05 | Neues Leben

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Alles Alte, soweit es den Anspruch darauf verdient hat, sollen wir lieben; aber für das Neue sollen wir eigentlich leben.

Theodor Fontane

***

Arya

Wir saßen alle zusammen am Esstisch. Die drei Gäste, die Zwillinge von Onkel und Mary und zuletzt ich. Sie sprachen über verschiedene Themen. Kein einziges Mal wurde der Vorfall angesprochen. Es lenkte ein wenig ab, jedoch konnte ich mich auch nicht auf das Gespräch konzentrieren.

»Melih und Melisa, wenn ihr fertig seid, dürft ihr wieder in eure Zimmer.«, befahl Mary an die Zwillinge. »Aber vorher die Hände gründlich waschen, ja?«

»Ja, Mom.«, sagten beide gleichzeitig und standen vom Tisch auf. Melisa lief um den Tisch herum, um an meinem Stuhl zu gelangen, »Wollen wir später zusammen Fahrrad fahren?«, sie lächelte mich an und zeigte ihre Zähne dabei. Ihr fehlten noch einige. Man erkannte, dass sie nach und nach ihre Milchzähne verlor. Bei diesem Anblick konnte ich nur lächeln.

»Klar, das machen wir.«, antwortete ich ihr und streichelte durch ihren Kopf. Vor Freude sprang sie in die Luft und rannte in Richtung Treppen.

»Und Arya, du hast auch studiert?«, die fremde Frau widmete ihre Aufmerksamkeit an mich.

»Auch?«, fragte ich sie. Ihre Frage irritierte mich, da sie auch in ihrer Frage verwendete. Es musste ja nicht selbstverständlich sein zu studieren. Daraufhin lachten alle am Tisch nur. Außer ich.

»Also, ich meine damit, wie jeder andere hier am Tisch auch.«, sagte sie und zeigte in die Runde.

»Ach. Tut mir leid. Ja, ich habe auch studiert.«

»Schön, sehr schön. Und was genau?«

»Unternehmensrecht.«, beantwortete ich ihre Frage. Sie sah mich erstaunt an.

»Oh Gott, wie alt bist du denn?« sie sah sehr verwundert aus.

»Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt.«

»Ist es in Deutschland realistisch, so schnell ein rechtswissenschaftliches Studium abzuschließen?«, ihre Fragen hörten nicht auf.

»Es waren nur sieben Semester, jedoch habe ich es in acht abgeschlossen. Also hat es mich vier Jahre gekostet.«, erklärte ich ihr, »Zudem war es nicht zu hundert Prozent ein rechtswissenschaftliches Studium.«

»Wow, du hast dann anscheinend ein großes Durchhaltevermögen. Wie wurde das Studium aufgeteilt?«

»Siebzig Prozent in Rechtswissenschaften und dreißig Prozent Betriebswirtschaft.«

»Quasi business law.«, ergänzte Mary.

»Ich habe das Gefühl, dass die Studenten hier erst mit Anfang dreißig mit dem Studium fertig werden.«, sagte ihr Mann und lachte. »Aber wie schön, dass du den Weg von Meryem eingegangen bist.«

»Bis ich sie davon überzeugen konnte, hätten zwei Planeten aufeinandertreffen können.«, sagte Mary und lachte.

»Wie oft sie dich angerufen hatte und dich anschrie, weil sie nicht mehr mit dem Lernen klarkam.«, sagte Onkel. Er hatte so recht. Ich erinnerte mich an die Zeit zurück, als ich in der Bibliothek saß und meine Nerven verlor, weil meine Kapazitäten an ihre Grenzen kamen. Sofort rief ich sie an und weinte, dass ich ihr das niemals verzeihen würde. Jedoch nahm sie mich nie ernst, was ich zu der Zeit nicht verstehen konnte, aber jetzt schon.

»Aber jetzt ist sie bereit, mit mir komplexe Verhandlungen zwischen Unternehmen durchzuführen, nicht wahr?«, fragte mich Mary und zwinkerte mich an. Ich wusste nicht, ob ich diese Frage ernst nehmen sollte.

Eine gemeinsame SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt