Kapitel 17

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Kapitel 17

Isabelle Sommer 

März 2012


Es ist sechs Uhr am Sonntagmorgen, als die schwere, metallende Hintertür des „Gentlemen's Lounge" hinter mir zufällt. Einer der Stripclubs der Stadt, die am wenigsten dreckig sind. Meine Muskeln schmerzen vom Pole aber alles hat seine Vor und Nachteile, dank der Stange ist mein Körper trainiert und beinahe stahlhart. Dafür bin ich müde, acht Stunden an der Stange laugen aus. Definitiv.

Der Morgen ist noch kühl, Nebelschwaden hängen über dem Gebüsch um den Parkplatz herum, wenn ich ausatme, stoße ich kleine, weiße Wolken aus. Ein völliger Gegensatz zu der Hitze im Club.

Ich schultere meine Sporttasche und laufe über den dunkeln Parkplatz hin zu meinem kleinen Fiat Punto. Ein altes, gebrauchtes Modell aber es hat vier Reifen, ein Lenkrad, bringt mich von A nach B und das Wichtigste ist: Er ist bezahlt.

Eigentlich etwas, das man aufgrund der Öffentlichen ins Berlin nicht braucht, doch ich hasse es, mit der U Bahn fahren zu müssen. Das Auto, der Führerschein, den ich vor zwei Jahren gemacht habe sind die größten Investitionen, die ich in meinem Leben getätigt habe. Alles von dem Geld, welches ich drei Mal pro Woche neben meinem Abitur verdiene, nebenbei arbeite ich zwei weitere Abende bei Rewe an der Kasse. Wenn ich ehrlich bin ist mir der Job als Tänzerin deutlich lieber.

Natürlich darf ich nicht zimperlich sein aber ich denke, dass ich ein dickes Fell habe. Ich werde von keinem der Kunden angefasst, wenn ich es nicht ausdrücklich erlaube und diese Versicherung reicht mir, um den Job ohne schlechtes Gefühl machen zu können. Ist etwas, hebe ich dich Hand und der Typ fliegt raus. Fertig.

Und alles andere, sollen sie mich doch beglotzen, sollen sie doch zuschauen, wie ich mich für sie ausziehe. Blicke allein tun mir nichts, ich kann meinen Körper ganz gut leiden und es stört mich nicht, mich zu zeigen.

Es sind Blicke, es sind die Gedanken der Männer, es ist nur mein Körper, nur meine Hülle. Müsste ich irgendjemandem mein Seelenleben preisgeben wäre das deutlich schlimmer.

Mein Publikum ist gemischt, jede Schicht, jeder Typ Mann geht bei uns ein und aus. Manche sind wirklich nett und sympathisch manche bediene ich weniger gern. Doch es ist alles eine Frage des Geldes. Wenn ich ehrlich bin, kommt e auch mal vor, dass ich mit auf eines der Zimmer gehe, wenn der Mann mir gefällt. Sex war noch nie eine große Sache für mich und er kann sogar mit einem Kunden ein wenig Spaß machen.

Das einzige, von dem ich die Finger lasse sind Drogen und Alkohol, ich habe zu viel gesehen, um mich wegen ein paar Männern betäuben zu müssen. Angeboten bekomme ich eigentlich jedes Mal etwas, wenn ich arbeite- aber angenommen habe ich es nie. Ich weiß, dass viele meiner Kolleginnen das anders sehen. Aber die können mir egal sein, ich bin nicht Mutter Theresa.

Ich schließe den Punto auf, werfe meine Tasche auf den Beifahrersitz und steige ein. Zwanzig Minuten noch, dann kann ich ins Bett, am Nachmittag wird Vince uns besuchen kommen. Vier Jahre Heim stehen ihm noch bevor, wenn Nate es nicht vorzeitig schafft, doch noch das Sorgerecht für unseren jüngsten Bruder zubekommen. Er lebt im selben Heim, in dem auch Nate und ich bis zur Volljährigkeit gelebt haben.

Vince ist noch vierzehn, ich selbst werde im Juni zwanzig, Nathan hatte vor einigen Wochen Geburtstag und ist fünfundzwanzig geworden. Gerade schreibt er an seiner Masterarbeit im Finanzmanagement und es sieht gut aus für ihn, einen vernünftigen Job zu bekommen. Einen, mit dem wir uns etwas mehr als über Wasser halten können, bis ich mein Abitur im Sommer in der Tasche habe und meine Ausbildung zur Erzieherin beginnen kann. Mir liegt im Gegensatz zu Nathan eher der soziale Sektor.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt