Er saß auf der Bank, auf der er immer saß. Er musste nachdenken. Zu seinen Füßen lag Alpha, der jetzt offiziell sein eigener Hund war. Der bald sein Blindenhund sein würde.
Milan hatte gehofft, dass Leyla ihm die Tür aufmachen würde. Er hatte gehofft, dass er mit ihr reden konnte. Über gestern. Aber als ihre Mutter aufgemacht und ihm gesagt hatte, dass Leyla nur mit ihm reden wollte, wenn es um gestern ging, hatte ihn der Mut verlassen. Und er hasste sich dafür. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie das auf Leyla wirken musste.
„Oh, Alpha, was hab ich da nur angestellt?", seufzte er und überlegte, ob er nicht doch noch einmal zu Leyla sollte, um mit ihr zu reden. Gerade, als er aufstehen wollte, hörte er, wie jemand entlang joggte.
Reflexartig rief er „Leyla?" und erst danach fiel ihm ein, dass es auch irgendjemand anderes sein konnte. Andererseits – wer außer Leyla joggte sonst diesen Weg entlang? Die Schritte stoppten, dann bewegten sie sich langsamer weiter, kamen näher.
„Milan", hörte er sie sagen, sie klang kalt, aber er wusste, dass sie so nur versuchte, ihre Wut zu verstecken. Er kannte sie mittlerweile gut genug.
„Können wir...", er atmete tief durch, „können wir über gestern reden?"
Leyla lachte, es klang bitter und schmerzte ihm in den Ohren und im Herzen.
„Jetzt? Du willst jetzt reden? Was war vorhin, als du bei mir im Flur gestanden bist, um Alpha abzuholen?"
Ihre Stimme zitterte vor Wut und er verstand sie, er verstand, dass sie wütend war – wer wäre das an ihrer Stelle nicht gewesen?
„Ich...ich hab mich nicht getraut", gab er zu und alles in ihm spannte sich an, zu groß war die Angst vor einer weiteren, kalten, wütenden Antwort. Aber Leyla schien einzuknicken. Das Holz neben ihm knarrte ein wenig, als sie sich neben setzte.
„Okay, dann erklär mir, was das sollte", sagte sie leise, sie klang nun nicht mehr wütend. „Ich...", setzte er an, versuchte, die passenden Worte zu finden, „erinnerst du dich daran, als du mich geküsst hast und wir über deine Gefühle geredet haben? Als du nicht wusstest, was du fühlst und gesagt hast, du bist verwirrt und ich dich dann gefragt habe, welche Farbe Liebe hat?"
„Ja"
„So geht es mir jetzt. Ich weiß nicht, was los ist. Ich weiß nicht, ob ich mich in dich verliebt habe. Ich weiß nicht, ob ich gerade erst dabei bin. Ich weiß es einfach nicht. Keine Ahnung. Und ich...ich...ich habe Angst davor, okay? Ich habe...Angst davor, dass...dass ich aufwache und realisiere, dass ich wirklich in dich verliebt bin...Weil ich nicht weiß, wie du mich siehst...Und...und ich...und ich habe Angst davor, dass ich nicht in dich verliebt bin. Denn wenn ich mich nicht in dich verliebe, in wen denn dann?"
Er brach ab, war verzweifelt und wusste nicht, ob sie verstanden hatte, was genau er da gesagt hatte. Ob es überhaupt einen Sinn ergab.
„Ergibt das Sinn?", fragte er also.
„Ja, das tut es.", erwiderte sie, „Mir geht es genauso. Immer noch. Und ich bin froh, dass du mir das gesagt hast und ich bin froh, dass es dir ähnlich geht. Weil...ich weiß nicht, irgendwie fühlt es sich gut an, zu wissen, dass man mit sowas nicht allein ist..."
Er lächelte, Erleichterung machte sich in ihm breit, kroch in jede seiner Zellen, bis er davon überzeugt war, nur noch ein einziger Klumpen Erleichterung zu sein.
„Danke, dass du mir nicht mehr böse bist", sagte er leise.
„Weißt du eigentlich, wie anstrengend es ist, auf dich wütend zu sein?"
Er hörte ihr Grinsen heraus und lachte.
„Stimmt, ich bin echt unwiderstehlich"Die Welt war wieder in Ordnung. Sie brauchteneinander, egal, was sie für einander empfanden. Sie schlenderten nebeneinanderher, immer wieder berührten sich ihre Arme zufällig und zwischen ihnen liefAlpha.
„Das war schon mal so. Da haben wir gesagt, dass wir wie eine kleine Familiesind", meinte Leyla und Milan stimmte ihr zu.
„Sind wir ja auch"
Er grinste und blieb irritiert stehen, als er hörte, dass Leyla nichtweiterlief.
„Was ist?", fragte er.
Sie küsste ihn auf die Wange, sagte dann grinsend „Nichts" und lief weiter, alswäre nichts gewesen. Alpha bellte kurz, als wollte er über Milans verwirrtenGesichtsausdruck lachen.
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Farbenblind
Fiksi Remaja»„Welche Farbe hat Schnee?", fragte Milan sofort und sie hätte am liebsten gelacht, weil die Frage so vorhersehbar war. „Weiß", erwiderte sie. „Und weiß ist...kalt?", fragte er zögernd. „Ja, genau wie Schnee!", ereiferte sie sich, freute sich, dass...