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„Ich hab mir Sorgen gemacht. Und Alpha ist halb durchgedreht", sagte Leyla leise und Milans Herz schlug schneller.
„Warum?", fragte er, hatte ein ungutes Gefühl. „
Du warst nicht auf der Bank. Und da bist du doch sonst immer und...", ihre Stimme versagte, sein ungutes Gefühl wuchs.
„Es ist alles okay. Es ist nur...mein Bruder ist da und...da bekomm ich schlechte Laune.", erwiderte er stockend.
„Hmmm", machte sein Besuch und schwieg dann.
„Ich...könntest du vielleicht Musik für mich anmachen?", fragte er und kam sich schrecklich hilflos vor.
„Äh, klar. Was willst du denn hören?"
„Den Nussknacker"
Er lächelte in ihre Richtung und fing an, Alpha zu kraulen. Seine Hände zitterten, ihm wurde schlecht. Simons Anwesenheit im Haus schlug ihm ohnehin auf den Magen und dass Leyla plötzlich in seinem Zimmer stand, machte ihn furchtbar nervös. Angespannt hörte er, wie die Tasten seines Laptops unter Leylas Fingern klackten. Er spürte, wie sich ihre Fingerspitzen berührten und fragte sich, ob das Zufall war oder ob Leyla genauso intensiv an ihn dachte wie er an sie. Milan unterdrückte ein Seufzen, während er sich das wieder ausredete. Das war wohl nur reines Wunschdenken.
„Milan?", fragte Leyla leise und – wie sollte es anders sein – unsicher.
„Ja?", erwiderte er, ebenso unsicher, was ihn ärgerte. „Ich weiß fast gar nichts über dich" Noch immer war ihre Stimme so leise und unsicher und aus irgendeinem Grund machte ihn das wütend.
„Dito. Obwohl, du weißt, dass ich blind bin. Und ich glaube, dass du mir was Wichtiges verschweigst."
Bildete er sich das ein oder konnte er Leyla deutlich schlucken hören?
„Was hältst du davon: Du stellst mir eine Frage, die ich beantworten muss. Irgendwann drehen wir das Spiel um, okay?", schlug er vor, wenn auch eher widerwillig. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie als Erste hätte antworten müssen, aber das fand er dann doch etwas unfair, immerhin hatte sie das Thema aufgebracht.
„Okay", stimmte Leyla zu. „Wie alt bist du?"
„Ich bin 19", antwortete er, erleichtert, dass sie mit einer so gewöhnlichen Frage anfing.
„Weißt du, wie du aussiehst?"
„Nein. Wie denn?"
„Keine Gegenfragen! Das heißt, du bist von Geburt an blind?"
„Ja"
„Wie ist das so?"
„Ich weiß nicht. Beschissen, glaub ich. Keine Ahnung, ich kenn's ja nicht anders."
„Hm. Und...was siehst du?", fragte sie zögerlich.
„Nichts. Falls du jetzt erwartest, dass ich schwarz oder grün oder gestreift sage, dann muss ich dich enttäuschen. Ich hab keine Ahnung von Farben."
„Oh. Ist das sehr schlimm für dich?"
„Es frustriert. Ich hab bisher niemanden gefunden, der mir Farben so wirklich erklären konnte. Außer sowas wie „Rot ist wie Wut". Aber nicht alle Farben lassen sich so eindeutig Emotionen zuordnen. Ich wünschte, die Leute könnten sie mit Geräuschen beschreiben. In Geräuschen bin ich gut."
Leyla sog scharf die Luft ein, was Milan irritierte.
„Alles okay?", fragte er leise, besorgt.
„Ja. Lass uns weitermachen, okay?"
„Okay"
„Hast du Geschwister?"
„Ja, einen Bruder"
„Wohnt er hier?"
„Nein, aber er ist zu Besuch, kann also sein, dass du ihn vorhin getroffen hast."
„Ja, hab ich. Wie alt ist er?"
„25."
„Versteht ihr euch gut miteinander?"
Milan musste erst tief durchatmen, bevor er ein „Nein" herauspressen konnte.
„Warum?"
Diesmal schwieg er.
Er wollte nicht darüber reden.
Leyla schien das zu merken und meinte dann: „Okay, du bist dran."
„Wie alt bist du?"
„17"
„Wie siehst du aus"
„Puh, schwierige Frage. Ich meine, ich kann mich nicht absolut objektiv beschreiben, aber ich werd's versuchen. Obwohl dir die Farben vermutlich nichts sagen werden."
Milan murmelte zustimmend vor sich hin und sie dachte einen Moment nach.
„Also, ich habe blonde Haare und blaue Augen. Ich bin relativ groß und recht normal gebaut. Und ähm...ja..."
„Findest du dich hübsch?"
Leylas Überraschung ließ sich deutlich spüren, als ihr Gehirn die Frage verarbeitet hatte.
„Es hält sich in Grenzen. Ich würde mich jetzt nicht als absolut hässlich bezeichnen, aber auch nicht als wunderschön. Ich glaube, ich bin ein guter Durchschnitt."
Er bildete sich ein, sie hören zu können, als sie dachte Warum will er das wissen? Aber wie gesagt, er bildete es sich nur ein.
„Warum hast du mit dem Tanzen aufgehört?", fragte er.
„Ich...ähm...das hat mehrere Gründe.", stotterte sie.
„Aus dem gleichen Grund, aus dem du vorhin so nervös warst, als ich die Sache mit den Farben erwähnt habe?"
Er spürte, wie ihre Hand zuckte. Er verkniff sich ein Lächeln, als er begriff, dass er wohl kurz davor war, Leylas Geheimnis zu lüften.
„Ja", murmelte sie leise, es war fast nicht zu hören.
„Willst du mir davon erzählen?"
Spannung lag in der Luft. Er wartete darauf, dass die Spannung zerriss und ein Geräusch von sich gab wie reißendes Papier – aber das passierte nicht. Stattdessen kletterte Alpha, der aufgewacht war, von ihm herunter und, den Geräuschen nach zu urteilen, die sie von sich gab, machte es sich auf Leylas Schoß gemütlich. Alpha schien wirklich zu wissen, wer ihn wann brauchte und Milan begann, Leyla zu beneiden, da sie Alpha rund um die Uhr um sich hatte.
„Ich weiß nicht", sagte sein Gast zögernd und Milan war froh, dass die Musik noch immer lief. Ohne wäre er wohl durchgedreht.    

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