Kapitel 10

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Kapitel 10

Raphael Ragucci


Für einen Moment verliere ich mich in ihr.

Die Kontrolle entgleitet, die Triebe kriechen aus meinem Unterbewusstsein, greifen nach mir, vernebeln mir das Denkvermögen. Isabelle stößt mit dem Rücken an ihren Wagen, ihre Hände fest im Stoff meiner Jacke, unser Kuss intensiv, fordernd, haltlos, meine Hände auf ihrem Körper.

Dann ein leichter aber bestimmter Druck auf meiner Brust, sie löst den Kuss. Mit den Handflächen schiebt sie mich ein Stück von sich, ihre Miene ist in diesem Augenblick unergründlich.

„Wir sollten die anderen nicht warten lassen.", sagt sie ruhig. Sie klingt um einiges kontrollierter, als ich mich fühle. So ruhig, melodisch und kühl.

„Die können sich schon ohne uns beschäftigen.", antworte ich, versuche ein Grinsen aber es gelingt mir nicht.

„Können sie nicht." Ihr Tonfall bestimmt, die Stimme fest, ihr Blick geht geradewegs in meine Augen. In der Dunkelheit wirkt das Grün in den ihren beinahe schwarz. Einen Wimpernschlag lang verdunkelt sich ihr Gesichtsausdruck, sie lässt ihre Hände sinken. Die Wärme in ihren Augen ist verschwunden, kühl, wie dunkler Marmor sehen sie mich an.

Sie kann nicht vor mir zurückweichen und aus einer Intuition heraus bewege ich mich einen Schritt von ihr weg. Vor wenigen Sekunden fühlte ich mich ihr so nahe, jetzt kann ich beinahe zusehen, wie sich eine Mauer der Distanz zwischen uns aufbaut. Wie Isabelle diese Mauer aufbaut. Sie ist gerade weiter entfernt von mir als in dem Augenblick, in dem wir uns das erste Mal gesehen haben.

Der Wind pfeift um die Arena, zerrt an ihrem Haar, am Stoff des eleganten, schwarzen Mantels den sie trägt, peitscht uns Nieselregen in die Gesichter. Es ist kalt, ich selbst friere, nehme wahr, wie mein Körper zu zittern beginnt, obwohl ich es zu unterdrücken versuche. Isabelle rührt sich nicht, ihr scheint die Kälte nichts auszumachen.

Dumpf tönen von drinnen die Stimmen von sechzehntausend Menschen herüber. Isabelle sieht anders aus. Ähnlich, wie in dem Moment, in dem sie mir das Angebot gemacht hat, mit ihr zu schlafen und danach für immer zu gehen- doch noch eine Spur kühler. Kein Funkeln in den Augen, kein Lächeln auf den Lippen, die Wärme und die Offenheit, die sie sonst ausstrahlt sind verschwunden. Ihr Körper ist angespannt, ich sehe, dass sie die Zähne zusammen beißt. Sie wirkt nicht schwach, im Gegenteil.

Ein Fall von oben, ein verdammtes Aufklatschen auf dem Boden der Tatsachen in einem Bruchteil von Sekunden.

„Sorry, dass ich dich so überfallen habe.", höre ich mich sagen. „Ich dachte, es wäre okay. Tut mir Leid, wenn ich das falsch interpretiert habe."

Schweigen ihrerseits, dann endlich sehe ich, wie sie sich entspannt. Diese eiskalte Fassade bröckelt so schnell, wie sie erschienen ist. Millimeter für Millimeter fällt sie ihr vom Gesicht, ihr Kiefer entspannt sich und die Wärme kehrt in ihre Augen zurück. Ich spüre, wie sich auch meine Schultern lockern, ich habe gar nicht bemerkt, wie auch ich zum Zerreißen gespannt war. Ich atme durch, als sich ein Lächeln auf ihre schönen Lippen verirrt.

„Es war okay, Raphael.", sagt sie sanft. Sie kommt auf mich zu, nimmt meine Hand, wir verschränken unsere Finger. Leicht kribbelt meine Haut unter ihrer Berührung. „Ich habe gefürchtet, die Kontrolle zu verlieren.", sagt sie leise. „Ich bin beschissen darin, etwas nicht kontrollieren zu können. Du hast nichts falsch gemacht."

Sie streckt sich ein wenig, hebt die Hand, legt sie an meine Wange, haucht mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Wie automatisch ziehe ich sie an mich, sie lässt die Nähe zu, schmiegt sich in meine Arme.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt