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Es klingelte an der Tür.
„Machst du mal bitte auf?", rief ihre Mutter und Leyla seufzte, ehe sie sich auf den Weg zur Tür machte. Sie hatte sich mit ihrer Mutter zwar nicht ausgesprochen, aber es war eine stillschweigende Abmachung eingetreten, die besagte, dass sie beide so taten, als wäre nie etwas gewesen.
Während sie die Klinke herunterdrückte, fragte sie sich, wer es wohl war und was er wollte. Irgendetwas in ihr hoffte, dass es Milan war. Bei dem Gedanken daran, dass sie Milan wiedersehen würde, schlich sich ein Lächeln in ihr Gesicht und mit eben diesem Lächeln öffnete sie die Tür – nur, um es dann gefrieren zu lassen, als sie sah, dass es nicht Milan war, der vor ihr stand, sondern sein Bruder.
„Simon", presste sie hervor, überrascht und alles andere als erfreut. Sie kämpfte gegen den Drang an, die Tür einfach wieder zuzuschlagen.
„Hey, Lisa, richtig? So war doch dein Name? Wie auch immer, ich bin wegen der Hunde da", erklärte Simon und klang dabei so schmierig, dass Leyla sich am liebsten übergeben hätte. „Leyla", brachte sie lahm heraus und war sich sicher, dass er absichtlich einen falschen Namen gesagt hatte.
„Oh, hallo, Herr...?", tönte hinter ihr die Stimme ihrer Mutter freundlich.
Leyla hatte fast schon Mitleid mit ihr, dass sie so unwissend war.
„Müller", erwiderte Simon und Wut packte Leyla. Wie konnte er es wagen, einen falschen Nachnamen zu benutzen? Er wusste doch genau, dass sie ihn so oder so erkannte.
„Kommen Sie doch rein"
Ihre Mutter hatte nun das Gespräch übernommen und hilflos musste Leyla dabei zusehen, wie Milans Bruder in ihre Wohnung eindrang. Trotz des Parfüms, das er aufgetragen hatte, nahm sie deutlich den Zigaretten- und Whiskeygeruch, der schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen präsent gewesen war, wahr. Ihr Magen drehte sich um, immer wieder, fast, als würde er Karussell fahren, so sehr widerte dieser Mensch sie an. Sie wollte nicht, dass er ihren Flur betrat, in ihr Wohnzimmer ging, ihre Hunde genauer betrachtete, so tat, als würde er sich für sie interessieren. Das ertrug sie einfach nicht. Aber sie blieb still, hoffte, dass ihre Mutter ihn rauswerfen würde, weil...Sie hatte keine Ahnung, warum. Aber sie bezweifelte, dass Simon seine schmierige Müller-Fassade lange genug aufrechterhalten konnte. Mit einem mulmigen Gefühl beobachtete sie, wie ihre Mutter Simon ins Wohnzimmer führte, mit jedem Schritt näherte er sich den Hunden. Leyla war froh, dass Alpha bereits bei Milan war. Damit war gewährleistet, dass Simon Alpha nicht anfasste und das war etwas, was sie wirklich alles andere als ertrug. Sie wollte hier weg, sie wollte nicht mit dem Mann auf so engem Raum sein. Aber sie wollte nicht aus ihrem eigenen Zuhause vertrieben werden, diesen Triumph würde sie Simon nicht gönnen. Sie trottete den beiden hinterher, ohne den Gast aus den Augen zu lassen. Als sie das Wohnzimmer betraten, hob Amy, die eben noch, den Kopf auf die Pfoten gebettet, Abby und Amor beim Spielen beobachtet hatte, den Kopf und knurrte leise, als sie Simon erkannte, was Leyla mit Stolz erfüllte. Sie war sich sicher, dass, wenn sie selbst es schaffte, die Hündin es zu verhindern wusste, dass Simon einer ihrer Welpen mitnahm. Leylas Mutter, die immer noch vollkommen ahnungslos war, wen sie da überhaupt ins Haus gelassen hatte, blickte Amy überrascht an, machte etwas verärgert „Psch, Amy!" und entschuldigte sich schließlich gekünstelt lachend bei Simon: „Tut mir leid, eigentlich ist sie nicht so."
Simon winkte ab, murmelte irgendetwas unverständliches und setzte sich dann, nachdem Christiane es ihm angeboten hatte, aufs Sofa. Alles in Leyla verkrampfte sich. Hinsetzen bedeutete, dass er noch ein bisschen bleiben würde, was ihr gar nicht passte.
„Wollen Sie etwas trinken?", bot ihre Mutter an und Leyla riss sich zusammen, um nicht laut „Nein, will er nicht. Er will überhaupt nichts. Eigentlich will er wieder gehen. Tschüss, Herr Rattner, ach, nein, Müller, richtig? Wie auch immer, grüßen Sie Ihre Mutter von mir!" herauszuplatzen. Stattdessen biss sie sich auf die Lippe und versuchte, zu ignorieren, dass er gerade „Ja, bitte. Wasser reicht vollkommen aus, vielen Dank" gesagt hatte, mit einem so schmierigen Lächeln, dass Leyla am liebsten geschrien hätte. Kaum war ihre Mutter in der Küche verschwunden, drehte sich Simon zu Leyla und sagte, beinahe bedrohlich: „Pass mal auf, Kleine, ich werde mir einen deiner Scheißköter unter den Nagel reißen, das verspreche ich dir."
Gänsehaut machte sich auf ihren Armen breit, während sie leise und wütend erwiderte: „Das glaube ich kaum."
Simon lachte nur kalt auf, verstummte aber, als Amy erneut knurrte. Tiefer, länger, wütender diesmal.
„Amy!", rief Leylas Mutter verärgert, als sie mit einem Glas Wasser aus der Küche zurückkam.
Leyla, die immer noch nur mitten im Raum stand, ging zu Amy, setzte sich neben sie auf den Boden und strich ihr beruhigend über den Kopf. Sie legte die Lippen an ihr Ohr, tat, als würde sie ihr einen Kuss aufhauchen, flüsterte dabei aber: „Keine Sorge, der kriegt nichts" und lächelte anschließend ihre Mutter an, die sich neben Simon aufs Sofa setzte.
„Also, Herr Müller" – ein kurzer Blickwechsel zwischen Simon und Leyla, der ihrer Mutter entging – „erzählen Sie doch mal was über sich. Warum wollen Sie einen Hund und wie sind Sie auf unsere Anzeige gestoßen?"
„Ich wollte schon als kleines Kind einen Hund und Schäferhunde waren schon immer meine Lieblinge. Ich hab dann Ihre Tochter immer wieder im Park gesehen, wenn sie Gassi war. Waren es nicht sogar drei?"
Egal, wie sehr sie Simon verabscheute, seine Schauspielkunst musste sie ihm lassen.
„Ja, das stimmt. Aber einer ist schon weg. Er ist bei den Nachbarn und wir haben geplant, ihn als Blindenhund ausbilden zu lassen. Wissen Sie, der Junge ist blind und ein sehr guter Freund meiner Tochter", erklärte Christiane bereitwillig und Leyla musste für einen Moment tief durchatmen, um nicht etwas zu sagen, das sie später bereuen könnte.
„Schade, das war nämlich mein Favorit. Aber ich freue mich natürlich, dass er bereits eine Familie gefunden hat und dann auch noch so eine wichtige Aufgabe erfüllen darf"
Simon lächelte breit und Leyla unterdrückte einen erneuten Würgereiz. Leylas Mutter hingegen strahlte bis über beide Ohren, dann rief sie „Abby, Amor! Kommt mal her, ihr beiden"
Neugierig liefen die beiden Junghunde zu ihr und schnupperten in Simons Richtung. Gerade, als er die Hand nach ihnen ausstreckte, um sie zu berühren, bellte Amy einmal laut und wütend, was nicht nur Simon, sondern auch Leyla, die immer noch neben der Hündin saß, erschrocken zusammenzucken ließ.
„Amy!", schimpfte Christiane, aber es war ihr anzumerken, dass sie es nicht wirklich versuchte. Amy, die Simon nicht aus den Augen ließ, richtete sich nun auf, saß angespannt auf den Hinterläufen und als Simon einen erneuten Anlauf startete, Abby zu streicheln, bellte sie erneut, bellte und bellte, regte sich auf, als gäbe es kein Morgen mehr, stand schließlich auf und machte ein, zwei Schritte auf den Mann zu.
Simon, dem plötzlich bewusst wurde, dass Amy nicht aufhören würde, bis er verschwunden war, stand hastig auf und wandte sich an Leylas Mutter: „Ich, ähm, ich werde mich melden. Auf Wiedersehen"
Sie nickte und mit hochrotem Kopf begleitete sie ihn zur Tür, entschuldigte sich für Amys Verhalten und schloss die Tür. Zwei Sekunden, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, verstummte Amy. Abby und Amor blickten sie verwirrt an.
„Was war das denn?", fraget Leylas Mutter ihre Tochter verwirrt.
„Das", sagte Leyla, „war Milans Bruder".    

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