106: Endlich

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So saßen Troy und ich also da auf meiner Stufe. Die Gitarre lehnte vergessen an meinem Bein. Das Kerzenlicht flackerte und die Nebelschwaden gaben der Situation etwas leicht gruseliges und magisches zugleich. Ich spürte seine Hand, die sich langsam von meinem Kinn aus nach hinten bewegte. Als sie auf meinem Hinterkopf lag, zog er mich noch dichter an sich und sein Kuss wurde noch zärtlicher. Himmel! Ich wollte das hier doch überhaupt gar nicht. Wenn Jack mich jetzt sehen würde. Wenn er mich sehen würde... verdammter Mist! Seine andere Hand, die immer noch an meinem Kinn ruhte, begann nun über meine Wange zu streicheln. Ich horchte einmal in mich rein. Fühlte ich mich wohl, während Troy mich küsste? Nein. Nein, das tat ich nicht. Definitiv nicht. Mir war nämlich schon klar, dass ich gerade das selbe tat, wie Jack damals. DAS war die Sache, weshalb ICH mich von ihm getrennt hatte. Ein Kuss. Ein einfacher Kuss - jedenfalls hatte es mir damals gereicht einen Kuss zu sehen, um auszurasten.

An meinem linken Ringfinger spürte ich den Ring, den ich damals von Jack bekommen hatte. Und auf meinem Dekolleté ruhte die kühle Kette, die er mir zur Verlobung geschenkt hatte. Und ich wusste, dass ich das, was ich hier tat, nicht länger tun konnte. Ich wusste, dass ich zu Jack gehörte und mich nicht einfach so von einem anderen küssen lassen konnte. Also beschloss ich, den Kuss zu beenden. Und ich tat es auch. So bald wie möglich löste ich mich von Troy. Er sah mich an. Ich sah ihn an. Stumm. Eine Weile lang sagte niemand von uns etwas.

"Wow", sagte er dann nach ein paar Schweigeminuten. Fragend legte ich den Kopf schief. "Ich meine... du-"

"Hör auf", unterbrach ich ihn. "Das geht nicht, Troy. Du kannst mich nicht einfach so küssen. Ein Kuss war der Grund, weshalb ich mich damals von Jack getrennt hatte. Außerdem bin ich dein Captain..."

"Was? Getrennt? Ich dachte, er wäre dein Verlobter?", fragte Troy nun verwirrt.

"Aye, ist er auch. Wir hatten da nur mal so 'ne Phase...", erklärte ich knapp. "Aber du hast es selbst gesagt: ich bin verlobt. Und gerade dann sollte es dir eigentlich noch viel bewusster sein, dass es nicht in Ordnung ist, mich einfach so zu küssen. Ich mag dich, Troy. Wirklich. Aber ich liebe Jack, okay?", versuchte ich ihm klar zu machen.

"Du scheinst ihn wirklich sehr zu lieben", stellte Troy fest.

"Klar", antwortete ich. "Warum bin ich denn so traurig und abwesend? Warum verbringe ich meine ganze Zeit mit der Gitarre? Warum weine ich so oft? Warum wohl? Weil ich ihn vermisse, Troy." Er nickte langsam und ließ mich los. "Verstehst du mich?", fragte ich und sah ihm eindringlich in die Augen.

Troy nickte erneut, erhob sich, warf mir einen traurigen Blick zu und verschwand dann im Nebel. In meinen Augen bildeten sich ganz langsam ein paar Tränen. Es gefiel mir nicht, wenn ich Menschen verletzen musste. Und es gefiel mir nicht allein, ohne Jack, zu sein.

"Verdammt", murmelte ich und wischte mir blitzschnell die Tränen weg. Ich wollte jetzt nicht weinen. Nicht schon wieder.

Ich packte die Gitarre am Hals, hob sie hoch und setzte sie auf mein Bein. Ich begann mit der Hand über die Saiten zu klimpern, um mich abzulenken. Allmählich wurde eine Melodie daraus. Die Klänge der Gitarre tönten durch den dichten Nebel. 

Und ich begann die Gitarre mit meinem Gesang zu begleiten: "I got my red dress on tonight, dancing in the dark in the pale moonlight. I'm feeling alive."

Ich hörte kurz auf zu singen und spielte die Melodie weiter auf der Gitarre. Die Nebelschwaden schwebten geisterhaft umher und ich musste einfach erwähnen, wie wunderschön ich sie fand. Ich mochte Nebel sehr. Dieses geheimnisvolle, unheimliche, mysteriöse gefiel mir einfach.

"I'm feelin' electric tonight, I know if I go, I'll die happy tonight", sang ich weiter durch den Nebel. "Oh, my God, I feel it in the air, honey, I'm on fire, I feel it everywhere, nothing scares me anymore. Kiss me hard before you go, summertime sadness."

Always the Sea - Die Abenteuer der Jessie Bones (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt