Epilog

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Epilog

Juni 2020

Raphael Ragucci

„Scheiße, ich glaube, für unsere Klamotten müssen wir anbauen." Mit der Hand fahre ich mir über den Kopf, betrachte die gefühlt eintausend Umzugskartons, in denen Isabelle den Inhalt ihres Kleiderschrankes verstaut hat, ehe ich die Hecktür des weißen Transporters zuschlage.

„Geht schlecht, bei der Wohnung. Aber du wolltest ja erst mal kein Haus hier in Berlin, Habibi. Wir parken dein Zeug einfach in der Garage." Isabelle schlingt ihre Arme um mich, sieht mit ihrer Unschuldsmiene zu mir hoch, während Nathan den Transporter startet, einen kurzen Gruß aus dem Fahrerfenster ruft ehe er und Vince von dannen fahren.

„Ich parke dich in der Garage, Chérie.", gebe ich zurück. „Mein Zeug in die Garage, ich glaub ich spinne."

Isa grinst, streckt sich und küsst kurz meine Lippen, ehe sie sich wieder von mir löst. „Komm, lass uns nochmal hochgehen und gucken, ob wir wirklich alles haben."

Ich nicke, nehme ihre Hand und zusammen gehen wir ein letztes Mal hinauf in ihre Wohnung in Kreuzberg. Unsere Schritte hallen von den leeren Wänden wieder, die Räume wirken so viel größer, jetzt, wo nichts mehr darin steht. Ich sehe Isabelle an, sehe ihr zu, wie sie alles noch einmal abgeht. Es fällt ihr schwer, zu gehen, ich spüre das, obwohl sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen.

Besser und besser bin ich im vergangenen Jahr darin geworden, sie zu lesen. Die feinen Nuancen ihrer Stimmungen zu erkennen und so schafft sie es nur noch selten, sich vor mir zu verschließen.

„Es wird dir fehlen.", sage ich sanft. Sehe, wie sie nickt. „Bescheuert, oder? Obwohl ich nur in einen anderen Stadtteil ziehe. Aber hier hängen so viele Erinnerungen dran. Wie überlebe ich, wenn du nicht zu Hause bist und ich nicht mehr zum Essen zu Aabit und Can runter in den Dönerladen gehen kann? Wer erinnert mich ans Treppe wischen, wenn nicht Frau Wilceck? Hier haben wir unsere ersten Stunden zusammen verbracht... „ Isabelle macht eine ausladende Geste mit der Han, deutet auf ihr ehemaliges Wohnzimmer.

„Ich weiß auch nicht, was das gerade von mir soll.", murmelt sie. Sie kommt herüber, lässt sich ihn meine Arme ziehen und ich hauche ihr einen Kuss auf den Haaransatz, sie schmiegt sich an meine Brust.

„Tja, Chérie. Du bist emotional geworden im letzten Jahr.", schmunzle ich.

„Und du bist schuld.", gibt sie beinahe trotzig zurück ehe sie leise lacht.

Es war faszinierend, ihr zuzusehen, wie sie immer weiter an sich arbeitete. Nachdem sie mir vor einem Jahr in Neapel das erste Mal sagte, dass sie mich liebt, war irgendetwas in ihr gefallen. Einer der schönsten Augenblicke, als sie das, was ich eigentlich schon wusste aussprach.

Als sie das einmal ausgesprochen hatte, fiel es ihr leichter und leichter, sich emotional zu öffnen. Noch immer ist sie stark, ausgeglichen und gefestigt. Aber es ist noch mehr dazu gekommen. Eine liebende Frau, die Menschen inzwischen auch ein wenig unter ihre Oberfläche schauen lässt.

„Komm jetzt, lass und gehen, bevor ich noch heulen muss. Ich habe fast fünf Jahre hier gewohnt.", In ihren Augen glitzert es verdächtig, ich lege meinen Arm um ihre Schultern, ziehe sie an mich.

„Hast du alles?", frage ich und sie nickt. „Glaube schon."

„Dann komm. Und wir müssen noch bei Sophie vorbei."

„Du musst bei Frau Wilceck vorbei. Nicht ich." Isa lacht jetzt auf, während wir die Wohnung verlassen. Sie atmet tief durch, als sie die Tür das letzte Mal abschließt.



Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt