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„Wie geht es eigentlich Milan? Ich hab ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen" Leyla war sich unsicher, ob der Vorwurf, der in der Stimme ihrer Mutter mitschwang, ernst gemeint war.
„Keine Ahnung.", erwiderte sie schulterzuckend.
„Was soll das heißen Keine Ahnung? Wann hast du denn das letzte Mal mit ihm geredet?", fragte ihre Mutter verwundert.
„Gestern, ich hab ihn im Park getroffen, aber...na ja. Wir haben uns...gestritten."
Leyla traute sich nicht, ihrer Mutter in die Augen zu sehen.
„Warum das denn?"
Am liebsten hätte Leyla geschrien, so sehr war sie von der Neugier ihrer Mutter genervt. „Hab mich halt die letzten Tage ein bisschen distanziert und er dachte, es liegt an ihm, weil er blind ist. Keine Ahnung. Und jetzt lass mich bitte damit in Ruhe.", erwiderte sie gepresst, drehte sich um, rief nach Alpha und verließ mit dem Hund zusammen das Haus.
„Na, komm, Alpha, komm, hopp. Wir gehen rüber zu Milan", lockte sie den jungen Hund, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Freudig blickte der Schäferhund sie an und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Leyla grinste und er rannte wie auf Kommando zu Milans Tür, wo er winselnd an der Schwelle kratzte, als versuche er, sich durch den Betonboden in die Wohnung der Rattners zu buddeln. Sie lachte, stellte sich neben ihn und klingelte schließlich. Zwei Sekunden später bellte Alpha einmal kurz, als wollte er sagen, dass man sich doch beeilen solle. Es dauerte einen Moment, dann ging endlich die Tür auf und der Hund raste sofort an Milans Mutter vorbei und Leyla blickte sie entschuldigend lächelnd an.
„Tut mir leid. Ich, ähm, ist Milan da?"
„Ja. Komm rein, ich denke mal, der Hund ist schon bei ihm."
Lachend schüttelte die Frau den Kopf. Unsicher betrat Leyla den Flur und versuchte, den stechenden Zigarettenrauch, der sie umspülte, zu ignorieren. Für einen Moment dachte sie darüber nach, zu fragen, ob Simon da war, doch dann entschied sie sich dagegen.
Als sie vor Milans Tür stand, traf sie dort auf Alpha, der geduldig davorsaß und auf sie zu warten schien.
„Wie denn, du wartest?", lachte sie und klopfte. Ein dumpfes „Ja" drang durch die Tür und sie öffnete langsam die Tür – was ihren Begleiter nicht daran hinderte, sich durch den kleinen Spalt zu drängen und schnurstracks zu Milan zu rennen.
„Hey, ich bin's...", setzte Leyla an, doch Milan unterbrach sie.
„Leyla"
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, was sie überraschte.
„Hey, Alpha", begrüßte er anschließend den Hund und wandte sein Gesicht dann wieder in Richtung seiner Besucherin. „Ich bin froh, dass du gekommen bist."
Da waren sie wieder, die goldschimmernden Seifenblasen, die nun um einiges mehr strahlten als am Tag zuvor im Park. Die Freude war deutlich sichtbar, sowohl in seinem Gesicht als auch in dem Bild vor ihrem inneren Auge. Nun war sie es, die lächelte und für einen Moment war sie froh, dass Milan ihr dämliches Grinsen nicht sah, aber dann machte sie es irgendwie ein wenig traurig, denn woher sollte er nun wissen, dass sie sich genauso freute, ihn zu sehen, wie er sich freute, ihre Stimme zu hören.
„Ich...ich...äh...", stammelte sie, wusste nicht genau, was sie zuerst sagen sollte.
Ich wollte mich für gestern entschuldigen.
Darf ich mich neben dich setzen?
Wie geht's dir?

Warum genau hast du so reagiert?
Hast du Alpha vermisst? Er hat dich nämlich echt vermisst. Und ich auch, um ehrlich zu sein. Alles davon schwirrte in ihrem Kopf herum, doch was war am angebrachtesten und was am unangenehmsten und zwar für beide? Während sie noch verzweifelt nach den passenden Worten suchte, übernahm Milan das Gespräch.
„Warte, bevor du irgendwas sagst: Ich wollte mich entschuldigen. Dafür, dass ich gestern so ein Arsch war. Ich war...keine Ahnung. Es ist ungewohnt, dass da jemand kommt und mich scheinbar so mag, wie ich bin und als du dich so distanziert hast, da hab ich...keine Ahnung...Verlustangst oder irgendwie sowas ähnliches bekommen. Und ich war so...wütend, auf mich selbst, weil ich dachte, dass ich mich da emotional viel zu sehr reinsteigere und dann war ich so dämlich und hab das an dir ausgelassen. Und, oh Gott, es tut mir leid. So, so leid."
Leylas Augen wurden immer größer, dann lachte sie leise.
„Ach Milan. Ich versteh das, wirklich. Mir ging es ähnlich. Das Problem ist, dass diese...intensive Zuneigung mir irgendwie Angst gemacht hat und da bin ich auf Abstand gegangen, schätze ich. Mir tut es mindestens genauso leid."
Gedankenverloren gab er einen zustimmenden Laut von sich und strich dabei Alpha, der sich neben ihn gelegt hatte, nachdenklich durchs Fell. Leyla hatte das Gefühl, dass er ungefähr so viele Fragen hatte wie sie – aber jede einzelne blieb unausgesprochen und schien still und schwer in der Luft zu schweben, wie eine Staubschicht, die nach Jahren aufgewirbelt wurde. Alpha ließ ein Schnauben verlauten, als hätte er dieses Hin und Her zwischen den beiden satt. Bei dem Gedanken daran musste sie lächeln, denn es ging ihr nicht anders.
„Denkst du, dass...also...ähm, dass wir so tun können, als wäre das nie passiert?", fragte sie schließlich zögernd.
„Oh Gott, bitte, ja!", stieß Milan erleichtert hervor und lachte kurz auf. Die Seifenblasen, die nun hell und strahlend immer größer wurden, weckten in Leyla den Wunsch, nach ihnen zu greifen, ihnen hüpfend hinterherzujagen, wie ein kleines Kind. Doch sie unterdrückte diesen Wunsch, sie war kein kleines Kind mehr, sie war auf einem guten Weg, erwachsen zu werden.
„Setz dich ruhig hin", sagte er zu ihr und obwohl sie sich darauf geeinigt hatten, den Streit zu vergessen, war ihm seine Unsicherheit deutlich anzumerken. Aber das störte sie nicht, sie war genauso verunsichert und ließ sich langsam und vorsichtig, als wäre es aus zerbrechlichem Glas, neben Milan auf das Bett sinken. Dabei engte sie Alpha ein wenig ein, weshalb er aufstand und auf Milans Schoß kletterte. Der Junge lachte. Sein Lachen war eigentlich nicht unbedingt ein schönes Geräusch, aber Leyla hatte das Gefühl, dass die Bilder vor ihrem inneren Auge dem Lachen etwas Melodisches verpassten, es irgendwie abrundeten. Aber vielleicht idealisierte sie das Ganze auch nur.     

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