandelt als mir ein Buch in die Hände fiel. Du weisst vielleicht welches, aber um es dir trotzdem noch einmal in Erinnerung zu rufen, es ist das Buch welches du mir einmal gebastelt hast mit tausenden Fotos mit unglaublichen Erlebnissen von uns beiden. Dann sass ich nur noch da und habe mir das Buch angesehen. Darunter gab es Fotos, die könnte ich Stundenlang anschauen und innerlich hoffen, diesen Moment noch einmal erleben zu können. Hat leider noch nicht funktioniert. Aber nicht nur diese Momente vermisse ich, nein, auch die Zeit in der du immer zuoberst bei meinen Whats App Nachrichten warst. Mit dir habe ich Momente erlebt, die mein Herz berührt haben.

Und das hat mir dann klar gemacht, dass ich nur noch drei Dinge will. Dich sehen, dich umarmen und dich küssen. Verdammt, Taylor. Ich möchte dich nicht mehr länger vermissen! Ich möchte dich nur noch zurück! Aber sowas von dir zu verlangen wäre unmenschlich. Ich habe dich verletzt, dass weiss ich. Aber wie der Hase einmal sagte: „Liebe ist nie ohne Schmerz." und umarmte danach den Igel. Schlechtes Beispiel, ich weiss, aber Beziehungen für immer kann es nur geben, wenn man in der Zeit der Wegwerfgesellschaft den Mut zum Reparieren hat. Wir haben so viele wunderbare Momente erlebt, welche uns niemand nehmen kann.

Als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich schon ganz genau, diesen Menschen werde ich für immer in meinem Herzen tragen und für ewig Lieben. So wie in Guten, so wie in schlechten Zeiten. Ich weiss nicht was über mich gekommen ist, um dich so zu verletzen. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann wieder verzeihen. Aber ich möchte nur das du weisst: Ich liebe dich, Taylor Claywell!"

Sowas habe ich jetzt nicht erwartet. Ich bin sprachlos. Eine einzelne Träne kullert aus meinem Auge, ich versuche sie gar nicht aufzuhalten. Was sage ich denn jetzt?

„Wenn du willst, lasse ich dir gerne etwas Zeit, dass du in Ruhe darüber nachdenken kannst. Ich will dich auf gar keinen Fall unter Druck setzen.", meint Ben noch dazu und möchte sich schon wieder kehrt machen zum gehen, doch da halte ich ihn auf: „Ben, warte!"

Erwartungsvoll blickt et zu mir runter.

„Geh nicht. Bitte."

Langsam kommt er wieder an mein Bett zurück. Ich denke mal, dass keiner von uns beiden weiss, wie uns geschieht oder was gerade hier abgeht. Aber da kann ich nur noch eines sagen: „Ben? Ich liebe dich auch."

Hoffnung versprüht sich in seinen Augen. Doch ich war noch nicht fertig, denn jetzt beginne ich zu stottern: „Aber... aber ich... wir können nicht wieder zusammen kommen... es ist... es wird nie mehr so sein wie es einmal war. Verstehst du das?"

Leicht nickt er verständnisvoll.

„Aber bevor wir zusammen gekommen sind, waren wir Freunde. Wie wärs, wenn wir wieder von ganz vorne beginnen?", schlage ich stattdessen vor, denn ganz verlieren kann ich ihn nicht. Das würde ich nicht überleben. Ich brauche ihn an meiner Seite. Und vielleicht bin ich gerade ohne Freund auch besser dran.

Erleichtert nimmt er meinen Vorschlag an: „Freunde also. Ein grosser Schritt für den Anfang. Auch gut." Und nun wuschelt er mit seiner grossen Hand durch meine Haare und wir beide fallen in einen riesen Lachflash.

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