1

552 20 2
                                    

Ein goldbraunes Septemberblatt segelte langsam auf den Boden und Leyla konnte ihren Blick nicht davon lösen. Dabei bereitete es ihr solche Kopfschmerzen, an den Ton zu denken, den sie damit verband. Und doch konnte sie erst aufhören, hinzustarren, als es sich zu einigen anderen Blättern gesellte, mit ihnen nahezu verschmolz und Teil des Teppichs, bestehend aus abgestorbenen Pflanzenfasern, wurde. Leyla stellte sich gerne vor, dass die Äste eines Baumes Hände waren und die Blätter Finger. Allerdings fand sie den Gedanken daran, dass auf dem Boden Dutzende von Fingern lagen, doch etwas makaber.
Seufzend wandte sie den Blick vom Fenster, zog die Schultern hoch und legte die Hände ein wenig fester um die warme, immer noch dampfende Teetasse. Im Hintergrund hörte sie ihre Mutter Klavier spielen und es hätte der perfekte Moment sein können, wenn da nicht diese störenden Farben vor ihrem inneren Auge gewesen wären. Müde lächelte sie vor sich hin und nippte an ihrem Tee. Pfefferminz. Die wärmende Flüssigkeit kroch ihre Speiseröhre hinunter, erst den Hals, dann vorbei am Brustbein – ein unangenehmes Gefühl, fand Leyla – bis hinab in den Bauch, wo sie sich ausbreitete und die Wärme langsam weiterleitete, bis hin in die Zehenspitzen. Auch dieser Moment hätte perfekt sein können, wären da nicht noch immer die Farben, die sie plötzlich unheimlich störten. Mit einem Mal wollte sie weg, einfach nur noch weg.    

FarbenblindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt