Kapitel 19

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Kapitel 19 


Isabelle Sommer 


Wie ein Löwe im Käfig tapert Leyla die Treppe des Hauses hoch und runter, immer wieder schielt sie zur Haustür und ich kann mir das amüsierte Grinsen nicht verkneifen, während ich die letzten Utensilien des Frühstücks vom Tisch abräume. Ausnahmsweise waren die Kids heute alle um spätestens halb 9 auf, hatten ihre Zähne geputzt und geduscht, damit sie gut aussehen für unseren Besuch.

Zwanzig nach neun, um halb zehn will Raphael hier sein. Es geht mir okay damit.

Wir haben nicht mehr miteinander gesprochen nicht mal privat geschrieben, seitdem er von meinen damaligen Jobs erfahren hat. Die Dinge, die er wegen des Besuchs klären wollte, hat er offiziell übers Gruppentelefon mit Yassin geklärt.

Es tut überraschend weh, ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben doch ich gehe davon aus, dass wir beide erwachsen genug sind, um diesen Tag professionell über die Bühne zu bekommen. Ich seufze bei dem Gedanken an ihn.

Ich habe ihn wirklich gern und doch kann ich ihn verstehen.

Mein Kollege Yassin schließt die Spülmaschine und schaltet sie ein während ich die letzten Lebensmittel in den Keller bringe. Es klingelt, als ich meinen Fuß auf die oberste Treppenstufe setzte, es klingt, als würde eine Horde Elefanten durchs Haus rennen, als Leyla und Chiara die Treppen hinunter poltern.

„Wir machen auf!", ruft Leyla und ist an der Tür, ehe Yassin und ich sie bremsen können. „Geht's noch ein wenig lauter!", ruft Yassin und beeilt sich, hinter den Mädchen herzukommen. Ich selbst kümmere mich lieber darum, meine Nikes einmal neu zu schnüren. Bietet sich an, wenn man auf einer Treppe steht.

„Guten Morgen, Raf!", tönen die Mädchen und ich muss mir auf die Lippe beißen, als ich sein vertrautes Lachen höre. Scheiße, ich war definitiv schon mal weniger nervös und unser Wiedersehen habe ich mir anders vorgestellt. Ich habe ihn wirklich vermisst, eigentlich wäre er gestern Abend noch bei mir vorbei gekommen. Doch natürlich hat er es nicht getan und ich habe mir auch nicht die Hoffnung auf einen spontanen Besuch von Raphael Ragucci gemacht. Er fühlt sich hintergangen und irgendwo kann ich ihn verstehen. Diese Info über mich hat sein Bild von mir unglaublich ins Wanken gebracht, für ihn muss ich wie ein unschuldiger Engel gewirkt haben, ein wenig schlimme Kindheit aber doch ganz gut dabei weggekommen.

„Hi, ich bin Yassin, sagen wir du?", höre ich die Stimme meines Kollegen. „Klar, Raf, Hi." Stimmengemurmel der Männer, sich überschlagende Stimmen von Leyla und Chiara, Schritte auf der Treppe, als der Rest meiner Bande sich aus ihren Zimmern bewegt.

„Lasst ihn erst mal reinkommen.", versucht Yassin sie zu bremsen, ich höre, wie Leyla Raf Kaffee anbietet und in die Küche flitzt, als er bejaht. Wenn die mal immer so fix wäre, wenn man sie zu etwas auffordert.

Ich komme mir feige vor, wie ich so unter der Treppe stehe und mein Herz bis zum Hals schlägt. Ich werde es schaffen, professionell zu sein doch innerlich wütet etwas, was ich nicht einordnen kann. Sehnsucht? Schmerz?

„Isa, pfeif diese verrückte Bande hier zurück sonst kommt Raf nie ins Haus. Hast du dich im Keller verlaufen oder warum brauchst du so lange?"

Yassin weiß nichts von Raf und mir. Er weiß, dass Raf mich vor ein paar Wochen zum Autohaus gefahren hat und dabei soll es bleiben.

Wahnsinn. Ich kenne Raf jetzt bald zwei Monate, unglaublich, wie schnell die Zeit verflogen ist. Yassin kann gar nicht wissen, dass ich ihn für diesen Kommentar am liebsten treten würde.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt