Kapitel 39

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Kapitel 39

Isabelle Sommer

Gähnend schmeiße ich die große Sporttasche mit meinen Schlafsachen neben meine Wohnungstür und stelle meine Schuhe achtlos daneben. Gleich will ich eine Kleinigkeit essen, meine Wäsche machen, staubsaugen und wischen. Dann duschen gehen um danach ein paar Minuten einfach nur rum zu gammeln. Manchmal brauche ich das, einfach mal eine Stunde nichts zu tun, auf der Couch liegen, ein Buch lesen und die Stille um mich herum genießen. Es ist immer angenehm, wenn es mal still um mich herum ist, denn wenn man ständig zehn Kinder und Jugendliche um sich herum hat sind Trommelfelle und Gehirn irgendwann am Ende. Manchmal möchte ich einfach nichts hören.

Ich gehe in meine Küche, mache mit Joghurt mit Früchten und gehe damit auf die Couch, hole mein Smartphone hervor.

„Bin wach, gehe zum Sport und bin dann im Studio. Hast gefehlt heute Nacht in meinem Bett. Liebe dich.", hat Raf mir vor einer guten Stunde geschrieben. Es ist halb zehn am Morgen, ich komme vom Nachtdienst und bin irgendwie durch, obwohl ich schlafen konnte und es in der Nacht keine Probleme gab. Trotzdem schlafe ich dort nie richtig gut, ich bin immer gefühlt mit einem Ohr wach, schrecke vom kleinsten Geräusch hoch. Erneut gähne ich. Es ist komisch, nach gefühlt tausend Jahren Whats App wieder SMS zu schreiben, ich musste tatsächlich gucken, wie das nochmal genau funktioniert.

„Bin zu Hause. Viel Spaß, trainier ordentlich und vergiss das Cardio nicht. Bin später beim Friseur und Nägel machen, danach komme ich. Hast mir auch gefehlt" , schreibe ich ihm zurück. I

Ich beschließe, mein Gammelprogramm vorzuziehen, schalte meinen Fernseher ein, um die neuste Folge Game of Thrones zu gucken. Ich liebe diese Serie, für Raphael ist sie gar nichts. Er hat nicht mal die erste Folge gesehen. Selber Schuld, wenn er sich weigertwird er eben niemals erfahren, was er verpasst.

Ich selbst liebe die Bücher und die Serie, George R. R. Martin ist für mich einfach der König. Ich finde ihn sogar noch besser als Tolkin, denn er schreibt noch viel weniger durchschaubar. Was für ein wahnsinnig intelligenter Mensch er sein muss, ein solches Konstrukt aus Drama und Intrigen aufzubauen. Wer war nicht alles im ersten Buch oder während der ersten Staffel davon überzeugt, Ned Stark würde am Ende auf dem eisernen Thron sitzen? Ich beschließe in dem Moment, in dem der Soundtrank, der den Start der neuen Folge explosiv einleitet, Raphael zu seinem Glück zu zwingen. Wenn er irgendwann mal wieder mehr Ruhe hat wird er mit mir Game of Thrones schauen müssen, ob er will oder nicht.

Genüsslich löffle ich meinen Joghurt, während Sansa auf dem Bildschirm herum spaziert und ich lehne mich zurück. Manchmal liebe ich es, völlig allein zu sein.

Ich bin total drin in der Serie, verfolge gespannt ein Gespräch zwischen Brienne vo Tarth und Jamie Lennister als ich sehe, dass mein Smartphone aufleuchtet. Kurz ziehe ich die Stirn kraus, es ist Nathan. Eigentlich sollte der gerade arbeiten. Es ist ungewöhnlich, dass er mich um diese Uhrzeit anruft. Ungwöhnlich überhaupt, dass er mich anruft, wenn er etwas will schreibt er mir bei Whats App oder steht direkt vor meiner Tür. Mich beschleicht eine Ahnung, was er will. Die ganzen letzten Tage schon steht es schlecht um unseren Vater. Endstadium Krebs.

Vielleicht will Nate mir jetzt sagen, dass er den Knast für immer hinter sich hat. Eigentlich interessiert es mich nicht sonderlich denn mit meinem Vater habe ich vor langer Zeit abgeschlossen. Bis heute habe ich ihm nicht verziehen, was er mir und unserer Familie angetan hat. Was er meiner Mutter angetan hat. Und doch kam mir in den letzten Tagen immer wieder der Gedanke an ihn hoch.

Raphael habe ich nichts erzählt, denn der ist zu gut darin, sich Sorgen um mich zu machen.

Er steht wahnsinnig unter Druck wegen seines Albums, schläft schlecht. Selbst wenn er schläft, er ist unruhig, wälzt sich hin und her. Spricht irgendwas französisches im Schlaf, was ich nicht verstehe. Er schreckt plötzlich hoch, schaltet das Licht ein und fängt an, wie ein Tiger im Käfig durch seine Wohnung zu streifen. Auch ich bekomme nicht viel Schlaf, wenn ich bei ihm bin und doch bin ich sooft bei ich, wie ich kann. Denn er braucht mich, schläft viel ruhiger, wenn ich ihn halte.

Raben  / RAF Camora / Bonez Mc/ Teil 1&2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt