Kapitel 12

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Kapitel 12 

Isabelle Sommer


Ich habe das Gefühl, die gesamte Arena würde beben. Die Bässe vibrieren in der Gegend meines Zwerchfells, es fühlt sich an, als würden sie meinen Herzschlag kontrollieren. Tausende von Menschen singen in Chören, tausende Hände und Körper bewegen sich im Takt zu den Dancehallbeats, die Stimmen von John und Raphael, tief, einnehmen.

Sie sind Entertainer, das Konzert eine Show, mühelos bewegen sie sich über die Bühne. Raphael eben noch in weiß, inzwischen in schwarz feiert. Sich, das Leben, den Moment, seine Musik. Für einen Moment fesselt er mich damit, wie er sich auf der Bühne so mühelos und frei bewegt, als stünden nicht diese Menschenmassen vor ihm, wie er mit seinen Fans interagiert. Seine Stimme allein so einnehmend, wie die der Menge vor ihm, eine Zeile rappt er, tausende Stimmen antworten, während Raphael sein Mikro in Menge hält und der Beat aussetzt. Ich liebe Konzerte, ich liebe die Stimmung, die Vibes, ich liebe es, die Bässe zu fühlen und eine Gänsehaut überkommt mich.

Wir stehen hinter der Bühne, können die Jungs meist nur von hinten sehen. Raphaels Freunde um mich herum feiern, Aylin kennt jeden der Texte auswendig, dass sie so ein Fangirl ist war mir dann doch neu. Sie feiert mit den Männern, den beiden Kindern, die Ohrenschützer tragen. Sie tanzen, rappen mit, lachen. Die Stimmung ist wahnsinnig, großartig, ich selbst kann kaum still stehen und beruhe, mir Raphaels Musik nie genauer angehört zu haben. Sie geht tiefer, als ich es geglaubt habe.

Linda steht neben mir strahlt, deutlich sehe ich ihr an, wie stolz sie auf ihren Bruder ist. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mir die Songs einzuordnen.

„Das ist von Raffas Soloalbum Anthrazit. Primo." Sie muss näher zu mir kommen mir beinahe ins Ohr rufen. Ich nicke. Kann man gut drauf feiern, auf jeden Fall, wahrscheinlich muss ich mich aber mehr damit beschäftigen, um den Sinn hinter den Lyrics zu verstehen. Werde ich auf jeden Fall machen.

„Du kennst echt nur einen Bruchteil seiner Musik.", ruft Linda dann und wieder nicke ich. „Hatte ich gar nicht auf dem Schirm.", rufe ich zurück. „Schande über mein Haupt!" Wir beide müssen Schmunzeln und das Lächeln erreicht Lindas dunkle Augen, die denen von Raphael unheimlich ähnlich sehen. Das erste Mal, dass ich Lächeln auf mich nicht aufgesetzt wirkt.

Mir ist aufgefallen, dass sie ein gewisses Auge auf mich hat. Seit einer Stunde versucht sie bereits mehr oder weniger offensichtlich mich auszufragen, bei unwichtigen Dingen gelingt ihr das. Ich kann ihre Skepsis nachvollziehen und doch werde ich dieser netten mir aber fremden Frau nicht meine Lebensgeschichte erzählen. Sie scheint sich mit meinen teilweise vagen Antworten zu Familie, Freunden, Beruf und Leben zufrieden zu geben. Ich bin gut darin, alles und nichts zu beantworten. Mein Bruder sagte einst, wenn ich keine Lust mehr auf meinen Erzieherjob habe, könne ich immer noch die Reden für den Bundestag schreiben.

Sie möchte Raphael beschützen, sie will wissen, wen sie vor sich hat und ich kann es nachvollziehen. Gerne beantworte ich ihr, wie wenig ich in den letzten Jahren von Bonez MC und Raf Camora mitbekommen habe. Durch meine Jugendlichen kenne ich einige der Songs aber privat zu Hause habe ich es für kommerziellen Mist gehalten. Doch Raphael scheint bekannter zu sein, als mir bewusst war, er scheint mehr Kohle zu besitzen, als ich gedacht habe. Er selbst hat mir wiederum von seiner gescheiterten Beziehung erzählt, von den Dingen, die ihn danach verfolgt haben.

Ich kann wirklich nachvollziehen, dass Linda mich nicht freudestrahlend empfängt. Doch wir kommen miteinander aus und ich würde einen Teufel tun, unfreundlich zu ihr zu sein.

Die Rufe der Fans schallen noch durch die Arena, als Raphael und John schließlich breit grinsend von der Bühne kommen. High vom Konzert, vielleicht ein wenig angetrunken vom Yamazaki strahlt Raphael mich an, nachdem er und seine Freunde sich in den Armen lagen.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt