Es war, als stünde sein Körper unter Strom. Seine Gedanken rasten, alles in ihm bettelte, Leylas Haar zu küssen und nicht nur seine Lippen und schließlich sein Kinn darauf zu betten. Sein Herz schlug laut und deutlich, er befürchtete, dass Leyla es hören konnte. Milan wünschte sich, dass dieser Moment niemals endete, er konnte sich nichts Besseres vorstellen. Das Einzige, das er als verbesserungswürdig befand, war Leylas Stimmung. Die Zeit verging rasend schnell und doch war es, als würde eine Sekunde eine Stunde andauern. Immer wieder drängte sich ihm die Frage auf, was Leyla so aufgewühlt hatte. Und jedes Mal war er kurz davor, sie danach zu fragen. Doch er wusste, dass sie nicht darüber reden würde, wenn sie es nicht wollte – und dass sie nicht darüber reden wollte, hatte sie deutlich gemacht. Plötzlich kratzte es an der Tür.
„Ich mach schnell auf", sagte Leyla leise, sie klang erschöpft.
Milan spürte, wie sie sich bewegte, er löste seine Umklammerung und lauschte den Geräuschen, die entstanden, als Leyla aufstand, zur Tür lief und sie öffnete. Die Tür schabte leise über den Boden und kurz darauf hörte man das typische Klack Klack Klack von Hundekrallen auf Holzboden. Erneut bewegte sich die Matratze, Leylas Geruch kroch ihm in die Nase, nur ganz leicht und er lächelte, als sie sich an ihn lehnte. Der Hund – welcher auch immer es war – sprang ebenfalls auf die Matratze, brauchte einen Moment, bis er die richtige Position fand und legte sich schließlich hin. Milan vermutete, dass er sich an Leyla gedrückt hatte, denn er spürte lediglich das leichte Aufschlagen seines wedelnden Schwanzes an seinen Zehenspitzen.
„Ach Amy", seufzte Leyla und fuhr dann, an Milan gewandt fort, „Sie ist die Einzige, die es theoretisch weiß. Aber ich weiß nicht, ob sie sich daran erinnert. Ob sie den Zusammenhang verstanden hat. Keine Ahnung. Wenn sie es weiß, dann kann sie nicht darüber reden."
Ein leises Lachen folgte und Milans Herz machte einen kleinen Hüpfer. Natürlich, das Lachen war nicht voller Freude, aber es war dennoch ein Lachen. Und ein Lachen, egal, wie leise und klein es auch sein mochte, war besser als tausend Tränen.
„Wenn du nicht über mein Geschenk reden willst, willst du dann wenigstens erzählen, wer das vorhin an der Tür war?", fragte er, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich abzulenken. „Rebecca", meinte Leyla, „sie wollte sich entschuldigen"
„Wofür?"
„Vor einer Weile stand sie mit Charlotte – Simons Freundin, die blöde Kuh – vor unserer Tür und haben sich über dich lustig gemacht. Und dann hat sie noch mitbekommen, dass Simon und Charlotte...du weißt schon"
Milan gab ein zustimmendes Geräusch von sich, er hatte das Gefühl, wenn er jetzt etwas sagte, würde er sämtliche Gefühle, die gerade aufkamen, erbrechen müssen. Für einen Moment dachte er, Leyla würde weitererzählen, aber dann begriff er, dass sie nichts mehr zu sagen hatte.
„Das ist natürlich echt nicht in Ordnung, dass sie das gemacht hat. Also, ich meine, dass sie sich über mich lustig gemacht haben. Ich meine, von mir aus können sie das machen, mir ist das egal, ich find es nur unfair, dass sie dich mit reinziehen wollten. Aber es ist trotzdem nett von ihr, dass sich zumindest Rebecca dafür entschuldigt hat. Ich kenn sie zwar nicht, aber es klingt nicht so, als wäre sie ein schlechter Mensch.", gab Milan seine Meinung dazu ab.
„Ja", murmelte sie, klang aber nicht sehr überzeugt.
Erneut machte sich Schweigen breit, man hörte nur noch das tiefe Atmen Amys. Plötzlich ergriff ihn der Drang, sich bei ihr zu entschuldigen.
„Tut mir leid", flüsterte er in die Stille hinein.
„Hä?"
„Es tut mir leid. Wirklich."
„Wovon zur Hölle redest du?"
„Du hast so viel Ärger meinetwegen. Das tut mir leid. Und das mit dem Geschenk auch, ich...", erklärte er.
„Milan, es ist doch alles in Ordnung. Du wusstest nichts, fertig. Und ich hab keinen Ärger deinetwegen, im Gegenteil. Mir geht es so viel besser, seit ich dich kenne. Und mal davon abgesehen, wenn ich wirklich so viel Ärger deinetwegen hätte und mich würde das stören, würde ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Aber ich sitze hier mit dir. Ich mag dich nämlich viel zu sehr, um einfach nicht mehr mit dir zu reden."
Diese Worte waren wie Balsam für seine zerbrochene, zerrissene Seele. Und bevor er wusste, was genau er da tat, beugte er sich vor und versuchte, sie zu küssen. Aber er traf nur ihre Wange, tastete sich vor bis zu ihren Lippen und küsste sie noch einmal, ließ gar nicht mehr von ihr ab. Es war, als wären ihre Lippen reiner Sauerstoff und er hatte die ganze Zeit nur puren Kohlenstoffdioxid inhaliert, er fühlte sich, als könnte er endlich wieder richtig atmen. Doch die metaphorische Sauerstoffzufuhr wurde jäh unterbrochen, als sie ihn wegdrückte.
„Milan", wisperte sie, er spürte ihren Atem auf ihrem Gesicht und alles in ihm zog sich zusammen, so sehr wünschte er sich, jetzt in ihre Klaviermusikaugen, die nun ganz nah sein mussten, sehen zu können.
„Was tust du da?"
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Farbenblind
Teen Fiction»„Welche Farbe hat Schnee?", fragte Milan sofort und sie hätte am liebsten gelacht, weil die Frage so vorhersehbar war. „Weiß", erwiderte sie. „Und weiß ist...kalt?", fragte er zögernd. „Ja, genau wie Schnee!", ereiferte sie sich, freute sich, dass...