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Alles in ihm zog sich zusammen. Er hörte, wie sie lächelte, ganz leicht und er hätte es fast überhört. Wieder einmal wünschte er sich, er könnte sehen, und wenn es nur für eine Minute war, einfach, damit er wusste, wie sie aussah, damit er ihr Lächeln nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber er hatte den Eindruck, dass sein Wunsch, Leyla zu sehen, mit jedem Mal größer wurde. Milan hatte keine Ahnung, wie er diesen unerfüllbaren Wunsch, diese Sehnsucht stillen sollte. Selbst die Vorstellung, dass ihre Augen Klaviermusik waren, half ihm nicht unbedingt weiter. Verzweifelt versuchte er, die Wut, die in ihm aufstieg, zu unterdrücken. Diese unbestimmte Wut, von der er nicht wusste, gegen wen oder was sie gerichtet war. Normalerweise richtete er diese Wut dann gegen die gesamte Welt, aber diesmal erschien es ihm irgendwie falsch. Aber wohin dann mit der Wut?
„Ach, sieh an", hörte er eine Stimme und ihn überkam eine Gänsehaut, sein Herz raste und sein gesamter Körper schrie: Flieh!
Wie seltsam es doch war, dass etwas, das einem das Gefühl von Liebe, Vertrauen und Geborgenheit geben sollte, dafür sorgte, dass man sich abgelehnt und verachtete fühlte, dass man Panik verspürte.
„Simon", hörte Milan sich selbst sagen, was ihn überraschte, er hatte nicht damit gerechnet, dass er auch nur einen Laut von sich geben konnte, besonders, nachdem sein Bruder vor ein paar Stunden noch Leyla bedroht hatte. Aber vielleicht schaffte er es ja genau deswegen. „Milan, Bruderherz", erwiderte der junge Mann mit vor Sarkasmus triefender Freundlichkeit, „und deine Bodyguards hast du ja auch dabei"
Der Kies knirschte und Milans Gefühl sagte ihm, dass sein Bruder auf sie zutrat.
„Was ein hübscher Hund. Schade, ich hätte ihn gerne gehabt. Nicht wahr, Lilly?"
Milan wurde schlecht.
„Leyla", knurrte Leyla, sie klang ungewohnt mutig und Milan erfüllte das irgendwie mit Stolz. „Was willst du?", fuhr er seinen Bruder an.
„Ich wollte nur mal Hallo sagen. Mehr nicht. Oh und vielleicht..."
„Baby!", wurde er unterbrochen.
Auch diese Stimme kam Milan bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen.
„Charlotte, Süße. Sieh mal, wen ich eben getroffen habe"
Simons Stimme klang so schmierig, dass Milan einen Würgereiz unterdrücken musste. Charlotte reagierte nicht, zumindest sagte sie nichts.
„Komm, Milan, wir gehen", schaltete Leyla sich ein, es war deutlich, dass sie hier wegwollte. Gerade, als sie nach seiner Hand griff, sagte Simon: „Wie, ihr wollt schon gehen? Dabei wollte ich Milan doch gerade erzählen, dass Dad..."
„Halt die Fresse", schrie Milan und irgendwie reichten diese drei Worte aus, um sämtliche Wut, Angst und Ablehnung herauszulassen. Er fühlte sich gut. Leicht. Ein bisschen, als hätte er die Welt verbessert, obwohl er wusste, dass das nur Einbildung war.    

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