36 | Nach elf Tagen

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Frauen: Die sonderbarsten Geschöpfe; während ihr Widerspruch zunimmt, lässt ihr Widerstand nach.

Karl Schönbröck

***

Arya

Mr Karan und ich wurden nach etlicher Zeit nach Hause geschickt. Seit der Entlassung waren insgesamt elf Tage vergangen.

Elf Tage, an denen ich die letzten zwei Jahre komplett erzählt bekommen hatte.

Elf Tage, an denen ich mehrmals wieder reanimiert werden musste.

Elf Tage, die dafür gesorgt hatten, dass meine leere Seele jetzt komplett ausgestorben war.

Elf Tage, wo ich mich krampfhaft dazu zwang, durch Nachrichten auch nur einige Erinnerungen zurückzubekommen. Vergeblich.

Elf Tage an denen ich kein Wasser mehr in meinem Körper hatte, weil ich alles durch Tränen rausfließen lies.

Elf Tage... es waren einfach nur verdammte elf Tage, die dafür gesorgt hatten, meine Psyche komplett zu vergewaltigen. Zudem gibt es noch einen Highlight, es gab niemanden der mich verstand. Wollte ich das aber? Wollte ich verstanden werden? Wollte ich überhaupt mit jemandem darüber reden, um wieder damit konfrontiert zu werden?

Mit stummen Gedanken öffnete ich meine Terrassentür und setzte Fuß auf den kalten Boden. Die warme Luft umhüllte meinen Körper. Da wir bereits Nachmittag hatten, schien die Sonne ziemlich stark. Bisher kam ich immer nur unfreiwillig aus meiner Höhle raus. Doch heute war es freiwillig. Ich hatte einige Gedanken und Vorhaben, die ich umsetzen wollte. Das wird sich jetzt ergeben. Schon vor einigen Minuten schallten verschiedene Stimmen in meinen Ohren, die mich einfach nur provozierten. Ich blickte in Richtung des Gartens und erkannte einige bekannte Gesichter, die am Tisch saßen. Mit leeren Blicken lief ich auf sie zu. Nach und nach wurde ihr Gespräch weniger, bis niemand mehr von ihnen sprach. Mein Blick war einzig und allein zu Onkel gerichtet.

»Ich werde gehen.«, krächzte ich raus. Das waren meine ersten drei Wörter seit den letzten Tagen. Er sagte nichts. Er konnte auch nichts sagen. Was wollte er denn tun? Mich zwingen hier zu bleiben? Meine Stimme mag sich vielleicht nicht überzeugend anhören, jedoch sagte meine Mimik etwas anderes aus. Das wusste ich.

»Arya... Schatz, warte noch ein bisschen.«, Mary stand von ihrem Stuhl auf und wollte ihre Hand auf meine Schulter legen, doch ich schlug sie weg. Kein Körperkontakt. Das hatte ich zu oft verdeutlicht. Mary nahm ihre Blicke von mir und richtete sie auf den Boden. Ihr Gesicht zierte nichts außer Trauer und Mitleid.

»Ich werde gehen.«, wiederholte ich. Diesmal mehr festentschlossen.

»Ich kann dich nicht festhalten, Arya. Aber ich kann auch nicht die Verantwortung tragen, dass dir auf dem Weg oder in Heidelberg irgendetwas zustößt.«, sagte Onkel in einer ruhigen Stimme und stand langsam von seinem Stuhl auf. Trotz seines zögerns — die ich aus seinem Gesicht ablas — kam er mir langsame Schritte entgegen.

»Was für eine Verantwortung? Ich bin dreiundzwanzig verdammte scheiße! Dreiundzwanzig! Für was willst du dich verpflichten? Warum hast du mich überhaupt hergeholt? Warum hast du mich nicht dort gelassen?« Ich schrie ihn hysterisch an und schlug ihm mehrmals auf die Brust. Seine einzige Reaktion waren seine Tränen die ihm stumm aus den Augen liefen. »Du hast gar nichts zu entscheiden! Kümmere dich um deine scheiß Familie und vergiss mich einfach!«

»Du bist meine Familie, Arya...« Mit beiden Händen fasste er meine Schultern an, doch sofort schüttelte ich sie ab.

»Fass mich nicht an, sonst vergesse ich mich!« Sofort gehorchte er.

Eine gemeinsame SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt