Kapitel 20

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Achtung, am Ende könnte es ein wenig heftiger werden von der Thematik her.... :)


Kapitel 20 

Raphael Ragucci 


Je länger ich Zeit mit den Kids aus Isabelles Wohngruppe verbringe, umso mehr stelle ich fest, wie groß mein Wunsch nach eigenen Kindern ist. Unglaublich gern bin ich mit ihnen zusammen und ich würde lügen würde ich sagen, dass es mir hier keinen Spaß macht. Ihnen etwas zu zeigen, ihnen Dinge zu erklären, mich mit ihnen zu unterhalten und gemeinsam etwas mit ihnen zu schaffen- ich glaube, wir hatten alle Spaß heute.

Sie haben sich gewünscht, dass ich zum Abendessen bleibe und ich habe die Einladung gerne angenommen, stelle fest, dass ich es überhaupt nicht eilig habe zurück in meine große, leere Wohnung zu fahren und die Stille um mich herum zu hören.

Wir sitzen um den großen Esstisch herum, mit Isabelle und mir vier Erwachsene und zehn Kinder und Jugendliche. Yassin und Aylin, die irgendwann am späten Nachmittag zum Nachtdienst gekommen ist haben gekocht, ein irakisches Gericht, Yassin hat mindestens zehn Mal versucht, mir zu verklickern, wie es heißt und genauso oft habe ich es nicht geschafft, es richtig auszusprechen. Von wegen Raphael Ragucci das Sprachgenie.

„Du musst den Joghurt da drauf machen, glaub mir das schmeckt.", grinst Leyla mich von der Seite an. Zuckersüß und rotzfrech das kleine Ding. Sie schiebt sich eine Gabel Essen in den Mund während ich sie skeptisch ansehe.

„Joghurt? Auf eine Mischung aus Nudeln, Kartoffeln Reis und Fleisch?" , frage ich und sehe in amüsierte Gesichter.

„Dachte du hast Freunde aus tausend Ländern aus der Welt. Solltest du doch kennen." Sam an meiner Rechten Seite grinst ebenfalls und ich beschließe, auf sie zu hören.

Die Stimmung am Tisch ist viel angenehmer und familiärer, als ich es von einem Heim erwartet habe. Ich habe das Gefühl, dass Isa und ihre Kollegen es wirklich schaffen, diesen Kindern ein zu Hause zu geben. Eines, in dem sie sich angenommen und wohl fühlen. Die Kids sind allesamt gut erzogen, ich habe mit viel mehr trotziger Jugendlichkeit gerechnet und ich glaube, die Erzieher haben einen großen Anteil daran. Sie alle haben diese Kinder wirklich gern, ich spüre es, ich sehe es, wie sie miteinander umgehen.

Wenn ich nicht vertieft in die Musik war habe ich Isabelle beobachtet. Ich bin mir sicher, dass sie in der Lage ist, zu lieben und manchmal habe ich mir vorstellen müssen, wie sie vor zehn Jahren noch selbst in der Position der Kinder war, die jetzt am Tisch sitzen. Im Heim, weil sie ihre Mutter verloren hat, weil ihr Vater kriminell ist und hinter Stahltüren sitzt. Ich hoffe, dass sie auch so ein gutes zu Hause hatte, wie die Kinder hier. Und doch frage ich mich dann, was der Grund dafür war, dass sie sich, ich hasse es, dieses Wort mit ihr in Verbindung zu bringen, sich prostituiert hat.

Wenn ich sie jetzt so sehe, mit dem Funkeln in den Augen, wie sie warm lacht, die Gabel in der linken Hand, ein wenig gestikuliert sie, während sie mit dem Jungen spricht, der neben ihr sitzt. Noah heißt er.

Sie sieht noch immer aus, wie ein Engel, wie sie dort sitzt. Ein gefallener Engel, die dunkle Seite gerade verborgen unter den Ärmeln des weißes Nike Hoodies, ihre Tattoos sind nicht zu sehen. Und doch schlummert tief in ihrer Seele der Teufel. Ich kann nicht verhindern, dass mein Herz schneller schlägt, wenn ich sie ansehe.

„Und, schmeckt, oder?", durchbricht Leyla meine Gedanken.

„Übel gut.", kommentiere ich. Die Kids hatten Recht, das Essen ist richtig gut.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt