Kapitel 16

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„Isa, Handy weg du arbeitest." Sam kommt in die Küche der Wohngruppe, stupst mich an und wirft einen frechen Blick über die Schulter.

„Niemand mag Klugscheißer, Sam.", gebe ich zurück, schiebe ihn weg und schalte mein Display aus.

„Ich weiß, dass du mich magst, obwohl ich ein Klugscheißer bin.", grinst er selbstgefällig und steckt seine Hände in die Taschen seiner weißen Trainingsjacke. „Hast du gerade die Instastorys von Raf Camora angeguckt? Bist du jetzt endlich bei moderner Musik angekommen und auch Fan? Er macht grad ein neues Album, kannst du dann kaufen. Und mir dafür Extrataschengeld auszahlen." Sam lacht, spielt mit der Linken an einer seiner pechschwarzen Dreadlocks herum.

Mein großes Bezugskind, wie ich Sam immer nenne setzt sich neben mich an den Küchentisch und sieht mich gespannt an.

„Modere Musik? Du hast doch keine Ahnung.", antworte ich lachend. „Flers Colucci kommt am 29.03., dafür kann ich dir Extrataschengeld auszahlen.", foppe ich ihn.

„Du immer mit deinem Fler." Sam winkt ab.

„Dein Raf Camora ist noch irgendwo in Wien rumgepimmelt, als Fler , Bushido und der Rest von Aggro hier alles abgerissen haben. Hätte es die Jungs nicht gegeben wären Raf, Capi und Bonez am Arsch. Die sollen sich erst mal fast zwanzig Jahre halten.", antworte ich.

„Das wird nichts. Bei Raf zumindest nicht.", murmelt Sam und verzieht seine Mundwinkel.

„Warum?", will ich wissen.

„Zenit wird sein letztes Album. Danach geht er in Rente oder besser gesagt, er will nur noch im Hintergrund arbeiten und ins Ausland gehen. Weil er meint, dass er zu alt ist, um sich mit der Musik, die er macht nicht lächerlich zu machen.", berichtet er. „Das knickt mich, er ist einfach mein Vorbild."

„Ins Ausland also.", murmele ich und lehne mich zurück.

Es ist Freitag Nachmittag, fünfzehn Uhr, die Zeit, die ich mit Raphael verbracht habe ist bereits eine Tage her. Denn Sonntag und die Nacht zum Montag habe ich bei ihm, irgendwie konnte ich mich nicht von ihm trennen und er mich genauso wenig gehen lassen. Es war schön bei ihm, anders kann ich es nicht sagen. Er hat mich den Maserati fahren lassen- wahrscheinlich, weil er und Linda während des Essens beim Italiener ein paar Gläser Wein getrunken haben und kein anderer mehr fahren konnte-, wir haben viel gelacht.

Wenn Linda Ragucci erst mal aufgetaut ist und ihre Zweifel beiseite schiebt, ist sie ähnlich unterhaltsam, wie ihr großer Bruder. Beiden merkt man das südländische Temperament an, das italienische Blut in ihren Adern. Faszinierend und amüsierend ihnen zuzuhören, wie sie sich gegenseitig ins Wort fallen, wild mit den Händen gestikulieren und immer lauter werden, während sie über irgendetwas diskutieren. Ich habe Tränen lachen müssen über die Beiden und ein wenig erinnern si e mich an mich und meine Brüder.

Als Linda schlafen gegangen ist, blieben Raphael und ich auf, wir machten die Nacht zum Tag, genossen die letzten Stunden zusammen, denn am Montagmorgen ist er bereits um neun mit der ersten Maschine nach Barcelona geflogen. Mehr als einmal haben wir uns in der Nacht geliebt, bis irgendwann das erste Tageslicht durch seine Jalousien gekrochen kam. Ich war müde, erschöpft, mein Körper voller Spuren der Nacht, ein wenig wund aber trotzdem fühlte ich mich zufrieden in seinen Armen.

Ich habe ihn noch zum Flughafen gebracht und vielleicht das erste Mal in meinem Leben etwas wie Schmerz in meiner Brust gefühlt, weil jemand, den ich gernhabe gehen muss. Nicht so übel, wie der, wenn jemand stirbt. Aber trotzdem ist mein Herz schwer geworden, als er sich mit einem letzten Kuss verabschiedet hat um dann durch die Sicherheitskontrollen zu gehen. Bewusst wurde mir in diesem Augenblick, dass er für wirklich für die nächsten vier Wochen geht. Bescheuert, denn nach wie vor kenne ich Raphael Ragucci so gut wie gar nicht. Eigentlich habe ich nur eine grobe Skizze über den Menschen, der er wirklich ist, verrückt also, dass ich ihn tatsächlich ein wenig vermisse.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt